■ Nagende Zweifel am politischen Profil Wolfgang Schäubles: Im Kern liberal oder deutschnational?
Wolfgang Schäuble gehört zu den wenigen Bonner Politikern, die es, trotz gelegentlicher Irritationen, geschafft haben, sich auch bei einem breiteren Publikum ein positives Image zuzulegen. Der Mann gilt als kompetent, pragmatischem Umgang mit dem politischen Gegner zugeneigt und intellektuell als so beweglich, daß er auch unkonventionelle Wege zu diskutieren bereit ist. Dazu kommt, daß sein eiserner Wille gegenüber seiner Behinderung, die Strenge gegen sich selbst, ähnliche Forderungen an andere nachvollziehbar macht. Was anderen als arrogant ausgelegt würde, gilt bei Schäuble als asketische Tugend.
Diese geballte Ladung vorzeigbarer Sekundärtugenden drängt in der Regel die Frage in den Hintergrund, mit welchem Ziel Schäuble eigentlich Politik macht. Stets galt er als der Unterhändler der CDU. Wo andere steckenblieben, räumte er Hindernisse aus dem Weg. So brachte CSU-Innenminister Zimmermann gerade wegen seines ideologischen Getöses kein neues Ausländergesetz auf den Weg. Mit Schäuble im Amt war das – im Kern unverändert reaktionäre – Gesetz innerhalb weniger Monate über die Bühne. Die Verhandlungsführung für den Einigungsvertrag lief denn auch automatisch auf Schäuble zu, der trotzdem für die Mängel dieses Machwerks jetzt kaum verantwortlich gemacht wird. Hängen blieb nur, wie schnell es dank Schäuble vollbracht wurde. In einem Interview mit der taz sagte Schäuble, konservativ ja, aber deutschnational dürfe man ihn nicht nennen.
Das wirkt glaubwürdig, doch die Früchte seines Tuns weisen allzu oft in die andere Richtung. Wie jetzt wieder bei seinem jüngsten Vorstoß zum Einsatz der Bundeswehr für die „innere Sicherheit“, neigt die veröffentlichte Meinung zu der Einschätzung, Schäuble lanciere hier aus machttaktischen Erwägungen Parolen, die ihm, als Privatmann sozusagen, gar nicht liegen. Die Bundeswehr für mögliche soziale Konflikte bereithalten, Schießbefehl auf die anstürmenden Flüchtlinge aus dem Osten – Phantasien für einen autoritären Staat, die Schäuble lediglich zur Sicherung der rechten Flanke der Union instrumentalisiert? Abschaffung des Asylrechts, soziale Demontage, Verhinderung des Kinkel-Kompromisses für den Einsatz deutscher Blauhelme, Torpedierung der Kandidatur Däubler-Gmelins für das Verfassungsgericht – Schäuble war stets auf der Seite der rechten Konservativen. Bevor er, vielleicht schon im kommenden Jahr, Kohl beerbt, wird es höchste Zeit, zu klären, ob der liberale Schäuble sich aus taktischen Gründen zuweilen rechtsnational geriert oder der rechtsnationale Schäuble genug Geschmeidigkeit besitzt, gelegentlich auch über seinen Schatten zu springen. Jürgen Gottschlich
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