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■ Nach dem ersten Prozeßerfolg gegen Firmen von Scientology-Mitgliedern liegt jetzt das Urteil des Landgerichtes Berlin vor. Eine Dokumentation in Auszügen"Undurchsichtige Zielsetzung"

Die Beklagten, welche auf dem Hamburger Immobilienmarkt unter anderem in der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen tätig sind, beanstanden ihre Bezeichnung als „Scientology-Firmen“ im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit. [Die taz ist in diesem Verfahren die Klägerin, da sie gegen das angestrebte Verbot der Behauptungen sogenannte Feststellungsklage erhoben hatte, d. Red.] In einer Grafik des Mietervereins zu Hamburg von 1890 über von Scientologen geführte Immobilienfirmen werden die Geschäftsführer der Beklagten unter mehreren Unternehmen genannt, wie auch bei den übrigen dort genannten, derart charakterisierten Betrieben eine personelle Verflechtung untereinander ersichtlich ist [...].

Angehörige der Scientology- Organisation sind nach ihrem eigenen Anspruch gehalten, die ideologischen und wirtschaftlichen Interessen der Organisation in jeder Lebenslage zu fördern, insbesondere deren Ideen und Managementprinzipien in Gesellschaft und Wirtschaft durchzusetzen. Die Innenministerkonferenz der Länder hat am 6. Mai 1994 die Scientology- Organisation als Bewegung bezeichnet, „die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität ... mit wirtschaftlichen Betätigungen vereint“, wobei der Schwerpunkt in der Wirtschaftskriminalität zu liegen scheine. Ihre Tätigkeit wird auch sonst in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert.

Den Beklagten wird nachgesagt, durch ständige Telefonanrufe zu jeder Tageszeit, unangemeldete Hausbesuche, kurz befristete Kaufangebote und der Drohung, die Wohnungen an eigenbedürftige Erwerbsinteressenten zu veräußern, die die Mieter dann ohne Abfindung hinaussetzen würden, diese unter Verzicht auf ihre Rechte zum Erwerb oder freiwilligen Auszug zu drängen.

Entscheidungsgründe

[...] Die beanstandete Berichterstattung ist von den Beklagten zu dulden, weil sie dadurch nicht rechtswidrig in ihrem Recht auf freie Entfaltung im Sinne der wirtschaftlichen Betätigung betroffen werden, da die Äußerung der Klägerin durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt ist.

Zum Umfang der Äußerungsfreiheit hat das Kammergericht in seinem Urteil vom 9. März 19931 unter anderem ausgeführt:

„Der unbefangene Durchschnittsleser“

[...] Der Einfluß des Grundrechts der Meinungsfreiheit wird verkannt, wenn der Verurteilung eine Äußerung zugrunde gelegt wird, die so nicht gefallen ist, wenn ihr ein Sinn gegeben wird, den sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat, oder wenn ihr unter mehreren objektiv möglichen Deutungen eine Auslegung gegeben wird, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ferner verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft ist mit der Folge, daß sie dann nicht im selben Maße am Schutz der Grundrechte teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind2.“ Maßgebend für die rechtliche Beurteilung der Äußerungen ist zunächst das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers3.

Dabei kommt es für das Verständnis über die Bedeutung, den Aussagegehalt und das Gewicht einer Äußerung nicht allein auf deren Wortlaut und auf deren Betrachtung, losgelöst von ihrem Hintergrund, an. Vielmehr ist die Äußerung im Zusammenhang und unter Berücksichtigung mit ihrer zugleich mitgeteilten Umgebung zu sehen, in die sie gestellt ist. Denn es ist dieser Kontext, der ihren Inhalt prägt und damit ihr Verständnis bestimmt4).

Dieser Gesichtspunkt ist auch im Streitfall wesentlich. Er führt dazu, daß die angegriffenen Äußerungen in der Berichtsüberschrift sowie der im Text mehrfach vorkommende Begriff der „Scientology-Firma“ nicht losgelöst von ihrem informationellen Zusammenhang zu betrachten sind mit der Folge, daß der von den Beklagten behauptete Eindruck, sie, die Beklagten, würden als Tarnfirmen der Scientology-Organisation dargestellt, beim unbefangenen Durchschnittsleser nicht hervorgerufen wird.

