Nazi-Verstrickungen beim Geheimdienst: Die braunen Wurzeln des BND
NS-Belastung, was heißt das denn konkret? Eine Erklärung liefern vier neue Bände zur Geschichte des BND zwischen 1945 und 1968.
Wer hätte das gedacht. Im Herbst 2010 wirbelte eine von Joschka Fischer in Auftrag gegebene Studie über das Auswärtige Amt im „Dritten Reich“ und in der frühen Bundesrepublik viel Staub auf. Seitdem ist die Liste der Behörden, deren Geschichte in Bezug auf den Nationalsozialismus und/oder dessen Nachwirkungen untersucht wurde, so lang geworden, dass darüber ein eigenes kleines Büchlein verfasst werden konnte (Mentel/Weise: „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus“, 2016).
Mit am erstaunlichsten an dieser – übrigens auch durch stetes parlamentarisches Nachbohren forcierten – Entwicklung ist, dass zu den Institutionen, die ihre Geschichte aufarbeiten ließen, auch das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Bundesnachrichtendienst zählten.
Würden ausgerechnet diese Institutionen wirklich bereit sein, ihre Archive zu öffnen? Sie waren es – wenn auch im Fall des BND nur bis 1968. Die beteiligten HistorikerInnen betonen sogar, sie hätten nicht den Eindruck, dass ihnen Akten vorenthalten wurden. Und die Befunde können sich sehen lassen – nicht nur in Bezug auf personelle, sondern auch auf politische Kontinuitäten.
Das Buch über das BfV brachte ans Licht, dass einstige SS- und Gestapo-Chargen in großer Zahl als „freie Mitarbeiter“ in einem pseudolegalen „Nebenbundesamt“ eine Anstellung fanden, das von der Amtsspitze kaum kontrolliert wurde. Die BKA-Studie konnte zeigen, dass die vielen ehemaligen Angehörigen der Gestapo und des Sicherheitsdienstes der SS ihr vermeintliches Wissen darüber, was einen Verbrecher ausmachte und wie man ihn am besten bekämpfte, nach 1945 nicht nur weiterverwendeten, sondern auch an jüngere KollegInnen weitergaben.
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Mitglied einer Arbeitsgruppe, die im Auftrag von Thomas de Maizière die Geschichte der Innenministerien in Bonn und Ostberlin erforscht.
Mehr als schnöde Nazi-Zählerei
Tatsächlich hatten die Studien um einiges mehr zu bieten als schnöde Nazi-Zählerei oder Porträts einiger besonders unappetitlicher Fälle von personeller Restauration. Auf die ersten vier von insgesamt dreizehn geplanten Bänden zur Geschichte des BND trifft dies ebenfalls zu. Schon Band 1 der Reihe, den Christoph Rass über das Sozialprofil des BND verfasst hat, verdeutlicht, wie sehr die Forschung zur NS-Nachgeschichte seit dem Erscheinen von „Das Amt“ ihr Methodenarsenal ausgebaut hat. Rass zählt nämlich in erster Linie Nazis, wenn man so will. Er tut dies jedoch auf einem sozialwissenschaftlich ausgefeilten Niveau, das für Studien zu diesem Themenbereich selten ist.
Um qualitativ arbeiten zu können, untersucht Rass nicht die materiale Belastung der BND-Mitarbeiter, also ihr konkretes Handeln zwischen 1933 und 1945. Dies überlässt er explizit den AutorInnen der zwölf Folgebände. Ihn interessieren formale Belastungen, die den Vorteil haben, dass sie sich leichter rekonstruieren und quantifizieren lassen. Den unscharfen Begriff der „NS-Belastung“ sinnvoll präzisierend, unterscheidet Rass zwei Arten von „biografischen Markern“, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BND „mit dem Dritten Reich verbunden“ haben: zum einen die Mitgliedschaft in der NSDAP und anderen NS-Organisationen; zum anderen Beschäftigungsverhältnisse im Staatsdienst des „Dritten Reiches“ – von der Verwaltung über die Polizei oder die Ministerialbürokratie bis zu Wehrmacht, Waffen-SS und Reichssicherheitshauptamt.
Personalakten geprüft
Wie findet Rass heraus, welche Person über welche NS-Marker verfügt? Den Kern seiner Quellenbasis bildet eine aus 3.650 Lebensläufen bestehende Zufallsstichprobe aus den Personalakten der knapp 12.000 MitarbeiterInnen, die bis 1968 beim BND in Pullach beziehungsweise bis 1956 bei seinem Vorgänger, der Organisation Gehlen (Org.), tätig waren. Rass schaut nicht nur auf das Leitungspersonal, wie in Aufarbeitungsstudien sonst üblich, sondern auf die Gesamtheit der hauptamtlich Beschäftigten. Ein sinnvoller Ansatz, wird auf diese Weise doch nicht nur das Sozialprofil eines ganzen Geheimdienstes erstmals sichtbar gemacht, sondern auch das einer (fast) stinknormalen Bundesbehörde.
