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■ NachgefragtAsyl: "Ein juristisches Randproblem"

Bürgermeister Klaus Wedemeier hat auf dem Sonderparteitag der SPD seine Position zur Ergänzung des Asylrechtes verteidigt. Seine Begründung: In einem vereinten Europa sei der Artikel 16 des Grundgesetzes nicht zu halten. Die taz sprach darüber mit Thomas von der Vring (55), SPD-Europa-Abgeordneter seit 1979.

taz: Herr von der Vring, hat der Bürgermeister mit seiner Argumentation Recht?

Thomas von der Vring: Ich weiß es nicht. Der Punkt ist, daß die Argumentation des Bürgermeisters nichts mit der Aktualität zu tun hat. Die Bonner Debatte bezieht sich nicht auf das europäische Asylrecht. Wenn man den Parteiratsbeschluß nimmt mit allen seinen Wenns, dann ist das auch noch eine Weile hin. Es steht in der EG-Debatte auch um Maastricht nicht im Vordergrund. Wir müssen hier erst einmal zu einer gemeinsamen Einschätzung des Asylproblems kommen. Die jetzt getroffenen Vereinbarungen von Dublin sehen zwar vor, welches Land welchen Asylbewerber aufnehmen soll, darüber hinaus darf natürlich weiterhin jedes Land jeden aufnehmen. Das gilt auch für die Bundesrepublik. Ist es denn richtig, daß der Artikel 16 in einem gemeinsamen europäischen Asylrecht nicht überleben kann?

Der Wesensgehalt des Artikels 16 käme da herein. Etwa in der Form: Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten über die Gewährung von Asyl sind rechtlich dem Artikel 16 gleichgestellt. In dieser Richtung würde man das formulieren, mehr nicht.

Der Asyl-Artikel 16 würde also in den europäischen Betimmungen aufgehen?

Wir behielten Artikel 16 im Grundgesetz, und der Asylbewerber würde sich auf Artikel 16 berufen. Aber einer, der in Frankreich abgelehnt ist, würde hier dann abgelehnt, wenn er es noch einmal versuchen würde, und zwar ohne weiteres Verfahren.

Ist denn der Zeitpunkt richtig gewählt, sich in diese europäische Dimension der Debatte einzulassen?

Nein, das steht überhaupt nicht zur Debatte. Kein Mensch macht das...

Aber der Bürgermeister hat das gemacht.

Der Bürgermeister hat mit dieser Argumentation ja auch nur seine Position begründet. Er hat nicht gesagt: ‘Wir müssen das jetzt machen', sondern er hat gesagt: Wenn es gemacht wird, wie der Bundeskanzler es angekündigt hat für nächstes Jahr, dann hätte er nichts gegen eine Ergänzung des Grundgesetzes. Und da hätte ich und die ganze SPD nichts dagegen, unter der Bedingung, daß auch ein Klage- oder Beschwerderecht gegeben ist. Da haben wir einige Probleme, weil wir Deutschen das Thema sehr juristisch behandeln und uns die Dänen belehren, daß man das auch unjuristisch besser machen kann. Die haben einen Ausschuß, in dem auch Vertreter von Amnesty sitzen, der die Widersprüche gegen die Behördenentscheidungen behandelt.

Das zweite ist, daß der Europäische Gerichtshof in letzter Instanz die Tragbarkeit und Übereinstimmung der nationalen Regeln überprüfen kann. Dieses würden wir akzeptieren. Aber im Moment hat Europa etwas anderes zu tun, als sich damit zu befassen.

Wie aktuell ist denn die Debatte auf europäischem Niveau?

Wahrscheinlich wird in den nächsten Jahren das Fluten von Flüchtlingen so gewaltig sein, daß das Thema politisches Asyl in Europa ein juristisches Randproblem wird.

Fragen: Markus Daschner

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