■ Nachschlag: Bestimmt und bescheiden: Jens Reich sprach über Gene und Willensfreiheit
Es gibt Fragen, die nervös machen. „Sind wir frei oder determiniert?“ gehört dazu. Oder: „Ist das Klonen von Lebewesen moralisch verwerflich?“ Zum großen Thema „Gene und Willensfreiheit“ spach Jens Reich am Donnerstag abend im Rahmen der Helmholtz- Vorlesungen zu Gentechnik an der Humboldt-Universität. Im gut gefüllten Kinosaal gab der nachdenkliche Molekularbiologe zunächst Unterricht in Sachen Zellteilung, Züchtung von Gewebe und Bestimmung des Genoms: Daß „embryonales Klonen“ aus noch nicht ausdifferenzierten Zellen von „somatischem Klonen“ aus älteren Zellen zu unterscheiden sei und welche Risiken es berge.
Am Stammbaum von Königin Viktoria demonstrierte Reich, wie in der Vererbung von Krankheiten Gene sich definitiv als Schicksal erweisen. Ironisch kommentierte er das Bemühen von Verhaltensbiologen der zwanziger Jahre, die Vererbung musikalischer Begabung, naturwissenschaftlicher Genialität oder asozialer Anlagen nachzuweisen. Er wandte sich gegen biologistischen Reduktionismus und gegen ein Denken kausaler Determination. „Organische Vorgänge lassen sich nicht rein kausal erklären, sie sind komplexer.“ Soweit die Freiheit.
Reich beschäftigt sich am Max-Delbrück-Centrum in Berlin- Buch mit der computergestützten Analyse von Gensequenzen. „Es gibt Erbanlagen, die kulturelle Leistungen ermöglichen, es gibt erbliche Dispositionen. Wie stellen wir uns dazu?“ Reich seufzte. Er stellt sich große Fragen und besitzt die Souveränität, sie nicht zu beantworten. „Der Unterschied zwischen Klon und natürlicher Zeugung ist nicht besonders groß“, entgegnet er auf Habermas' Klonkritik. Reichs Argument gegen das Klonen ist, bescheiden, aber bestimmt, „ästhetischer Natur“: „Ich finde es obszön, so narzistisch zu sein, sich ewig selbst reproduzieren zu wollen.“
Das Publikum, in tiefgründelnder Laune, wollte wissen: Ob sich das Sozialverhalten von Termitenstämmen nicht auch bei Menschen implantieren lasse? Ob didaktische Fähigkeiten genetisch angelegt seien? Dazu fielen Reich die Frauen ein. Die sind, das haben zahlreiche Untersuchungen nachgewiesen, sozial kompetenter als Männer. „Das muß auch anlagebedingt sein. Daß man Frau oder Mann ist, ist genetisch bestimmt. Und Frauen haben viel stärker die Intentionalität, auf andere zuzugehen“. Gentechnologie als neue Chance für den Feminismus? Diese Frage hat niemand gestellt. Andrea Roedig
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