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Nervfaktor WerbungGroß, laut und dümmlich

Jeder Deutsche ist täglich rund 2.000 Werbeeindrücken ausgesetzt. Warum nur sind 1.999 davon nur so nervig? Wütende Ansichten eines alten Kreativen aus der Branche.

Optische Umweltverschmutzung? Bild: dpa

Die Geschichte ist uralt. Großmutter fragt ihren studierten Enkel, was er beruflich inzwischen so macht. "Ich bin Rausschmeißer im Puff", ist seine Auskunft, weil er nicht zugeben möchte, dass er in der Werbung arbeitet. Wirtschaftskommunikation, wie Werbung heute fein genannt wird, war nie eine geachtete Branche. In der Wertschätzung der Berufe rangieren die Werber direkt hinter den Politikern, aber noch vor den Immobilienmaklern. Aber es gab Zeiten, in denen Werbung zumindest geduldet wurde, weil im TV manchmal Spots auftauchten, die den Zuschauern ein Schmunzeln abtrotzten. Sogar ansprechende Anzeigen wurden nur zögernd überblättert.

Jetzt aber ist die Krise bis in die letzten Hirnwindungen der Werber vorgedrungen. Statt sie als Chance zu nutzen und mutige, vor allem lustige Kampagnen zu machen, arbeiten sie nach dem alten Motto der Penetrierung: dumme Sprüche und Bilder so oft wiederholen, bis beim Verbraucher aus Ablehnung blanker Hass wird - wobei der Bekanntheitsgrad tatsächlich steigt, während die Sympathie hingegen sinkt.

ALLES JIEPER ODER WAS?

Werbung gibt sich gerne jung und innovativ. Um das auszudrücken, greift man in der Branche gerne zu Wortneuschöpfungen. Ob die potenziellen Kunden diese verstehen, scheint zweitrangig. Oder wissen Sie, was ein "Milchjieper" aus der Kinderriegel-Werbung ist? Ferrero erklärt auf seiner Internetseite: "Der Begriff Jieper wird im norddeutschen Raum häufig verwendet und bedeutet Lust bzw. Verlangen. Der Milchjieper ist demnach Lust auf frischen Milchgeschmack." Ach so!

Am Geld kann es nicht liegen, dass Werbefilme, Anzeigen oder Plakate so langweilig und hässlich sind. 2009 werden trotz Krise mindestens 21 Milliarden Euro in die klassischen Medien gesteckt, allein neun Milliarden in die TV-Werbung. Außerdem ist zu viel Geld grundsätzlich kontrakreativ. Je teurer eine Kampagne sein darf, desto mehr denken die Agenturen über Fotos auf den Malediven nach - statt über Ideen, die sich vor der Haustür realisieren lassen. Der LBS-Film mit dem Althippie, dessen Tochter Spießerin werden will, weil die spießigen Eltern ihrer Freundinnen in schönen Häusern wohnen, wurde auf einem Bauplatz um die Ecke gedreht - statt in der Karibik.

Dass klare Gedanken wichtiger sind als Geld, beweisen sogar kleine Prospekte für Kunstausstellungen. Die Berliner Klee-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie gab den Besuchern einen unlesbaren Wisch mit auf den Weg, der einer Baggerfirma alle Ehre gemacht hätte. Quasi als Kontrast zu den feinsinnigen Klee-Bildern, wie die zuständige Pressereferentin erklärte. Zur gleichen Zeit lief in München eine Kandinsky-Ausstellung mit einem Prospekt, der kaum teurer war, aber klar, einfach und 100 Prozent Kandinsky. Die Grafiker hatten sich der Aufgabe untergeordnet, statt Selbstverwirklichung zu üben.

Zu ärgerlicher Werbung gehören immer zwei. Ahnungslose Auftraggeber, die sie wollen. Und dumme oder auch feige Kreative, die sie machen. Das Paradoxon: Obwohl die meisten Kampagnen wirken, als seien sie zwischen Kantine und Toilette entstanden, handelt es sich um extrem komplizierte Steißgeburten. Zum Beispiel TV-Spots: Die Kreativen müssen dem Agenturchef nicht selten zwanzig verschiedene Treatments abliefern, das sind Beschreibungen der nicht vorhandenen Filmideen. Von denen werden drei oder vier sorgsam aufbereitet und dem Kunden gezeigt werden. Der wählt automatisch das schlechteste Filmchen aus, das vorproduziert und getestet wird.

