Nach den Anschlägen von Paris kann auf einmal alles ein Zeichen sein: The Show must go on
Fremd und befremdlich
Katrin Seddig
Nach den Anschlägen in Paris bezieht sich kaum etwas nicht auf die Anschläge in Paris. Es wird bei allem überlegt, ob es stattfinden kann oder nicht: Ob etwas stattfindet, ob es nicht stattfindet, es kann in allen Varianten ein Zeichen sein. So soll es auch ein Zeichen sein, dass das Länderspiel Deutschland gegen die Niederlande in Hannover stattfindet.
Wenn diese Kolumne am Mittwoch erscheint, wird das Spiel bereits stattgefunden haben, und ich werde trotzdem nicht wissen, ob es so gekommen ist, wie Bundestrainer Joachim Löw es wollte, dass das Sportliche hintenansteht und dass die Trauer das Wichtigste ist, in jeder Phase des Spiels. Mir ist nicht ganz klar, wie ein Fußballspieler während eines Fußballspiels jede Minute trauern kann, geht das? Und wenn er ein Tor schießt? Dass das Spiel nicht abgesagt werden soll, was ja auch ein Zeichen sein könnte, ein Zeichen der Erschütterung, des Stillstandes, des Entsetzens, sondern stattfinden, soll ein Zeichen der Verteidigung unserer Werte sein. Ich finde es grundsätzlich richtig, dass alles weitergeht. Es macht niemanden lebendig, wenn ein Fußballspiel abgesagt wird. The Show must go on, hat Freddy Mercury einst gesungen, als er selbst schon dem Tode geweiht war.
Und wer selber einen Menschen verloren und getrauert hat, der musste bemerken, dass das Leben eben tatsächlich weitergeht, trotz des Schmerzes, selbst wenn es unerträglich scheint. Die Sonne wird scheinen, die Festtage kommen, ein Essen wird schmecken, eine Umarmung einen trösten. Das ist das Leben. Es lässt sich nicht anders fortführen. Alles andere wäre Vegetieren oder eben Sterben. Aber muss dieses Leben ein Zeichen sein, oder kann es das überhaupt? Und wenn wir es aufladen mit Bedeutung, wenn wir sagen, wir leben hier, um es euch zu zeigen, dass wir leben, bekommt dann dieses Leben nicht einen trotzigen Geschmack? Ist das dann noch das Leben, das wir eigentlich verteidigen wollen? Können wir nicht trauern und leben und kann nicht beides nur das sein, nebeneinander, und nichts weiter?
Ein anderer Aspekt ist der der Angst, die jetzt mit diesem Anschlag in unseren Alltag gekrochen ist. Ist es gefährlich, eine Großveranstaltung zu besuchen? Wie soll einer entscheiden, der eine Großveranstaltung, wie ein Fußballspiel, veranstaltet? Ein Veranstalter kann kein Idealist sein, der seine Entscheidungen aus Wut oder Stolz oder ähnlich emotionalen Gründen trifft, ein Veranstalter hat Verantwortung und muss Geld verdienen. Wenn also irgendwas stattfindet, da kann man davon ausgehen, dann nicht, um ein Zeichen zu setzen, sondern, weil es wohl, nach Abwägung aller Umstände, vertretbar ist. Karl Rothmund, Vorsitzender des Niedersächsischen Fußballverbandes, fand aber auch, dass das Spiel zu einer Demonstration werden sollte, und ein starkes Zeichen natürlich. So wie Joachim Löw.
Oder wie Niedersachsens Innenminister Pistorius, der meinte, das Spiel wäre ein Zeichen dafür, dass wir uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen. Ich verstehe dies alles. Ich verstehe, dass aus solchen Anschlägen Gefühle von Ohnmacht und Wut entstehen. Das geht mir auch so. Ich bin unglaublich wütend. Ich wünschte, Menschen wären einfach anders, klüger, gütiger, weniger manipulierbar. Aber müssen immer wieder abgenutzte Metaphern bemüht und Bekenntnisse wie Mantras wiederholt werden, und ist es notwendig, sich zu einem Land zu bekennen, wenn man Mitleid mit in erster Linie Menschen zeigen will, die zufällig vermutlich größtenteils Franzosen waren?
Ich bin allerdings hilflos. Ich ändere nicht mein Profilbild, ich setze kein Zeichen, ich bin wütend und ratlos, aber ich wünschte schon, ich könnte was tun.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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