Neonazi-Attacken begleiten NSU-Prozess : Drei Festnahmen nach Angriffen
Seit Beginn des NSU-Prozesses gab es in München mehrere Anschläge auf linke Einrichtungen. Nun hat die Münchner Polizei drei Verdächtige festgenommen.

MÜNCHEN taz | Rein rechtlich handelt es sich um Sachbeschädigungen. Dennoch spricht Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat von einer „neuen Qualität“. Neun Mal haben vermutlich Neonazis im Vorfeld und seit Beginn des NSU-Prozesses in München linke Einrichtungen und das Büro einer Opferanwältin attackiert. Mittlerweile hat die Polizei drei mutmaßliche Täter vorübergehend festgenommen, deren Wohnungen durchsucht und umfassendes Beweismaterial sichergestellt. Viel zu spät, sagen die Betroffenen.
Eine Woche vor dem ursprünglich geplanten Prozessbeginn Mitte April ging es los. Am 15. April war ein breites Bündnis aus Nazigegnern gegen Rechtsradikalismus und aus Solidarität mit den Opfern des NSU durch die Münchner Innenstadt gezogen. Danach warfen bislang Unbekannte nachts das Schaufenster der Geschäftsstelle des Bayerischen Flüchtlingsrats in München ein, und zwar an der Stelle, an der das Plakat hing, das zur Teilnahme an der Demonstration aufrief.
Am Wochenende zuvor hatte ein vermummtes Pärchen das Schaufenster bereits mit etwa 15 Aufklebern des „Freien Netzes Süd“ beklebt – der wichtigsten neonazistischen Kameradschaftsstruktur in Bayern, wie Markus Buschmüller vom a.i.d.a.-Archiv in München sagt.
Anfang Mai ritzten Unbekannte dann die Worte „NS Jetzt“, und „Anti-Antifa“ – die Selbstbezeichnung militanter Neonazis, die sich dem Kampf gegen linke und antifaschistische Gruppen verschrieben haben – ins Fenster. „Unser Büro befindet sich seit zehn Jahren an der gleichen Stelle“, sagt Weinzierl. „Diese Form der Bedrohung haben wir bisher noch nie erlebt.“
Adressen veröffentlicht
Weiter ging es beim linken Wohnprojekt Ligsalz8 im Münchner Westend, das sich gegen Neonazis engagiert. Auch hier wurde „Anti-Antifa“ in die Scheibe geritzt. Wenige Tage später warfen Unbekannte die Scheibe ein, wieder an der Stelle, an der das Demoplakat hing. Zudem schleuderten sie in der Nacht darauf Farbbeutel gegen das Haus.
Auch die Kanzlei der Münchner Anwältin Angelika Lex, die die Witwe des vom NSU-Trio in München ermordeten Theodoros Boulgarides als Nebenklägerin im NSU-Prozess vertritt, ist attackiert worden. Ebenso der Kurt-Eisner-Verein, das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Münchner Westend. Zuvor waren die angegriffenen Orte zum Teil auf der Internetplattform blu-News* mit ihrer kompletten Adresse aufgelistet worden.
Lange Zeit fühlten sich die Betroffenen von der Münchner Polizei im Stich gelassen. Es handele sich um „Einzeltäter“, hieß es von Seiten der Polizei zunächst immer wieder. Dem widersprach Markus Buschmüller, dessen a.i.d.a.-Archiv rechtsradikale Umtriebe in Bayern beobachtet, von Anfang an. „Rechtsradikale Angriffe auf linke Strukturen und Migranten häufen sich derzeit nicht nur in München, sondern in ganz Bayern“, so Buschmüller.
Mittlerweile hat auch die Münchner Polizei die Kommunikation verändert. Polizeivizepräsident Robert Kopp berichtete am vergangenen Mittwoch auf Initiative der Münchner Grünen in der Vollversammlung des Stadtrats über die Anschlagserie und betonte mehrmals, die Polizei nehme die Taten „sehr, sehr ernst“. Seit 2011 habe es in München eine Steigerung rechter Straftaten von 240 Vorfällen auf 371 im Jahr 2012 gegeben, so Kopp.
Zwei junge Männer und eine Frau wurden festgenommen, nachdem sie in der Westendstraße bei Schmierereien mit Kreide beobachtet worden waren. Einer von ihnen, ein 27-jähriger Münchner, gehörte einst zur Gruppe um den Rechtsterroristen Martin Wiese, die einen Anschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge am Jakobsplatz geplant hatte.
Weil die Kreideschmierereien keine Sachbeschädigung darstellen, ist entscheidend, ob das Trio auch für die früheren Anschläge verantwortlich ist. Erste Ermittlungsergebnisse deuten offenbar genau darauf hin.
In Kooperation mit Radio Lora München, www.lora924.de
*In einer früheren Version dieses Artikels wurde die Internetplattform blu-News als neonazistisch bezeichnet. Diese Bezeichnung ist nicht gerechtfertigt. Wir bedauern den Fehler.