Sollten sich irgendwelche Ideenreste eingeschlichen haben, werden sie von den Testpersonen - zufällig ausgewählten Verbrauchern - gnadenlos niedergemacht. Sie suchen nicht das Neue, sondern orientieren sich an den Suppen- oder Shampoo-Filmchen, die sie seit Jahren kennen. Das Ergebnis kann nur eine Familie sein, die verzückt ihre Teller leer löffelt, oder eine Jungfrau mit wehendem Zeitlupenhaar, über das sich die Kräftigungsformel mit dem Vitaminkomplex legt. Es geht aber auch nerviger. Leicht verfettete OBI-Verkäufer als Rapper. Oder Kleinkinder, die sich darüber streiten, was echter Kiri-Käse ist.

In der Printwerbung sieht es nicht besser aus. Die Bildideen wirken wie vor 30 Jahren. Die Sprache ist zu effizientem Denglisch geworden, besonders in der Autowerbung. Und nach wie vor wird in die Entwürfe so viel reingepackt, dass der Leser erst gar nicht hinschaut. Eine Anzeige für ein schlichtes Make-Up von Jade besteht aus 16 grafischen Elementen. Wahrnehmen kann der Leser höchstens drei oder vier.

Immerhin, TV- und Radiospots lassen sich wegzappen, Anzeigen überblättern. Und den Prospektmüll im Briefkasten kann der verärgerte Hausbewohner in die Tonne werfen. Das ist bei Plakaten leider nicht möglich. Sie hängen rum und stören. Gott sei Dank werden sie in weiten Teilen des Landes wegen mangelnder Baulücken immer weiter zurückgedrängt - auf Bahnstrecken und in Nischen, wo sie niemandem wehtun. Ganz im Gegensatz zur Außenreklame von Läden, Supermärkten und Ladenketten. Obwohl es in Deutschland Millionen von Gesetzen und Vorschriften gibt, dürfen Aldi, Lidl, Penny, Kaisers oder McDonalds nach außen die Sau rauslassen. Am schlimmsten gebärdet sich Schlecker. Mit Vorliebe klatscht die Drogeriemarktkette ein einfallsloses Blauschild auf sorgsam renovierte Altbauten. Frei nach dem Motto: Wo es am meisten stört, ist seine Wirkung am größten. Gut 11.000 Schlecker-Märkte verunstalten Deutschland.

Es gibt aber noch Steigerungen: MediaMarkt, Saturn und als Gipfel der Geschmacklosigkeit die deutschen Baumärkte. Die größten (OBI, Hornbach, Praktiker und Bauhaus) spendieren auch den meisten optischen Mist. Weil ihre Gebäude offenbar nicht scheußlich genug sind, ragen auf Pfeilern ihre ungestalten Logos bis zu 30 Meter in die Luft. Zum Teil mit Rotor, sodass sie nach allen Himmelsrichtungen Brechreiz auslösen können.

Diese optische Umweltverschmutzung findet zwar vorwiegend in trostlosen Kaufparks statt, drängt aber zunehmend in die Innenstädte. Weil diese zu veröden drohen, genehmigen die Stadtväter grölende Ladenfronten von Ein-Euro-Märkten, Textildiscountern oder Imbiss-Ketten, die innen so riechen, wie ihre Außenwerbung verspricht.

Zum Glück gibt es Städte wie Görlitz, die ihren sanierten Stadtkern vor allen hässlichen Ladenbeschriftungen schützen. Erstaunlicherweise nicht mit dem Gesetzeshammer, sondern per Überzeugung. Das Stadtbauamt hat den anliegenden Geschäften und Banken aufgezeigt, wie überdimensionierte Ladenschilder in einem sorgsam restaurierten Häuserensemble wirken - und wie viel Sympathie dem entgegengebracht wird.

Lauter Belästigungen

Doch Werbung wäre nicht Werbung, wenn sie nicht jede neue Chance ergreifen würde, die Menschen zu ärgern. Nach dem Einkaufs-TV für hinterhältige Handy-Verträge und dem sogenannten Telefon-Marketing mit vorgeschobenen Meinungsumfragen hat sie jetzt das Internet entdeckt. Die Belästigungen werden immer vielfältiger. Zunächst waren es nur unerwünschte Mails. Inzwischen gibt es an die zwanzig Möglichkeiten, den Internetbenutzer zu nerven. Die widerlichsten sind sogenannte Interstitials, ein feines Wort für Unterbrecherwerbung.

