Naturkatastrophe vor chinesischer Küste: Regime verschleiert Ölpest
Chinas Behörden versuchen die Ausmaße der Ölkatastrophe im gelben Meer herunterzuspielen. Doch interessierte Bürger schildern die wahren Zustände im Internet.
![](https://taz.de/picture/302066/14/OElpest_USA.20100803-16.jpg)
PEKING taz | Fischer mit nacktem Oberkörper schöpfen mit Strohmatten Öl aus dem Meer - täglich zeigt das staatliche chinesische Fernsehen diese Bilder. Mitte Juli war in der nordchinesischen Hafenstadt Dalian ein Ölsammelbehälter der Firma China National Petroleum Corporation (CNPC) explodiert. Tausende Tonnen Öl haben Strände und Gewässer schwer verschmutzt.
Die Bilder im Fernsehen sind Beleg für den gelassenen Umgang der Staatsführung mit der Katastrophe: Sie meldet unerschöpflicher Einsatz, eindrucksvolle Zahlen und mitmachende Erfolgsmeldungen. Dank der 8150 Fischerboote, 45.000 Helfer, 466.000 Plastiktüten und 430.000 Metern Strohmatten haben die Reinigungsarbeiten einen "entscheidenden Erfolg" erzielt, lobte die Dalianer Stadtverwaltung. Touristen genießen nun wieder den Strand und "optimistische Bewohner" die Meeresfrüchte, heißt es auf ihrer Webseite.
Das ist die offizielle Meinung. Die stellen US-Ölexperte Richard Steiner und die Umweltschutzorganisation Greenpeace mit ihrem am Montag veröffentlichten Untersuchungsbericht aber in Frage. Den Bericht haben Chinas Internetnutzer blitzschnell über Diskussionsplattformen, Webtagebücher und Mikroblogs verbreitet. Die Zensoren kommen nicht nach, oder sie sind angewiesen worden die Volksmeinung zu beobachten.
Also können interessierte Nutzer auch folgendes lesen: Nicht 1500 Tonnen wie offiziell behauptet, sondern zwischen 60.000 und 90.000 Tonnen Öl seien ins Gelbe Meer bei Dalian geflossen, schätzt Steiner in seinem Bericht. Es wären noch "substantielle Ölmengen" auf dem Meer, in Strandnähe und an Stränden. Alle Meeresorganismen seien massiv vergiftet worden. Im Sand abgelagerte und auf dem Grund versickerte Ölrestestoffe werden die Region "auf Jahre" belasten.
Für die offiziellen Darstellungen haben viele chinesische Webuser nur noch Spott übrig. "Ein Leben ist für den "großartiger Erfolg der Reinigungsarbeiten nichts wert", schreiben mehre von insgesamt 3000 Kommentatoren im Webforum des Portals QQ unter der Bilderserie des Fotographen Jiang He, die das Versinken eines Feuerwehrmannes im Ölteppich dokumentierte. Und Chinas "Nachrichtenarbeiter", wie sie sich oft nennen, machen ihre eigene Berichterstattung. Im Mikroblog der IT-Firma Sina stellt Nutzer "Weitang Nuanhe" Bilder der mit bloßen Händen nach Öl schöpfenden Fischer und den in Schutzkleidung verpackten Helfern bei der BP-Ölkatastrophe in Mexiko gegenüber. Blogger "Tianyuan Tongyou" aus Dalian erklärt, warum sich die Fischer ungeschützt in die Ölteppiche begeben. "Die Regierung zahlt den Fischern 1000 Yuan (110 Euro) Reinigungsbeihilfe pro Boot und Tag sowie 300 Yuan pro Öltonne", schreibt er, "wie man hört soll das Geld von CNPC stammen."
Die Schuldfrage des Unternehmens thematisieren auch Chinas investigative Magazine wie CBNweekly oder New Weekly. Der staatliche Ölgigant glänzt bis dato hauptsächlich durch Schweigen. CNPC habe ein eigenes Klassifizierungssystem für "sensible Informationen", zitiert ein Reporter von CBNweekly einen Angestellten des Unternehmens. "Sie dürfen ihre wichtigste Beziehung nicht riskieren - die zu den staatlichen Behörden", folgert das Magazin.
Die Firma wird letztlich die komplette Verantwortung übernehmen, analysiert "New Weekly". Dafür brumme ihr die Regierung eine Strafe in Maßen auf und Bürgerklagen auf Schadensersatz werden nicht zugelassen. Das wird auch Chinas kritische Öffentlichkeit nicht verhindern können. Aber sie behalten ihre Regierung im Visier.
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