Neonazi Michael Kühnen gestorben

■ Der selbsternannte „Führer der Bewegung“ erlag gestern vermutlich einer Immunschwäche

Berlin (taz) — Deutschlands prominentester Rechtsextremist ist tot: Michael Kühnen starb gestern in der Städtischen Klinik von Kassel. Obwohl der leitende Arzt unter Berufung auf seine Schweigepflicht keine Angaben über die Todesursache machen wollte, dürfte der 35jährige aller Wahrscheinlichkeit nach an der Immumschwäche Aids gestorben sein. Sein offenes Bekenntnis zur Homosexualität hatte in den letzten Jahren die militante Neonazi-Szene gespalten — Gerüchte über eine HIV-Infizierung wurden von seinen Gegnern ebenso gezielt gestreut, wie sie von seinen Anhängern als Lüge zurückgewiesen wurden.

Ob „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (Ende 1983 vom Bundesinnenministerium verboten), „NSDAP-Aufbauorganisation Hamburg“, „Aktion Neue Rechte“ oder „Freiheitliche Arbeiterpartei“, immer stand Kühnen in der ersten Reihe. Der militante Neonazi („Ich war, bin und bleibe Nationalsozialist“), der am liebsten in Uniform auftrat, galt auch unter den Verfassungsschützern als einer gefährlichsten Rechtsradikalen in der Bundesrepublik. 1979 wurde Kühnen, der 1977 wegen seiner Aktivitäten in der NPD den Dienst an der Bundeswehrhochschule in Hamburg quittieren mußte, erstmals wegen Aufstachelung zum Rassenhaß und wegen Gewaltverherrlichung vor Gericht gestellt. Er wurde zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Auch eine zweite Verurteilung im Jahr 1985 wegen erneuter neonazistischer Hetze hielt den selbsternannten „Führer der Bewegung“ von der Organisation neonazistischer Zirkel nicht ab — er avancierte im Gegenteil zum Idol der Neonazi-Szene. Als Wahlkampfleiter der „Nationalen Sammlung“ trat er beispielsweise 1989 im hessischen Langen an, um aus der Kleinstadt die erste „ausländerfreie Stadt Deutschlands“ zu machen.

Bis zum Streit um seine Homosexualität war Kühnen unumstritten die Nummer 1 unter den militanten Rechten. Mit der Öffnung der Mauer verlegte der Ideologe, der für den Fall der „Machtübernahme“ von einem Verbot aller Oppositionsparteien und „Umerziehungslagern“ träumte, seine Aktivitäten auf das Gebiet der alten DDR, um dort neue Anhänger „für die Bewegung zu rekrutieren“.

Die Faszination, die von Kühnen ausging, gründete beispielsweise für den verstorbenen Schriftsteller und Anarchisten Erich Fried auf dessen „subjektiver Ehrlichkeit“. Frieds Angebot von 1984, vor Gericht zugunsten Kühnens auszusagen, sorgte unter Linken für heftigen Streit. Bei allen politischen Gegensätzen hatte Fried Kühnen zugute gehalten, er sei ein „vorbildlicher Diskussionspartner“ und „von jeder Verstockheit und Unbelehrbarkeit weit entfernt“.

Vor zwei Wochen wurde Kühnen in Thüringen vorübergehend festgenommen. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft warf ihm vor, ein Fahrzeug ohne die nötige Pflichtversicherung geführt zu haben. Nach seiner Überstellung in die Justizvollzugsanstalt Kassel wurde er wegen seiner Krankheit in die Städtische Klinik verlegt, der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. Wolfgang Gast