■ Nebensachen aus Brüssel: Noch eine Euro-Unklarheit
Der flämische Fernsehsender TV-Brussels hat sich diesmal eine besondere Sommeridee einfallen lassen: Reportagen aus dem Paddelboot. Das Besondere daran war, daß der Sender seinen bekanntesten Moderator auf die Zenne schickte – den Fluß, der früher einmal durch die belgische Hauptstadt floß. So durften die Zuschauer den tapferen Fernsehmann dabei beobachten, wie er ein schlammiges Rinnsal hinunterruderte, von seinen jüngsten Entdeckungen in Abwasserschächten erzählte und gelegentlich sogar ausstieg.
Am Anfang, in der hügeligen Landschaft nahe der französischen Grenze, kam zwischen uralten Laubwäldern sogar ein richtiger Wasserfall ins Bild, der sich glasklar in einen kleinen, zugewachsenen Weiher stürzte. Doch je näher das Boot auf Brüssel zutrieb, desto trüber wurde die Brühe. Normalerweise werden Flüsse breiter, wenn sie aus den Bergen herauskommen und das Wasser der Zuflüsse mitnehmen. Die Zenne dagegen wird schmaler, weil die Bauern seit langem immer mehr für die Bewässerung der Felder abzweigen. Dafür wird der Fluß mit jedem Kilometer gehaltvoller.
Immer wieder paddelte der Wasserwanderer telegen an mannshohen Abwasserrohren vorbei, deren breiiger Ausfluß das Wasser unterm Kanu noch ein paar Nuancen dunkler färbte. Ohne Ekel, eher mit Erstaunen kommentierte der Moderator die farblichen Veränderungen und genoß es sichtlich, daß ihn die Zuschauer endlich einmal in Freiheit erleben konnten.
Manchmal lud er auch Gäste ein. Die schilderten dann, eingerahmt von treibenden Plastikflaschen und feststeckenden Autoteilen, daß sie früher hier baden waren. Gelegentlich stapfte der Journalist auch ein paar Meter in die Abwasserrohre hinein, bis es für die Kamera zu dunkel wurde.
Um herauszufinden, was ihm da so um die Gummistiefel waberte, war es auch nicht nötig weiterzugehen. Vom Fluß aus sind die Fabriken, Dörfer und manchmal ganze Städte leicht zu sehen, die an der Zenne ihr Wasser abschlagen. In Belgien hat nicht einmal Brüssel eine Kläranlage. Deshalb war die TV- Sommerreise auch kurz vor der europäischen Hauptstadt zu Ende. Die Brüsseler haben ihren Fluß zugemacht, vergraben und luftdicht wegbetoniert.
Den Anfang machten sie schon vor über hundert Jahren. Seitdem werden alle fünf bis zehn Jahre ein paar weitere Flußmeter abgedeckt. Die Anwohner bitten darum, denn um die erste Kläranlage, vor drei Jahren angefangen, endlich rasch fertigzubauen, fehlt der Stadt das Geld.
Dabei gibt es seit sechs Jahren eine Euro-Richtlinie, die für Städte mit mehr als 40.000 Einwohnern eine Abwasserreinigung zwingend vorschreibt. Brüssel hat fast eine Million. Doch die Eurobeamten, die in Brüssel bekanntlich ihr Hauptquartier haben, wollen lieber nicht so genau hinschauen.
Die ganze ungefilterte Wahrheit bleibt auch den Zuschauern von TV-Brussels erspart. Dort, wo die Zenne hinter der Hauptstadt wiederauftaucht, wollte sogar der TV-Moderator nicht mehr. Alois Berger
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