Herr Müller will sich zum Beispiel online über Börsenkurse informieren. Die erscheinen auch im Browser. Doch sofort legt sich eine Einblendung über die aufgerufene Webseite, wahlweise von der Bank of Scotland, der BHW oder Mazda. Gern auch Pornoschmutz. Zwar kann Herr Müller die Einblendung schließen. Doch das "close" ist so versteckt, dass er es mühsam auf dem Bildschirm suchen muss. Außerdem bewirkt das Anklicken oft das genaue Gegenteil. Statt zurück auf seine Börsenkurse wird er auf Zinssätze der isländischen Art oder dicke Brüste geleitet.

Doch wehe dem, der aus Neugierde einen Versandhandel, einen Reiseanbieter oder einen Internetprovider aufruft. Viele Firmen sehen darin eine Aufforderung, ihre Newsletter zu schicken. Und die lassen sich nur mit massiven Drohungen stoppen. Bei der Partneragentur Parship helfen auch die nicht. Als Antwort kommen Standardmails, die auf den supergünstigen Aktionsrabatt hinweisen. Das alles ist zwar grausamer Werbealltag, nur gibt es ihn nicht. Jedenfalls nicht in der deutschen Fachpresse.

Die berichtet stolz, dass die deutsche Werbung inzwischen einen Spitzenplatz bei internationalen Kreativ-Wettbewerben einnimmt. Das mag sein - nur bekommt die Werke, die dort prämiert werden, ein normaler Verbraucher nie zu sehen. Sie werden eigens für die Wettbewerbe gemacht und erscheinen einmalig in Fachmagazinen, auf Insider-Sites oder laufen zwei- oder dreimal in einem Programmkino.

Ende April findet der größte nationale Wettbewerb in Berlin statt. Der Art Directors Club für Deutschland, ein Verein aus feinen Kreativen, kürt die besten deutschen Arbeiten aus dem Jahr 2008. Besucher, die sich die prämierten Werke im Berliner Kosmos-Kino ansehen, werden sich verwundert die Augen reiben: "So edel ist die deutsche Werbung? Warum sehe ich davon nie etwas auf der Straße, in der U-Bahn, in meiner Zeitung, im Fernsehen oder im Internet?" Die Antwort ist einfach: Deutsche Kreativität findet im Saale statt. Doch es gibt Hoffnung, dass sie nach außen dringt. Die Krise wird sogar die Bau- und Elektronikmärkte dieses Landes zur Einsicht zwingen, dass dumpf gleich stumpf ist.

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25 Kommentare

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  • T
    Tomy

    Ach, wie war ist doch dieser Artikel. So mancher Werbeheini würde am liebsten unseren Schädel öffnen und seine Ergüsse direkt reinsch..., äh, injizieren...

     

    Bin gespannt, wann es bei denen ankommt, daß wir uns werbemäßig schon in einer Spirale befinden. Je mehr Werbung auf uns einprasselt, desto stärker ignorieren wir sie. Aber das geht ja nicht, immerhin sollen wir auch was kaufen, also noch mehr Werbung. Und so geht's hin und her...

  • M
    Mynah

    Derzeit leide ich besonders unter Arzneimittelwerbung in der ARD zwischen dem Wetter und der Tagesschau. Das will bestimmt keiner sehen, sonst würde nicht der gute Herr Yogeschwar dazwischengeschoben, damit man den Ton nicht ausschaltet. Ich verpasse jetzt regelmäßig die erste Meldung der Tagesschau, weil ich die Werbung in der letzten Minute des Countdowns nicht hören will. Mir wird da wirklich schlecht.

     

    Vielleicht können die Kreativen "Kommunikatoren" sich mal darauf spezialiseren, in einem entsprechenden Umfeld wirkliche Infos zu geben. Zum Beispiel bei der immensen Auswahl an Digitalkameras mit unglaublichen Bildauflösungen etwas Klartext: "Die Kamera für Ihre Urlaubsreise". Vielleicht könnten sie auch, statt über die Auftraggeber zu schimpfen, diesen kommunizieren, dass Produktfeatures und -Funktionen erstens sinnvoll und nützlich konzipiert werden sollten, und dieses dann dem Interessenten erklärt werden kann. Vom Benutzer zum Produktdesign und wieder zurück gibt es doch genug zu tun?