[...] Die Ausgangsmitteilung befaßt sich mit Veränderungen des Wohnungsmarktes, mit dem anhaltenden Trend zur Umwidmung von Miet- in Eigentumswohnungen am Beispiel Hamburgs und führt als eine diese Entwicklung treibende Kraft in auffälliger Weise von Mitgliedern der Scientology-Organisation beherrschte Unternehmen auf. Vor dem Hintergrund, daß die Scientology-Organisation, der in der Öffentlichkeit unter anderem vorgeworfen wird, Mission mit allen Miteln zu betreiben und durch systematische Unterwanderung in Wirtschaft, Politik und Kultur Einfluß gewinnen zu suchen wie – mit teils zweifelhaften Methoden – vorwiegend wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, sehr umstritten und die öffentliche Diskussion noch nicht abgeschlossen ist, geht es in dem Bericht gleichermaßen um die Interessen der die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, wer wirtschaftlich gesehen diese Umwandlungen initiiert und daraus Kapital schlägt, also was möglicherweise gemeinsame Triebfeder dafür ist, wie vor allem darum, die Öffentlichkeit aufzuklären, wie dabei vorgegangen wird und wie sie dem beikommen kann.

Das Phänomen aber, daß die Angehörigen einer ohnehin von der Öffentlichkeit mit gesteigerter Aufmerksamkeit beobachteten Gruppe offenbar ein bestimmes Geschäftsfeld wie den sozial sensiblen Markt für Wohnungsumwandlungen über von ihnen gesteuerte und mehrfach personell verflochtene Unternehmen beherrschen, darf aufgezeigt werden, zumal sich aus der Konzentration auf eine bestimmte Sparte Anhaltspunke für die Ziele ihres Verbandes, der Scientology-Organisation, gewinnen lassen, den sie nach innen tragen und letztlich nach außen repräsentieren und dessen Ideale sich durch ihr eigenes Verhalten in gewissem Maße widerspiegeln.

„Berechtigter Argwohn in der Öffentlichkeit“

Denn das Bild der Öffentlichkeit von einem Verband wird in erheblichem Maße auch von dem Auftreten und der Tätigkeit seiner – einfachen – Mitglieder und nicht nur von dem durch seine selbstbestimmten Repräsentanten aufgebauten Image geprägt; das Verhalten strahlt gleichermaßen auf die Geschäftspolitik der von ihnen beherrschten Unternehmen aus und ist damit ebenfalls deren Spiegelbild.

Eine solche Konzentration und offensichtliche Konzernierung regt angesichts der undurchsichtigen Zielsetzung der Scientology- Organisation in der Öffentlichkeit berechtigten Argwohn. Es besteht daher ein erhebliches öffentliches Interesse daran zu erfahren, wessen Schule die hinter den Unternehmen stehenden maßgeblichen Personen sind. Allein diese Information ist der Ausgangsberichterstattung zu entnehmen.

Ausgehend von der Überschrift „Scientology sahnt ab“ ebenso wie dem Untertitel „Wohnungsumwandlungen: Bei jeder zweiten mischt die Sekte kräftig mit“ – beide Äußerungen werden bereits im ersten Satz des Berichts dahingehend präzisiert, daß sich der Artikel mit von Scientologen beherrschten Immobilienunternehmen befasse, die dort im folgenden schlagwortartig als „Scientology- Firmen“ bezeichnet würden – versteht der maßgebliche unbefangene Durchschnittsleser die Ausgangsmitteilung dahingehend, daß eine auffällige Zahl von Migliedern der Scientology-Organisation Unternehmen betreiben, die dem Umwandlungsgeschäft von Miet- in Eigentumswohnraum nachgehen, und dieses Geschäftsgebiet offenbar von ihnen dominiert werde.

