■ Nachgeblättert: Vatikanisches Fußvolk
Gestern haben die bekerzten Kürbisköpfe zum letzten Mal gegrinst und dem okzidentalen Wertegefüge die pagane Stirn geboten. Das Papsttum überführt heute den heidnisch-neokapitalistischen Schabernack in ein korrektes christliches Fest: Allerheiligen. Schon der Name Halloween zeigt an, dass der katholische Amtsklerus sich schon früh das barbarische Treiben einverleibt und den in Zeiten der Corporate Identity wichtigen Sinn des Fratzenschneidens und Süßfruchtmassakrierens angeeignet hatte: Vorabend von Allerheiligen, heute nicht mehr All Hallows, sondern All Saints, bitte nicht verwechseln mit All Fools Day. Letzteres wäre eher eine angemessene Bezeichnung für den Alltag der bremischen Wirtschaftsförderung.
Mit dieser semantischen Okkupation uralter Totenkulte bewiesen die Papisten einmal mehr, dass sie plietscher und realpolitischer waren als die puritanischen Fundis. Die Pilgrim Fathers importierten Halloween erst in die amerikanischen Kolonien, um es dort dann vergeblich zu verfolgen. Rom sagte sich wie heute Washington: Was ich nicht verhindern kann, veranstalte ich lieber gleich selbst. Zumindest kriegt es meinen Namen.
In Mexiko hingegen findet die Halloween-Fete quasi direkt auf der Ruhestätte der Dahingeschiedenen statt. Todos Santos ist zugleich Aller Gefüllten Mägen, eine Art Tutti Frutti an der Gruft. Im reformatorischen Bremen hat sich der Geist aller Heiligen allerdings weniger in den Esprit hoher Lebens- oder zumindest fundamentaler kulinarischer Kunst transsubstantiiert als vielmehr in den Spirit of Free Enterprise. Verticken, bis die Kogge kracht, aber ohne Spaß dabei. Die römisch-bremische Fraktion tat indes, was ihr blieb. Lange Zeit traf sie sich klandestin in der Privatkapelle des kaiserlichen Gesandten und zelebrierte Allerheiligen und allerlei andere Allerfeiern mithilfe zweier jesuitischer Patres. Die Jesuiten haben also auch hier wie andernorts das gelegentlich schlingernde Schiff der Kurie durch aufgewühltes Weserwasser gesteuert. An ihrem Namensende hängt SJ, für Societas Jesu, vom vatikanischen Fußvolk übersetzt mit Schlaue Jungs. Zu ergänzen wäre: vun de Waterkant.
Und weil Bremen nur 60.000 Wojtyla-Treue auf die Beine bringt gegenüber 300.000 Anhängern des sachsen-anhaltinischen Renegaten, fallen diese kulturkonservativen Betrachtungen zu Toussaints auch kleiner aus als die Würdigung des frühneuzeitlichen Aufstandes der Anständigen. Im weströmischen Christentum herrscht übrigens ein gewisser Trend zur Dauerparty vor. Tutti Santi geht erbarmungslos über in Commemoratio Omnium Fidelium Defunc-torum, teutonisch Allerseelen. Nur BesitzerInnen von „Der Kleine Stowasser – Wörterbuch Lateinisch-Deutsch“ können feststellen, dass es sich bei der Kirchenlexikon-offiziellen Übersetzung „Gedächtnis der armen Seelen“ doch eher um eine frühlinkskatholische Interpretation als eine wortlautgetreue Übersetzung handelt. So sei an dieser Stelle schon heute an all die armen Seelen derjenigen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger erinnert, die die gähnend leeren Stadt(staats)säckel durch sozialverträgliches Frühableben entlastet haben.
Spätestens zum Beginn der Grünkohlsaison, deren Völlerei klassischerweise am Buß- und Bettag eröffnet wird und zu allerlei merkwürdigen Ritualen und Lüttjen Lagen Anlass gibt, meldet sich wieder zur weiteren Ehrenrettung christlich-abendländischer Werte
Frater Thomasius Gebelius SBV (Societas Bremensis Vertkohliensis)
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