  • L
    Luftikus

    Sehr treffender Artikel!

    Ich bin inzwischen dazu übergegangen, bei Unternehmen mit besonders agressiver, nervtötender Werbung einfach bewusst nix mehr zu kaufen. Quasi eine geistige schwarze Liste.

    Und den Einkauf beim Media Markt vermisse ich nun wirklich nicht :-)

  • P
    Peter

    Einserseits freut es mich, dass der Autor so klare Worte für die extreme Nervigkeit von Reklame findet. Der Artikel zeigt jedoch auch “schön”, wie man aus einer zutreffenden Beobachtung (Werbung ist (oft) hässlich und nervt) die falschen Schlüsse ziehen kann bzw. viel zu kurz greift – denn wenn die Reklame, die auf uns einprasselt, handwerklich besser gemacht wäre (was der Autor ja offenbar als das primäre Problem ansieht), wäre nicht viel gewonnen, der Nervfaktor würde nur leicht zurückgehen, das permanente Bedrängen mit kommerziellen Botschaften, Logos, Slogans, Konsumaufforderungen bliebe ja unverändert bestehen, und damit die Hauptproblematik der Reklameindustrie: das Anfachen eines kranken Systems.

    Also so gesehen, wenn ich’s jetzt noch mal recht bedenke, ist das doch kein so guter Artikel...

  • TB
    T B

    Absolut blendender Artikel!

    Bin selbst TV-Unterhaltungsautor und kenne die Dimension der auseinander klaffenden Schere zwischen Fähigkeit auf der Kreativseite und dumpfem Grunzen der Auftraggeber. Man stelle sich vor, Ähnliches gäbe es in der Kreativecke der Autohersteller, sie würden blitzartig den Bach runter... hey, das TUN sie ja gerade!

  • MH
    Martin Huth

    Was mich bei der Print-Werbung am meisten nervt, ist die vollkommene Abkehr von einfachsten typografischen Regeln. Da gibt es den erzwungener Blocksatz mit aberwitzig großen Buchstabenabständen in einer Zeile, bei einer darauffolgenden Zeile sind die Abstände dann so eng, daß die Buchstaben fast ineinander laufen. Von einem sog. Hurenkind haben die studierten Herren von der "Ich-kann-aber-einen-Bleistift-spitzen Zunft auch noch nie etwas gehört.

  • A
    anke

    ...und dabei hätte doch alles so schön werden können! Die Wirtschaftskommunikatoren hätten nur kreative Werbung machen müssen, die der Adressat lächelnd toleriert, schon hätte die Wirtschaft nicht mehr gewusst, welche 50% ihres Werbebudgets sie einsparen kann und also im laufenden Quartal lieber das Doppelte dessen bezahlt, was sie noch drei Monate zuvor aufzuwenden bereit war. Von der Differenz zwischen tatsächlicher Kaufentscheidung und spekulativen Werbungskosten aber hätten nicht nur die Wirtschaftskommunikatoren in Saus und Braus lebwn können, es wären auch auch unzählige kostenlose Internet-(Tages-)Zeitungen möglich gewesen, jede Menge Musikdownloads for free und tragfähige künstlerische Images ohne Ende. Alle wären glücklich gewesen und niemand hätte negativ berichten brauchen.

     

    Leider scheint die Werbeblase genau so wenig auf längere Dauer angelegt gewesen zu sein, wie die Immobilien- oder die Kreditblase. Oder gar die Idee, es könne so etwas wie eine gerechte bzw. vollkommen glückliche Gesellschaft geben. Irgend etwas, scheint mir, ist halt immer. Und wenn es nur eine unterdrückte Kreativität ist - oder eine doofe "Zielgruppe", die Perlen nicht von Eicheln zu unterscheiden vermag.

  • CW
    Christian Weber

    Ein Aspekt fehlt hier leider. Die in den letzten zwei Jahren aufgekommene Unart, ausschließlich über eine völlig fiktive Sparsumme zu werben, statt mit dem Preis. Nicht zu vergessen, dass über der ersparten Summe (sparen Sie heute 50 EUR (und geben 100 ersteinmal aus) auch meistens ein Sternchen prangert, welches ins Kleingedruckte verweißt. Springen auf so etwas immer noch mündige Menschen drauf an?

