■ Nach der Strategietagung der CSU in Kreuth: Schlingerkurs
Für scharfe, klare, überzogene Töne war die CSU bislang allemal gut. Erst jüngst hat Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber versucht, mit seiner Forderung nach einem radikalen europapolitischen Kurswechsel an diese Tradition anzuknüpfen. Doch ein, zwei rechtspopulistische Schwalben machen auch keinen neuen Strauß. Eher schon ist es Ausdruck der innerparteilichen Desorientierung, daß das seinerzeit als „Doppelspitze“ präsentierte Führungsduo Stoiber–Waigel immer öfter mit konträren Einschätzungen von sich reden macht. Doch einiges spricht dafür, daß selbst ein Politiker vom Schlage Strauß den bayerischen Problemknoten nicht mehr auflösen könnte. Das zumindest darf sich Parteichef Theo Waigel nach seinem Bericht über die Kreuther Vorstandstagung seiner Partei zugute halten. Eine erfolgversprechende CSU-Strategie für das Wahljahr 94 ist nicht in Sicht. Strauß hätte das besser verkaufen, das Defizit entschlossener verdrängen können als sein Nachfolger, mehr nicht.
Waigel jedenfalls schlingert. Auf dem Höhepunkt der Asyldebatte mitten in der allgemeinen Verunsicherung über rechtsradikale und rassistische Gewaltausbrüche hatte der CSU-Chef die Republik noch mit der Prognose aufgeschreckt, die Wahlen 94 würden „rechts von der Mitte“ entschieden. Implizit hieß das: Die CSU wird mit einer rechten Strategie ihre drei Wahlkämpfe 94 bestreiten, um so den „Republikanern“ das Wasser abzugraben. Das möchte sie weiterhin. Nur registriert die CSU inzwischen auch die Gefahr eines solchen Kurses. Mit einem klaren Rechts- Profil ließen sich vielleicht die „Republikaner“ in die Defensive drängen; doch zugleich geriete die traditionelle Mehrheitsfähigkeit der Partei weiter ins Ungewisse. Denn auch in Bayern sind, entgegen landläufiger Vorurteile, mit radikalen Parolen absolute Mehrheiten nicht zu gewinnen. Aus diesem Dilemma kreiert Waigel nun die aktuelle „Strategie“: man will weiter die rechten Themen besetzen, sich jedoch zugleich von den rechtsextremen Randparteien abgrenzen.
Was Waigel versucht, ist kaum mehr, als die Problembeschreibung als Perspektive zu verkaufen. Rechts attraktiv werden und trotzdem seriös erscheinen. Immerhin – das ist die Botschaft aus Kreuth – hat die CSU die Interessen des besonnenen Teils ihrer Wählerbasis als domestizierenden Faktor anerkannt. Doch weil weder die radikalen Töne noch ein moderaterer Kurs die traditionelle Stellung der Partei garantieren, fällt auch die Kritik an der Schwesterpartei nicht sonderlich scharf aus, kaum mehr als Mäkelei an der „schleichenden Sozialdemokratisierung“ und der allzu starken Fixierung auf einen Kanzler, dessen Stern im Sinken begriffen ist. Selbst die Liberalen, früher die notorische Zielscheibe für bayerische Profilierungsattacken, werden mit Verständnis bedacht. Man sitzt in einem Boot, und vom Scheitern der Bonner Koalition darf sich die CSU nicht mehr versprechen als den zementierten Status einer Regionalpartei. Der läßt sich auch mit den jüngsten Umfrageergebnissen unterfüttern. 40 plus x, mehr dürfen sich die Christsozialen derzeit nicht erhoffen. Das könnte am Ende selbst zu wenig sein, um im Juni die Europawahlen zu bestehen. Doch auch für dieses christsoziale Horrorszenario hat Waigel nur gute Hoffnungen parat. Seine Maxime für 94: „Die politische Bedeutung in Deutschland stärken“. Matthias Geis
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