Er entnimmt dem Bericht also, daß Gemeinsamkeit dieser Firmen ist, daß diese von Scientologen beherrscht werden, ohne aber daraus zu schließen, alle diese Geschäftsbetriebe dienen einem gemeinsamen Zweck, nämlich erfolgten in unmittelbaren und übergeordneten Interesse sowie auf Veranlassung und Weisung der Scientology-Organisation – der durch die Überschriften zunächst insoweit unter Umständen enstandene entgegengesetzte erste Eindruck wird, wie oben ausgeführt, im Bericht sogleich richtiggestellt.

Damit berichtet die Klägerin lediglich über die hinter den Beklagten stehenden Unternehmerpersönlichkeiten, nämlich deren augenfällige Gemeinsamkeit, Scientologen zu sein und somit einen Teil der Scientology-Organisation darzustellen. Damit hat die Klägerin eine wahre Tatsache behauptet.

Gleichwohl ist eine derartige pressemäßige Äußerung nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Denn auch die Verbreitung wahrer Tatsachen über ein Unternehmen kann einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung im Sinne der wirtschaftlichen Betätigung, die als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützt wird5, darstellen, welches unter anderem das Recht beinhaltet, seine innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten6. [...]

Wegen der Gefahr der schleichenden Unterminierung von Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft durch die weithin suspekte Scientology-Organisation erfordert es einen besonderen Augenmerk, mit welchem Netz wirtschaftlicher Verflechtungen Angehörige dieser Bewegung bereits ein besonders sensibles Betätigungsfeld wie den Umwandlungsmarkt für sich vereinnahmt haben. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf zu erfahren, wessen Geistes Kind die wirtschaftlichen Eigentümer und Handelnden dieser Unternehmen, also auch der Beklagten, sind, zumal die bemerkenswerte Konzentration mit einer drohenden Monopolisierung des Hamburger Marktes für Wohnungsumwandlungen nicht im volkswirtschaftlichen Interesse liegt.

Dahinter muß das Interesse des Unternehmens, seine Gesellschafter- und Führungsstruktur sowie die darin zum Ausdruck kommenden Intentionen in gewählter Anonymität zu halten – zumal ohne Nennung der entsprechenden Personen –, zurücktreten. Denn bei der Scientology-Organisation handelt es sich um eine in der Öffentlichkeit sehr zwiespältig betrachtete Vereinigung, was wiederum auf deren Anhänger ausstrahlt, woran sich die von diesen betriebenen Unternehmen ihrerseits messen lassen müssen.

Es besteht daher ein grundsätzliches Interesse, umfassend über die Gemeinschaft und über ihre Mitglieder, soweit sie nach außen tätig werden, unterrichtet zu werden.

Dieses Informationsbedürfnis erstreckt sich jedenfalls auch dann auf die von ihnen betriebenen Unternehmungen, wenn erst durch eine Aufdeckung der konzernmäßigen Verflechtungen erhellt werden kann, daß sie bereits wesentliche Teile des Marktes beherrschen, also bedeutend sind. Denn damit haben diese Firmen sich selbst einen Anspruch, also Öffentlichkeitswert gegeben, der eine Berichterstattung über sie und die dahinterstehenden „Macher“ rechtfertigt sowie auch die Angabe öffentlich bedeutsamer Gruppenmerkmale umfaßt.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, da erst der Umfang der Marktteilnahme und die Durchleuchtung der Interessenidentität dem Geschehen Nachrichtenwert vermittelt haben. Das Recht der Beklagten auf unternehmerische Selbstbestimmung ist deshalb vorliegend geringer zu werten als die Pressefreiheit der Klägerin [...].

Dabei können die Beklagten für sich das Grundrecht der negativen Bekenntnisfreiheit aus Art. 4, 19 Abs. 3 GG nicht in Anspruch nehmen, weil sie bereits nach ihrem eigenen Vortrag nur die eigene Erwerbstätigkeit und nicht etwa die Finanzierung einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zum Ziel haben7.

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