  • AD
    Axel Dörken

    Mich nervt Werbung schon länger viel weniger, wenn überhaupt noch. Werbung zu erhalten ist ein Resultat, dass ich beeinflussen kann:

     

    1. Steht am Briefkasten "Bitte keine Werbung". Erhalte ich sie trotzdem, gehe ich freundlich und sachlich auf den Werber zu und bitte um die Löschung der mich betreffenden Datensätze.

     

    2. Gehe ich ähnlich in Sachen eMail vor.

     

    3. Nutze ich die Robinson-Liste:

    https://www.robinsonliste.de/

     

    Daher erhalte ich zu 99% nur Werbung, die ich vorher erbeten habe.

     

    Liebe Grüße

    Axel

  • JS
    Jana Schütze

    Sie schreiben mir aus dem Herzen. Es ist unglaulich, wie lange sich dieses süßlich lächelnde, immer perfekt aussehende Bild der braven, sorgenden Hausfrau in der Werbung hält. Widerlich. Und langweilig. Aber vielleicht ist ja auch in diesem Bereich die Finanzkrise der Anlass, wieder mehr auf Kreativität, Witz und Spontanität zu setzen. Übrigens: Ich staune immer wieder, wie kreativ manchmal die kleinen Hersteller sind, die alles selbst machen müssen: Von der Produktentwicklung, über Herstellung, Vermarktung, Buchhaltung. Wenn man nur die Vermarktung aufsplittet, dann gehören da noch einmal mehrere Jobs dazu: Texter, Fotograf, Grafiker. Nicht imnmer geht das gut, vieles ist dilletantisch. Aber nicht alles. Not macht erfinderisch.

  • T
    taby

    Endlich! - schreibt mal jemand solch einen Artikel, den ich mit Freude gelesen habe. Geteiltes Leid bleibt doch gemindertes Leid ;)

    Frage mich schon seit einigen Jahren, wieso wir Verbraucher uns diesen Werbe-Wahn bieten lassen

    aber die "Macher" werden immer dreister und kreativer, was die Müllverbreitung betrifft!

     

    Frustriert überlege ich oft, ob die Werbung, als Teil der (v.a. Neuen-)Medien, nicht auch ein Spiegel unserer Gesellschaft ist...

  • AM
    Andreas Martin

    Hallo,

     

    zumindest gegen unerwünschten Webemüll auf Webseiten kann man was machen!

     

    ADBLOCK PlugIn für den Firefox-Browser und alles wird gut:

    https://addons.mozilla.org/de/firefox/addon/1865

     

    Ich kan gar nicht mehr ohne!

     

    -Andreas Martin

  • C
    Christian

    Gegen einen solchen Newsletter hilft entweder eine Klage, oder besser, weil weniger Aufwand, eine Mail an abuse@denic.de mit Cc an postmaster@parship.de.

  • OM
    olaf m.

    Was soll man da sagen? Wer als Künstler behandelt werden will, muss halt Kunst machen und nicht Werbung.

  • S
    shenanigans83

    Mein Lieblingssatz lautet: "sodass sie nach allen Himmelsrichtungen Brechreiz auslösen können."

     

    Aber mal im ernst: Der Grund warum die deutsche Werbung so grottig ist, liegt nicht nur an Werbern, die kein Risiko eingehen wollen. Sondern das die Kreativen immer(!) - vom Kunden, einem Egozentriker in Form des Art Directors und der Analyse diktiert bekommen, wie die Kampagne auszusehen hat. Immer! Der Kunde hat meist leider gar keine Ahnung wovon er spricht. Im grafischen Bereich artet das dann ganz gerne dazu aus, dass sich eine Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit des Kunden "schon mal ein paar Gedanken und Vorstellungen gemacht hat"... Der Vorstandsvorsitzende kennt sowieso nur eines: sein Logo. Hier gilt als Faustregel: die Ursprungsgröße verdoppeln und dann noch mal die Größe verdreifachen... "Oh, wir brauchen einen 'catchigen' Claim!" Bahn frei für den Texter und den Egozentrischen Art Director an dessen Ego und Arsch (sorry) sowieso niemand vorbeikommt.

