■ Nachrichten aus dem Zoo Frankreich: A bas les loups!
„Mähähä“ blökte es auf Nizzas nobler Promenade des Anlais, als am Montag nachmittag 2.000 Schafe über den Asphalt trabten. Ihr Parfüm stieg hinauf zu den Balkons der Bürgerpaläste mit Mittelmeerblick. Unten blieben Köttel zurück, die sich später unter den Schuhsohlen der Kurgäste festsetzten.
Das Geblöke war politisch. Es handelte sich um eine Schafdemonstration gegen die Wölfe im Mercantour, dem gebirgigen Hinterland von Nizza. Hirten, eskortiert von Dorfbürgermeistern und den im französischen September unvermeidlichen Jägern, hatten das Vieh von den Weiden herunter an die Küste getrieben, weil die Wölfe des Mercantour – gesichtet wurden zwischen 13 und 17 – kleinere Tiere reißen. Im vergangenen Jahr fielen ihnen allein 2.000 Schafe zum Opfer. Die Jagd auf die geschützten Raubtiere jedoch ist nach europäischen Richtlinien streng verboten.
Für die Hirten und Jäger im Mercantour war der Wolf, den ihre Vorfahren jahrhundertelang bekämpft hatten, ein Legendentier geworden – bis er 1992 in Gestalt des Abruzzen-Wolfs in das Bergmassiv zurückkam.
1.200 Francs (363 Mark) Entschädigung zahlt der französische Staat für jedes gerissene Schaf – was sich im vergangenen Jahr landesweit zu stolzen 400.000 Francs (120.000 Mark) summierte. Das ist zwar entschieden mehr, als ein geschlachtetes Tier auf dem Markt einbringt, aber der Aufwand ist groß. Jedesmal ist ein tiermedizinisches Gutachten nötig, um zu beweisen, daß der Böse tatsächlich ein Wolf und keiner der verwilderten Hunde war, die alljährlich Hunderttausende von Schafen reißen.
Tierisch und zugleich politisch geht es in diesen Tagen auch am anderen Extrem Frankreichs zu. In den Pyrenäen wurde am Wochenende die Bärin Melba von einem zitternden jungen Jäger erschossen, auf den das Tier angeblich mit weit aufgerissenem Maul und 50 Stundenkilometer Geschwindigkeit zugerast war. „Wenn er Schiß hat, soll er nicht auf die Jagd gehen“, belehrten Tierfreunde und Jagdgegner anschließend den Todesschützen.
Finanziert von Europäischer Union und französischer Regierung, war Melba im vergangenen Jahr von Slowenien nach Frankreich umgesiedelt worden, wo sie sie die auf ein knappes Dutzend geschrumpfte Bärenbevölkerung verstärken sollte. Die Diskussion, die ihrer Ankunft vorausging, hatte dieselben Fronten wie bei der Wolfsdebatte im Mercantour bloßgelegt. Am Ende schlossen Jäger und Bauern einerseits und Umweltschützer und Tierfreunde andererseits einen Kompromiß, der darin bestand, die Bewegungen der Bärin mit Hilfe eines Sendehalsbandes zu kontrollieren – zur Sicherheit von Mensch und Tier. Bis vor wenigen Wochen klappte die elektronische Verständigung prima. Kurz vor ihrem Tod aber verlor Melba ihr Halsband.
Dummerweise fiel das mit der Eröffnung der Jagdsaison zusammen, die in Frankreich Millionen von Männern mobilisiert. Ihr Opfer Melba wird in den nächsten Tagen obduziert, um die exakte Todesursache festzustellen. Melbas menschliche Freunde bereiten sich auf einen Prozeß vor. Und ein großes Einsatzkommando sucht in den Pyrenäenhängen nach den drei kleinen Bären, die durch Melbas Tod zu Waisen geworden sind, und zur eigenen Sicherheit (allein können sie ihren ersten Winter kaum überleben) vielleicht in einem Zoo enden werden.
Landesweit werfen in Frankreich die Schafsdemonstration in Nizza und der Bärenmord in den Pyrenäen eine gesellschaftliche Frage neu auf: Ist am Ende des 20. Jahrhunderts eine friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Großwild möglich? Dorothea Hahn
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