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NahverkehrBehinderte werden behindert

Der Begleitservice für behinderte und ältere Menschen in Bus und Bahn wird eingeschränkt. Weder Verkehrsverbund noch der Senator fühlen sich verantwortlich.

Bahnsteig, S-Bahn können zum Beispiel für Rollstuhlfahrer alleine nur schwer zu bewältigen sein. Bild: dapd, Paul Zinken

"Sollen behinderte Menschen jetzt um 18 Uhr ins Bett gehen?" Sandy Krohn vom Berliner Behindertenverband ist empört: Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) bietet den Begleitservice für Bus und Bahn seit diesem Monat nur noch werktags von 7 bis 18 Uhr an. In den Abendstunden und am Wochenende fällt der Dienst, den vor allem behinderte und ältere Menschen in Anspruch nehmen, komplett weg. "Für alle, die keinen privaten Chauffeur haben, heißt das: Zuhause bleiben", befürchtet Krohn.

Seit 2008 gibt es den kostenlosen Begleitservice des VBB. Die Mitarbeiter mit den roten Jacken holen "mobilitätseingeschränkte Menschen" an der Wohnungstür ab und begleiten sie mit Bus und Bahn zum Arzt, zu Veranstaltungen und zur Arbeit. Viele Blinde, Sehgeschädigte oder Epileptiker nutzen den Service, weil sie sich lange und komplizierte Strecken nicht alleine zutrauen und keine Berechtigung für den als Telebus bekannten Sonderfahrdienst haben.

Erst im Sommer vergangenen Jahres hatte der VBB den Begleitdienst auf ein tägliches Angebot von 7 bis 22 Uhr ausgeweitet. "Denn der Bedarf ist groß", sagt selbst VBB-Sprecherin Elke Krokowski. 40.000 Begleitungen hat man beim VBB seit der Einführung gezählt. Doch Ende Januar lief fast die Hälfte der 100 Begleitservice-Stellen aus. Der VBB hatte sie über den Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) finanziert. Weil der Bund die Mittel für Arbeitsmaßnahmen drastisch gekürzt hat und sich der rot-schwarze Senat entschlossen hat, den ÖBS nicht weiterzuführen, gibt es bislang keine Anschlussfinanzierung. "Der Begleitservice ist ein schönes Zusatzangebot. Aber ohne staatliche Förderung haben wir dafür kein Geld", sagt Krokowski vom VBB.

Die UN-Konvention

UN-Behindertenrechtskonvention, Artikel 9 (Barrierefreiheit): "Um Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation zu gewährleisten."

In Deutschland ist die Behindertenkonvention im März 2009 in Kraft getreten und damit verbindliches Bundesgesetz. Berlin hat sich zur unverzüglichen Umsetzung verpflichtet.

Der Behindertenbeauftragte des Senats, Jürgen Schneider, ist entrüstet: "Es darf nicht sein, dass dieses notwendige Angebot von der Konjunktur irgendwelcher Arbeitsmarktprogramme abhängig ist." Schneider sieht die Verkehrsbetriebe als öffentliche Unternehmen in der Pflicht. Diese müssten gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Bus und Bahn benutzen können. "Wir werden diese Einschränkungen nicht widerspruchslos hinnehmen", kündigt auch André Nowak, stellvertretender Vorsitzender des Behindertenverbands, an. Spätestens mit der seit 2009 geltenden UN-Behindertenrechtskonvention sei klar, dass sich die Gesellschaft nach den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen richten müsse und nicht umgekehrt. Solange die Stadt nicht barrierefrei ist, sei der Senat dafür verantwortlich, dass Menschen mit Behinderungen die Barrieren überwinden können. "Da haben wir jetzt einen Sozialsenator von der CDU und die Leute können sonntags nicht mal zum Gottesdienst fahren", so Nowak.

Die Verwaltung von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) sieht sich laut eigener Homepage "in besonderem Maße gefordert, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung zu verbessern, bestehende Barrieren abzubauen und eine gleichberechtigte Teilhabe im beruflichen wie im sozialen Bereich zu sichern". Für den aktuellen Fall fühlt man sich allerdings nicht zuständig. Auf Anfrage heißt es: "Der Verkehrsträger muss selbst dafür sorgen, dass alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer sicher und möglichst barrierefrei befördert werden. Dies gilt umso mehr für Menschen mit Behinderungen." Wenn überhaupt, dann sei die Arbeitssenatorin zuständig.

Doch Dilek Kolat (SPD) sieht das anders. "Geförderte Arbeitsmaßnahmen werden immer befristet sein und sind nicht dazu da, soziale Projekte dauerhaft zu finanzieren", betonte die Arbeitssenatorin gegenüber der taz. Weil ihr das Projekt aber am Herzen liege, versuche sie, zusammen mit VBB und den Jobcentern eine Anschlussfinanzierung des Begleitservice zu finden. Bislang sei aber noch nichts spruchreif.

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12 Kommentare

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  • PH
    peter horn

    Das ist alles wie immer,die kleinsten und schwächsten leiden in unserer Gesellschaft.Ändern wird sich wohl nie was.Die Begleiter die Ihren Job gut machten und immer für Ihre Kunden da waren,in jeder Situation fragt keiner.Ich bin einer von Ihnen.

