piwik no script img

■ Nebensachen aus MoskauKaukasier! Hände hoch!

Etwas ist in der russischen Seele völlig verlorengegangen. Die Sensibilität gegenüber Rassismen jeglicher Spielart. „Tscherneje“ – Schwarze – nennen die Russen ihre kaukasischen Mitbürger, wo immer sie herkommen. Und kaum einer beißt sich schamvoll auf die Zunge.

Moskaus Bürgermeister nutzt derzeit die günstigen Umstände des Ausnahmezustands, um sich einen langgehegten Wunsch zu erfüllen. Eine Stadt, ruhig und ordentlich, sauber und weiß. Ganz wie einstmals: „Machen wir Moskau zur kommunistischen Musterstadt!“ Er mißbraucht seine ungeklärten Vollmachten, um Kaukasier vor die Stadttore zu setzen. An die zehntausend sollen fluchtartig die Stadt verlassen haben. Die Märkte – Domäne der Südvölker – sind leergefegt. An Südfrüchten, Auberginen, Zucchinis und Paprika herrscht eklatanter Mangel.

Man hat sie richtiggehend eingeschüchtert. Die Steuerfahndung muß dagegen ein Wohltätigkeitsverein gewesen sein. Bürgermeister Luschkow entblödete sich nicht, von „ehrlichen Händlern“ aus den Städten Südrußlands zu faseln, die die Südländer ersetzen sollen – mit „traditionell russischen Produkten“. Mir ist eigentlich ziemlich wurscht, wer mich übers Ohr haut. Ob irgendein -schwili oder eine Iwanowna. Bei den Kaukasiern wußte ich immerhin, daß sie schwach im Kopfrechnen sind. Meist haben wir dann gemeinsam nachgerechnet und ein Lächeln huschte übers Gesicht.

Außerdem war mir immer klar, wer die Schuld daran trägt: der russische Imperialismus, der seine fremdländischen Untertanen absichtlich in Unwissenheit hält. Ertappe ich aber Frau Iwanowna, wie sie die Waage manipuliert, und sag noch etwas, bin ich der Lump!

Während des Ausnahmezustands sank die Kriminalität beträchtlich. Der „gesunde Menschenverstand“ wird in Kürze die Kausalität nachreichen: wenig Kaukasier – kaum Delikte. Natürlich sind die Moskauer Kaukasier keine Waisenknaben. Um die Neutralisierung der Verbrechensstatistik machen sie sich bestimmt nicht verdient. Wenn das Auto weg ist, versucht man erst einmal Kontakte zur tschetschenischen Mafia herzustellen. Um einen Rückgabepreis auszuhandeln.

Aber wer kauft das gestohlene Gut? Der Kolchosvorsitzende beispielsweise, wie mir der Abschnittsleiter der Polzei erläuterte – und jener ist mit Sicherheit Russe. Mich schmerzte der Verlust meines Wagens. Dennoch brachte ich Verständnis für die kaukasische Rache an hundert und mehr Jahren russischer Knute auf.

Der Polizist konnte dem Gedankengang nicht folgen. Den Hinweis auf die sozialistische Unmoral, der schließlich alles zum Opfer fiel, was nicht niet- und nagelfest war, wollte er auch nicht gelten lassen. Nun hatte ich den Diebstahl meines Wagens selbst verschuldet. Ich hatte den Kapitalismus importiert und sollte mich mit den Folgen gefälligst abfinden. Schluß. Er war stinkwütend und ein Rassist.

Totalitäre Gesellschaften gebären autoritäre Charaktere. Da machen Russen keine Ausnahme. Zeigt man ihnen die Harke, wie es bedauerlicherweise im Baltikum geschieht, schreien sie sofort nach den Menschenrechten. Sie können nicht begreifen, daß man sie nicht will. Erst verleibten sie sich den Kaukasus blutig ein, später erfanden sie den Internationalismus.

Heute deportiert man ihre kosmopolitischen Zöglinge. Wider Erwarten erhob sich Protest, aus den eigenen Reihen. Das macht Hoffnung. Wenn Rußland erst über demokratische Institutionen verfügt – wie wir – wird es um vieles ziviler zugehen ... Klaus-Helge Donath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen