Nachruf: Kein Unpolitischer
■ Golo Mann ist am Donnerstag gestorben
Golo Mann Foto: AP
Golo Mann war, im Unterschied zu seinem Bruder Klaus, klug genug, sich nicht mit dem Vater anzulegen: So wurde er nicht gleich Schriftsteller, sondern studierte zunächst Philosophie bis zur Promotion über Hegel (bei Karl Jaspers, 1932). Ein Jahr später folgte er seiner Familie in die Emigration – über Frankreich und die Schweiz in die Vereinigten Staaten. Dort entstand die Studie über den europäischen Staatsmann Friedrich von Gentz, die als Auftritt eines begnadeten erzählenden Historikers gefeiert wurde. Spätestens nach dem großen Publikumserfolg seiner „Wallenstein“-Biographie (1973) hat man darin auch die erste Probe eines großen historischen Erzählers gesehen. Golo Mann hat selber lange gezögert, sich so zu beschreiben, eine Langzeitwirkung der Familienkonstellation: Auf das Terrain eines solchen Vaters wagt man sich erst nach dessen Tod.
Ein Unpolitischer war Golo Mann nie. Während des Krieges war er in Diensten der amerikanischen Regierung, am Ende der fünfziger Jahre, nach Europa zurückgekehrt, exponierte er sich immer wieder als unberechenbarer Kommentator, vor allem in außenpolitischen Dingen. Er verteidigte die Adenauersche Politik der Westbindung, um dann am Ende der sechziger Jahre das linksliberale Publikum mit einer vehementen Verteidigung der Brandtschen Ostpolitik zu überraschen. Ende der siebziger Jahre schockierte er seine konservativen Freunde mit der Ablehnung der Vokabel „Wiedervereinigung“. Er mochte höchstens an eine „Neuvereinigung“ glauben, sagte er zum dreißigsten Jahrestag der DDR. Und da hatte er ja scheinbar ziemlich recht.
Golo Mann hat sich, von seinem Wohnsitz in Kilchberg bei Zürich aus, vom Katheder, in Zeitung, Funk und Fernsehen, immer wieder zu den bundesrepublikanischen Dingen geäußert. Mancher Kommentar ging dann aber selbst den Wohlgesonnenen über die Hutschnur. Die sozialdemokratische Bildungspolitik schien ihm Ausdruck der „Verachtung aller Bildung“. In den Terroristenprozessen empfahl er, nur noch Pflichtverteidiger zuzulassen und die Wahlverteidiger auszuschließen. Franz Josef Strauß hielt er für einen fähigen Politiker und zögerte nicht, dies der Öffentlichkeit mitzuteilen. Frühzeitig mischte er bei der Rede vom einzudämmenden Asylantenstrom mit.
Für 1989, das Jahr seines achtzigsten Geburtstages, hatte er sich schließlich einige Auftritte vorbehalten, die Zweifel an seiner weiteren politischen Zurechnungsfähigkeit aufkommen ließen: Erst nannte er in einem spektakulären Fernsehinterview Adorno und Horkheimer „Lumpen“, dann riet er Richard von Weizsäcker von seinem geplanten Polen-Besuch zum 50. Jahrestag des deutschen Angriffs ab, damit die nationalsozialistische Vergangenheit endlich als abgeschlossenes Kapitel betrachtet werden könne; ein Nachklapp zum Historikerstreit. Daß der Besuch Weizsäckers gerade ein Moment der von ihm gewünschten Normalisierung war, vermochte er offenbar nicht mehr zu sehen.
Die Sache mit Adorno und Horkheimer verursachte einen Riesenwirbel; auf der Protestnote gegen Manns Entgleisung fehlte kaum ein Star des akademischen Betriebs. Das Ganze entpuppte sich übrigens als Folge einer Kränkung: Die beiden hatten in den sechziger Jahren Einspruch gegen eine Berufung Manns an die Frankfurter Universität eingelegt, weil sie ihn für einen „heimlichen Antisemiten“ hielten. Man kennt zwar eine Rede Manns aus dem Jahr 1960, die dem Judenhasser Treitschke einen „schönen Sinn für das Gerechte und Wahre“ zugesteht; ob sich aber der Antisemitismus-Vorwurf der Kritischen Theoretiker auf diese eher vagen Stellen stützte, blieb ungeklärt.
Golo Mann ist am Donnerstag im Kreis seiner Familie in Leverkusen gestorben, wenige Tage nach seinem 85. Geburtstag. Man wird sich an ihn als großen Historiker und Grantler erinnern. jl
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