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Nebensachen aus TokioDie Männer sterben aus

■ Warum Japans Mütter kleine Jungs hassen wie die Pest

Die Kinder werden immer weniger. Die Geburtenrate sinkt. Die Scheidungsrate steigt. Nichts ist mehr, wie es war. Doch liefert eine Ärzte-Umfrage der Nihon Keizai der Nation eine Überraschung: Japans Frauen wollen keine Söhne mehr gebären.

Wir wußten natürlich schon immer, warum es in Japan bequemer und erfolgversprechender ist, ein Mädchen großzuziehen. Kein Fünfjähriger in diesem Land, der sich nicht schon wie ein kleiner Macho aufspielt. „Unsere Knabenidole“, meinte die emanzipierte Journalistin mit zwei kleinen Söhnen, „sind alle dumm. Zwischen dem disziplinierten Musterschüler und dem, der alles für seine Mutter macht, fehlt jegliche männliche Perspektive.“ Das war bisher eine Erkenntnis für Eingeweihte. Denn natürlich galt im konfuzianistisch geprägten Japan der Mann ganz allgemein als Stammhalter der Familie. Ohne den Knaben in der Wiege schien die Zukunft in Gefahr. Also wollten Frauen Jungen kriegen. Heute nicht mehr?

Inzwischen beschäftigen sich Wissenschaftler aller Art mit der neuen weiblichen Disposition. Ihre Erklärungen gleichen Schlaglichtern ins intime Innere der besseren Hälfte der Nation. Die Soziologen etwa behaupten, daß die angehenden Mütter an ihr hohes Alter denken: Ein Mädchen nämlich würde sich um die Mutter noch im Sterbebett kümmern, ein Junge täte das erwartungsgemäß nicht. Familienforscher meinen dagegen, der Frauenfrust mit Söhnen sei in der Angst vor den Qualen der zukünftigen Schwiegermutter zu finden. Traditionell gelte die Beziehung zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter als die schwierigste im japanischen Familiendasein.

Die gewichtigste Interpretation aber liefern die Psychologen. Sie behaupten, die traditionelle Symbiose zwischen Mutter und Sohn befinde sich im Großstadtalltag in der Auflösung: Folge der in Japan besonders starken Geschlechtertrennung, die innerhalb der Kleinfamilie bewirke, daß sich Frauen apriori gar nicht mehr vorstellen können, mit Männern zusammenzuleben — und sei es auch nur mit ihrem Sohn. Georg Blume

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