     

    Und dann haben wir noch - darf ich vorstellen: die Analyse! Die Deutschen lieben ihre Analysen - SWOT, Produktanalyse, Zielgruppe, Unternehmensanalyse, Marktsituation, Zieldefinition.... you name it!

     

    Und die Analyse sagt eben auch, das sich Lustiges eben nicht besser einprägt: die Menschen lachen, doch können sie danach den Kiri-Kiri "Song" nachträllern? Wohl eher nicht, aber genau das ist gewünscht: die entgültige Verdummung der Massen, so dass man ihr jeden Müll verkaufen kann. Hat irgendwer bemerkt das diese tollen neuen Plastikbomber in denen ein wenig Müllermilch steckt 100ml weniger fassen als die alten Plastikmonster - zum gleichen Preis versteht sich...?

     

    Wenn dann nach Kunde, Art Director und Analyse noch ein Funke Kreativität übrigbleibt, wird dieser spätestens von Oma Helene aus B. ausgebügelt. Denn Käsereklame muss nunmal Kinder auf der Alm vor einem archaisch-anmutenden Metall-Milchkübel zeigen. Also wirklich! - "war doch auch schon immer so!"

  • KR
    Klaus Redlich

    Die Cannes-Rolle gab es auch schon vor 25 Jahren, als ich "Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation" studiert habe. Ebenso die entsprechenden "wissenschaftlichen" 4- oder 7- oder sonstewas Stufenmodelle für's Marketing, z.B.: AIDA = Attention, Interest, Desire, Aquire = Aufmerksamkeit, Interesse, Wunsch, KAUF. Das Letzte konnte noch nie gemessen werden und wird bis auf Weiteres auch nicht messbar werden.

     

    Schon damals wurde also nur auf die Stufen davor abgezielt, z.B. Recall-Tests (gestütztes Erinnern, d. h. mit Vorgaben á la "Haben Sie eine Anzeige von XY in dieser Zeitschrift gesehen) oder Remind-Tests (Freies Erinnern). Bei den Recall-Tests wurden immer auch Anzeigen von Marken genannt, die überhaupt nicht vorkamen, aber die Versuchspersonen wussten doch, dass diese Marke eigentlich immer wirbt.

     

    Will heissen: Es gibt keine Tests, ob Werbung den gewünschten Effekt (KAUF) erzielt oder auch nach Ogilvy (das ist allerdings eher 80 Jahre her: "Ich weiß, dass ich 50% meines Werbe-Etats umsonst ausgebe, ich weiß aber nicht, welche 50%".

    Aber die Werbe-Branche verdient doch längst mehr Geld mit diesen blödsinnigen pseudo-wissenschaftlichen Tests als mit Kreativität. Da müsste die Agentur ja die Kreativen bezahlen, nicht die Chefs, wo kämen wir denn da hin?

  • PV
    Peter v. K.

    Herzlichen Dank für diesen Kommentar. Hirnverbrannt ist wohl der Ausdruck für das, was uns alltäglich an die Sinnesorgane geschleudert wird. Mich wundert immer wieder, dass angenommen wird, man könne uns so zu einer "Kaufentscheidung" bewegen. Was man wegschalten kann, sollte erlaubt bleiben. Damit den "Werbern" etwas Broterwerb bleibt.

     

    Ich stimme Herrn Siemes voll zu, dass die allüberall gegenwärtigen Werbetafeln abgeschafft gehören. Sie sind verschandelnd, von abstoßender Ästhetik und eigentlich nur dafür zu gebrauchen, von Adbustern korrekt verändert zu werden. Davon gibt's in Deutschland zu wenige, von den Adbustern natürlich. Komisch, dass in Deutschland, wo das äußere Erscheinungsbild so viel zählt, diese Art von Werbung nirgends eingeschränkt wird.

  • BS
    Berndi Schöngraf

    Der Herr Reinhard Siemes spricht mir mit seiner Haßrede aus dem Herzen. Ich würde die doofen Kreativen einfach erschießen (wenn das nicht verboten wäre). Stattdessen habe ich noch einen Vorschlag für Ihre »ElitePartner - Singles mit Niveau«-Werbung: Architekt spielt Tennis - Designerin joggt gern - Journalistin macht Yoga -

    TAZ-Leser pimpert gern - Partnersuche starten. Vielleicht krieg'ich dann auch mal eine ab.