  • H
    Henriette

    In den UN-Konventionen, die hierzulande seit 2009 gelten steht geschrieben, dass jeder das Recht auf Teilhabe und Partizipation hat. Jeder. Das ist der Blinde, der Rollifahrer und das schließt auch den Arzt Fabian nicht aus. Wir sind verdammt nochmal alle gleich. Wir alle haben einen Makel, eine Beeinträchtigung. Nur manchen sieht man es an und anderen eben nicht - nicht wahr Fabian?! Würden wir Menschen mit Beeinträchtigung als selbstverständlich und als zugehörig sehen, gäbe es keine Diskussion über den Begleitservice.Man würde weiter übers Wetter reden. Aber was hat das schon mit Politik/Willkür zu tun...

  • EA
    Enzo Aduro

    @Fabian

    Diese Erfahrungen habe ich auch schon gemacht. Echt traurig.

  • SV
    Schwerbehinderten Vertrauensperson

    Es geht doch nicht darum daß auch Behinderte das Recht haben müssen sich selbständig in der Gesellschaft bewegen zu können und nicht von anderen auf Almosen angewiesen zu sein. Wenn man immer nur in der Familie fragen muss: Darf ich denn ins Kino gehen oder ins Konzert, wird man zum Almosenempfänger. Das ist auf die Dauer herab würdigend. Ich als Schwerbehindertenbeauftragter einer sehr großen Firma kämpfe auch täglich um die Barrierefreiheit meiner Kollegen.

    Es kann einfach nicht das Ziel unserer Gesellschaft sein, die behinderten Menschen wieder in eine Abhängigkeit zu zwingen.

     

    Gruß SBV

  • H
    Helo

    meist ist es keine Kostenfrage, sondern fehlende Wertschätzung das Problem warum Unterstützungen abgelehnt werden. Die Schwächsten in einer Gesellschaft sollen sich mit dem begnügen, was vom Tisch fällt, während die Millionäre an der Tafel nicht mehr wissen wie sich hungrig sein anfühlt.

  • ZW
    Zelebus wurde abgeschaddt - OPNV unzumutbar

    Und dann erst viele Fahrer/innen der BVG-Busse und BVG-Straßenbahnen; vile der FahrerInnen von Bus und Straßenbahn sind so dreist und lassen, slebst bei Minusgraden Behinderte an Haltestellen stehen!

    DAS zeigt, welche Personal(eine 'Alles-egal-wir nehmen jeden/jede-Politik') die Berliner Vekehrsbetriebe beschäftigen, ähm mit Gehalt jeden Monat zuschütten. Wofür, das kann die BCG wahrscheinlich selber nicht sagen, geschweige denn nachweisen.

  • V
    vic

    Fühlen sie sich jetzt wohler, Gerd Heise?

    Und bei Ihnen, Fabian der Arzt, möchte ich nicht Patient sein.

  • E
    erikius

    Diese Probleme wären doch gar nicht da, wenn sich Freunde / Familie mehr kümmern würden. Es gibt Länder auf dieser Erde dort gibt es gar keine Sozialleistungen und Behinderte sind mobil. Vielleicht wäre es angebrachter über unseren egoistischen und antifamiliären Kurs der Gesellschaft nachzudenken anstatt alle Verantwortung an Staat und Verkehrsbetriebe abzugeben.

    Für mich war es nie ein Problem auf dem Weg zum Gottesdiesnt im örtlichen Altersheim einen Rollstuhlfahrer mitzunehmen.

    Menschen / Freunden / Familienangehörigen Liebe entgegenzubringen hat auch mit persönlichen Opfern zu tun, zum Beispiel Zeit zu investieren.

    Das es seit 2008(?) diesen Service gibt liegt doch daran, dass die Bevölkerung behindertenfeindlich geworden ist (siehe die zahlreichen Abtreibungen wegen Behinderung) und der Staat versucht hat dies ein wenig abzumildern.

    Gerade von einer linken Zeitung hätte ich erwartet, dass sie zu mehr Solidarität untereinander aufruft. Eine Gesellschaft verbessert man nicht, indem man ignorant Verantwortung immer an den nächsten abgibt. Solidarität fängt bei jedem selber an!

  • B
    blah

    "Es geht hier doch nicht um ein soziales Projekt, sondern um die notwendige Mobilität von allen Menschen." - Das Problem ist, daß Sie damit mehr verstanden haben als die zuständigen Stellen.

  • F
    Fabian

    Und ich kann nur sagen behinderte behindern mich. ich bin arzt und das auftreten von behinderten (gerade im gesundheitswesen) ist zum großteil unerträglich. Viele geben sich dort gerne ihrer hilfsbedürftigkeit hin und sind garnicht an einer verbesserung ihrer situation interessiert.

  • D
    dhurururu

    Es geht hier doch nicht um ein soziales Projekt, sondern um die notwendige Mobilität von allen Menschen.Wenn wir nicht in Form von 'Geld'denken würden,wäre das auch ganz klar.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Niemand darf auf Grund einer Behinderung benachteiligt werden

    Lait Grundgesetz Artikel 3,Absatz 3 darf niemand augf Grund einer Behinderung benachteiligt werdenTheroroie und Praxishandhabung trifften aber in Deutschland weit auseinander,

    Die UN-Behindertenrechtskonvention findet keien Anwendung und wird nicht praktiziert.was den Begleitservice in Bahnen und Bussen betrifft.

    Was Behinderten gerewchte Politik betrifft befinde6t sich Deutschland noch auf einer Entwicklungsstufe.

    Von den skandinavischen Ländern könnte Deutschland noch viel lernen ,was es heißt Behindertenfreundlich zu sein.

    Deutschland kann man das Stigna auferlegen ein Behindertenfeindliches Land zu sein. sein.ehinderetnfreundlich zu sein