Rass’ Befunde werden KennerInnen der Materie wenig überraschen. Aber es tut gut, das Ausmaß der personellen Restauration einmal so präzise definiert und vorgeführt zu bekommen. Noch in den Jahren, als die APO gegen die Notstandsgesetze auf die Straße ging, war der BND sehr stark von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren beherrscht, die Dank des Mythos von der „sauberen Wehrmacht“ als über jeden Zweifel erhaben galten, obwohl viele von ihnen als ehemalige Angehörige der Abwehr oder der Abteilung Fremde Heere Ost am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion teilgenommen hatten.
Christoph Rass et al. (Hg.): „Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968“. Bd. I–IV. CH. Links Verlag, Berlin 2016
Junge Leute rückten zwar nach, kamen aber erst im Laufe der 1970er Jahre in Führungspositionen. Der Frauenanteil stieg zwischen 1945 und 1968 von null auf 40 Prozent. Die übergroße Mehrheit arbeitete als Schreib-, Reinigungs- oder Küchenkraft. In Rass’ Sample brachte es nur eine Frau zur Hilfsreferentin. Als Sachgebietsleiterin erarbeitete sie Lagebilder zu Staaten südlich der Sahara.
Wer sich nun fragt, welche konkreten Folgen diese Personalentwicklung für die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ hatte, dem sei das Buch von Gerhard Sälter über die Wiederbelebung des alten Nazi-Feindbildes von der „Roten Kapelle“ durch die Organisation Gehlen ans Herz gelegt. Die „Rote Kapelle“ war eine parteiübergreifende Widerstandsgruppe gewesen, die bereits von der Gestapo als viel größer und mächtiger gehandelt worden war, als es sich ihre Mitglieder jemals zu träumen gewagt hätten. In Pullach ging man davon aus, dass überlebende Teile der „Roten Kapelle“ nunmehr als „fünfte Kolonne“ große Teile der Bundesrepublik unterwanderten. Das war zwar völliger Humbug, zeitigte aber reale Folgen: Überwacht, diffamiert und eingeschüchtert wurden insbesondere ehemalige Mitglieder des Widerstands, die es wagten, als Lehre aus ihrer Verfolgungserfahrung im „Dritten Reich“ nonkonforme Positionen zu vertreten. Sälters Studie vermittelt einen Eindruck davon, was Fritz Bauer damit meinte, als er sagte, dass er sich wie in Feindesland fühle, wenn er das Haus verlässt.
Schüchterte die Org. in Westdeutschland auf eigene Faust politisch Unbequeme ein, betrieb sie auf dem Gebiet der DDR „totale Spionage“, wie es Ronny Heidenreich, Daniela Münkel und Elke Stadelmann-Wenz in ihrem Buch über den Geheimdienstkrieg in Deutschland vor und nach dem 17. Juni 1953 formulieren. Eine stetig anschwellende Zahl von V-Leuten sollte „über die militärische und wirtschaftliche Lage ebenso auskunftsfähig sein wie über die politische und gesellschaftliche Entwicklung“. Auch weil die Org. im Osten mehr auf Massenspionage denn auf Vorsicht setzte, gelang es der Stasi nach dem 17. Juni auf einen Schlag 93 V-Leute zu verhaften. Das einfühlsame Gruppenporträt dieser Personen zählt zu den beeindruckendsten Passagen des Buches.
Eine weitere Folge der immensen personellen Kontinuität war, dass es der BND gar nicht mitbekam, dass er bisweilen selbst eine Gefahr für die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ darstellte. Besonders greifbar wird dies in Sabrina Nowacks Studie über Personalüberprüfungen, die in den 1960ern zum Ausschluss von 68 belasteten Personen führten: Ein „Sicherheitsrisiko“ stellten die Betroffenen nicht etwa wegen ihres mentalen Gepäcks aus den Jahren 1933 bis 1945 dar, sondern weil sie als erpressbar galten und ihre NS-Belastung den BND angreifbar machte.
Das breite Echo, das die Aufarbeitungskommissionen bis heute erfahren, wird nicht immer der Komplexität – und damit der Brisanz – ihrer Forschungsergebnisse gerecht. Braune Wurzeln! Lange Schatten! Mehr Nazis als erwartet! Soundso viel Prozent ehemalige NSDAP-Mitglieder! Die Schlagzeilen ähneln sich. Es ist den AutorInnen des BND-Projekts zu wünschen, dass die Rezeption in ihrem Fall anders verläuft. Um einen Anfang zu machen, kommt dieser Artikel ganz ohne die Nennung von NSDAP-Mitgliedschaftsanteilen aus.
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