    Venceremos: Euer Berndi

  • M
    mik

    schöner artikel..sehe ich genauso :) hab auch immer nur "die witzigsten werbespots der welt" gemocht oder solche die mich gekitzelt hat in meine hirn :)

  • P
    p.freese

    R. Siemes und sein Partner (leider den Namen vergessen...) waren schon vor 15 Jahren ein Highlight der W&V Zeitschrift (von Insidern "Bildzeitung-für-Werber" genannt) in ihrer Kolumne auf der jeweils letzten Seite der W&V.

    (deshalb haben wir damals immer von hinten nach vorne gelesen/durchgeblättert.) Erinnert sich noch jemand an den Beitrag "Titelträger" - köstlich.

     

    Klasse, dass es Ihn noch gibt.

     

    Gruß

    P.Freese

  • DC
    Dolorata Consumensens

    Bei dem Artikel lässt der Schmerz etwas nach, der einem täglich zugefügt wird, weil in diesem Land offenbar ein zweiter Mensch mit Gehirn und Gefühl existiert. Aber einen Aspekt hat Herr Siemes noch vergessen: Die T-Online Oberfläche zum Beispiel schleust sogar noch Werbesprüche für Ebay in die Bildschirm-Dialoge ihrer Kunden beim Abrufen von E-Mails. Das war für mich der Grund, mich davon final zu verabschieden.

  • B
    Bremshuber

    Der wütende/alte/kreative Autor tischt hier eine grotesk erlogene Basisthese auf: von den rund 2.000 Werbeeindrücken sind und waren natürlich schon immer exakt die ganzen 2.000 "nervig". Jede anderslautetnde Behauptung wird ausschließlich von Reklamemenschen vertreten, das ist aber ein durchsichtiger Versuch, die eigene, im Normalfall bis jenseits aller Hoffnung verkommene Existenz zu nobilitieren. Es sind schlechte Menschen, die gesellschaftlich geächtet werden müssen.

  • H
    Haller

    ..der Bericht spricht mir und sicherlich vielen Konsumenten "aus dem Herzen". Was ich vermisst habe, ist ein m.E. ein ausserordentlich gravierendes Problem, das der Werbung mit Prominenten. Es ist einfach nicht nachzuvollziehen, dass z.B. Steuerhinterzieher und Auslandsversteuerer in der Werbung noch eine Rolle spielen können. Generell sollte die Werbeindustrie auf solcherlei, meißt dümmliche Werbung, verzichten. Im Falle bestimmter Personen stößt das bei mir auf Ablehnung für die betreffenden Produkte. Ich kann z.B. auch ein "Maisel" trinken!!

    Haller

  • KW
    Kassandra Wahr

    So wahr! Tief empfundener Dank an den Autor!

     

    Werbung, um die (natürlichen und künstlich forcierten) Ängste von ChefInnen und anderen prämienentlohnten Beschäftigten und deren NachahmerInnen nicht spürbar werden zu lassen. Werbung als kostspielige Beruhigungspille ihrer Auftraggeber! Werbung als Ersatz von Personalführung!

     

    Was ist nur aus der guten alten Mundpropaganda geworden? Sie musste Gier und Maßlosigkeit weichen.

     

    Was würde am (Arbeits)Markt geschehen, wenn die Werbe-Etats von Unternehmen und Behörden in eine sinnvolle Weiterbildung der Beschäftigten investiert würden?

  • A
    archimedes

    Ja, bei Werbung kommt es halt nicht primär auf die Kreativität an, sondern auf die vermutete gewinnsteigernde Wirkung, v.a. die diesbezüglichen Vermutungen derer, die in den Hierarchien der Unternehmen weiter oben sitzen.

     

    Es ärgert mich darüber hinaus, dass ich mit fast jedem Produkt, das ich irgendwo kaufe, für so viel schlechte Werbung mitbezahle, ob ich will oder nicht - und schlimmer, damit finanziere ich auch noch Dinge mit wie Motorsport u.a. die mithilfe von Werbung bezahlt werden.

     

    Und ebenso ärgerlich finde ich z.B., dass für Werbung mehr ausgegeben wird, als für effiziente Armutsbekämpfung weltweit; und auch mehr, als für den Ausbau erneuerbarer Energien, der sich großteils mit effektiver Armutsbekämpfung überlappt (z.B.: "Green Jobs" etc. oder vgl. z.B. http://www.tiloo.ch )