■ Nebensachen aus Kairo: Die Zeit des Staatsfernsehens ist vorbei
Es verbreitet sich wie ein Flächenbrand, ähnelt einer Seuche, ist hochgradig ansteckend und nahezu unaufhaltsam. Die Symptome haben einen Durchmesser von zwei Metern. In Form einer überdimensionalen Suppenterrine ragen sie in den trüben Kairoer Himmel: Die Satellitenschüsseln – der Schlüssel zum Fernsehen ohne Grenzen.
Die Dächer-Silhouette in den Neureichenvierteln der ägyptischen Nilmetropole ist inzwischen mit Tausenden solcher Ungetüme bestückt. Auf manchen Häusern finden sich ganze Wälder dieser futuristischen Gebilde, neben denen die antiquierte gute alte Fernsehantenne fast wie etwas Vergessenes aus anderen Zeiten erscheint. Über eine viertel Million solcher Satellitenschüsseln soll es inzwischen im Land der Pharaonen geben. Vier Millionen ÄgypterInnen zählen zu ihren täglichen NutznießerInnen. Kein Wunder also, daß die Welt der ägyptischen Mattscheiben in Unordnung geraten ist. Die Zeit des Monopols des ultralangweiligen Staatsfernsehens ist vorüber. An dessen Stelle tritt der ungebändigte TV- Konsum. Vom News-Trommelfeuer des US-amerikanischen Nachrichtenkanals CNN zum türkischen Porno-Kanal – die Auswahl überschreitet die Aufnahmefähigkeit menschlicher Gehirnwindungen.
Eine derartig umwälzende Entwicklung hinterläßt natürlich ihre Spuren. In einigen Schulen der Mittelmeerprovinz Daqahliya und in Port Said sank die Anwesenheitsrate der Schüler um satte vierzig Prozent. Die Netze der Fischer rotteten unterdessen ungepflegt in der Sonne dahin. Der Grund: Einige pfiffige Caféhausbesitzer hatten schnell die Zeichen der Zeit erkannt. Gegen ein kleines Entgelt weihten sie ihre Gäste in die geheimnisvolle Welt der ausländischen Fernsehprogramme ein. In diesen neuen improvisierten Unterhaltungstempeln konnten die Lehrer ihre ungehorsamen Schüler dann nach und nach wieder einsammeln.
Da zog Provinzgouverneur Generalmajor Ibrahim Al- Scheich die Notbremse. Satellitenschüsseln, so lautete sein Beschluß, sind fortan aus allen öffentlichen Orten der Provinz, wie Cafés und Clubs, zu verbannen. Am liebsten, so ließ er verlauten, hätte er dieses Verbot sogar gegen alle diese Schüseln der Unproduktivität ausgesprochen.
Auch die Moscheen gingen zum Gegenangriff über und starteten eine Kampagne gegen das neue Instrument des Satans. Das Ministerium für Religiöse Angelegenheiten bietet Fortbildungskurse für lokale Moscheenvorsteher an, die darin trainiert werden sollen, wie sie ihre Schäflein in Zukunft vom Kulturimperialismus aus dem All fernhalten können. Ein Anwalt in der südägyptischen Stadt Assuan zog gegen die neue technische Innovation gar vor Gericht. Die Programme des Satellitenfernsehens widersprächen den Lehren des Islam, argumentiert er. Darin sieht der findige Advokat einen Verstoß gegen die ägyptische Verfassung. Dort werden in Artikel II der Islam zur Staatsreligion und die Grundlagen des Islamischen Rechts zur Hauptquelle der Gesetzgebung erklärt.
Die staatlich verordnete Schüssel-Prohibition für Caféhäuser trifft mal wieder die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, für die der neue Dachnapf unerschwinglich bleibt. Aber auch sie haben ihre Hoffnung nicht aufgegeben. Für einen Tageslohn läßt sich die Alternative zur begehrten und unerreichbaren Schüssel erstehen: Ein fernsehantennengroßes Holzgerüst mit Gabeln, Löffeln und allerhand anderem Besteck an den Enden verspricht den Durchbruch für den Massenverbraucher. Für ein schärferes Bild sind noch zusätzlich handgroße nachgeformte Satellitenschüsselchen aus Aluminium daraufgenagelt. Der kleine Verkäuferjunge schwört auf diese neue ägyptische Technik. „Damit steht“, das könne er hundertprozentig garantieren, „auch dem Empfang von CNN nichts mehr im Wege“. Karim El-Gawhary
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