piwik no script img

■ Nach dem bündnisgrünen Desaster bei den LandtagswahlenNur keine Hysterie

Die Bürgerbewegung in der ehemaligen DDR hat am Sonntag in Sachsen und Brandenburg eine dramatische Niederlage erlebt. Es ist die zweite, und insofern trifft es die Bürgerrechtler, fünf Jahre nach ihrem Aufbruch 89, nicht ganz unvorbereitet. Im Grunde, so ließe sich heute argumentieren, hat bereits der rapide Akzeptanzverlust des Jahres 1990 angedeutet, wie schwer es für die Bürgerbewegung sein würde, gegenüber den beiden großen Parteien ein eigenes politisches Feld zu behaupten. Doch bitterer noch als die Dominanz der Großen, die von den WählerInnen in Sachsen und Brandenburg gerade erdrückend bestätigt wurde, ist für das Bündnis zweifellos die Renaissance der PDS. Daß der Aufbruch 89 von anderen übernommen wurde und in die Vereinigung mündete, daß die politischen Machtkonstellationen des Westens viel schneller als erwartet auf den Osten übertragen wurden und das historische Verdienst der Bündnispolitiker nicht mit politischem Einfluß aufgewogen wurde, damit hatten sie sich längst abgefunden. Doch daß die biederen Nachfolger der einstigen Staatspartei heute auf 20 Prozent Zustimmung verweisen können, hat die Desorientierung des Bündnisses in den neuen Ländern nachhaltiger befördert als alle vorherigen Erfahrungen. Erst die paradoxe Zange aus CDU, SPD und PDS zwingt das Bündnis unter die Fünfprozentmarke und damit, bis auf weiteres, in die landespolitische Bedeutungslosigkeit. Zwischen West-Vertrauen und Ost-Nostalgie ist der Raum zu eng geworden.

Hierzu hat das Bündnis fraglos seinen Beitrag geleistet. Die bittere Ironie dieses Wahlsonntags ergibt sich ja nicht schon aus der Niederlage, sondern erst aus deren Zusammenfallen mit einem beispiellosen Triumph: hie Stolpes absolute Mehrheit, da das plebiszitäre Verdikt über seine Kritiker. Symbolträchtiger hätten die WählerInnen am Sonntag kaum demonstrieren können, wie sehr die bürgerbewegte Insistenz auf der Vergangenheitsdebatte am Nerv vorbei – und ihnen auf die Nerven gegangen ist. Das Verdikt entscheidet nicht schon über die Berechtigung des Anliegens, wohl aber über den Versuch, den moralisch-kritischen Anspruch als Hauptquelle politischer Legitimation zu nutzen. Wirklich authentisch waren die BürgerrechtlerInnen in der Auseinandersetzung um die DDR-Verstrickungen. Nicht zuletzt durch die Reaktion der Medien wie der westlichen Öffentlichkeit wurden sie darin lange bestärkt. Es war auch diese Rückspiegelung, die dazu beitrug, daß den Bürgerrechtlern der gesellschaftliche Bezug, den sie im Herbst 89 für einen kurzen historischen Augenblick gewonnen hatten, wieder verlorenging. Niemand hat auf dem Höhepunkt der Stasi-Enthüllungswelle abgesehen, wie schnell dieses Thema von den Problemen der neuen Lebensverhältnisse in den neuen Ländern verdrängt werden würde.

Doch aus der Tatsache, daß die BürgerrechtlerInnen nicht bereit waren, ihr politisches Anliegen an der aktuellen Themenkonjunktur auszurichten, läßt sich schwerlich schon ein westgrüner Vorwurf konstruieren. Dies gilt, zumal die Neuprofilierung der Bündnisgrünen auch im Osten längst versucht wurde. Wenn die Westgrünen jetzt mit kaum verhohlenem Zeigefinger darauf verweisen, daß die Vergangenheit tot, die eigentlichen grünen Themen jedoch im Osten nur unzureichend abgedeckt worden seien, so klingt das eher wie interessierte Besserwisserei. Denn daß mit der Aufarbeitung keine Stimmen mehr gewonnen werden, ist nicht schon der Beweis für die Attraktivität westgrünen Politikangebots in den neuen Ländern. Auf 5 Prozent im Westen dürfen die Grünen (fast) immer hoffen – dank ihrer Verwurzelung im linksliberalen Nach-68er-Milieu. Doch in den neuen Ländern gibt es nichts Vergleichbares. Die Wahlniederlagen vom Wochenende werden das innerparteiliche Machtgefüge der Grünen weiter zugunsten des Westens verschieben. Doch die Marginalisierung der Bürgerrechtler dürfte kaum der Weg sein, der Partei im Osten auf die Sprünge zu helfen.

Jetzt wären gemeinsame Verantwortung der Niederlage, Analyse, Kooperation und Geduld angesagt. Doch daß die Grünen ruhig und ohne vordergründige Machtspielchen auf das Desaster vom Wochenende reagieren, darauf möchte man kaum schon wetten – nicht nur wegen der untergründigen Vorbehalte gegen das lange als „naiv“ apostrophierte Politikverständnis der Bürgerrechtler. Hektische Reaktionen könnte auch die Ahnung erzeugen, eine Niederlage für Rot-Grün am 16. Oktober werde Dramatischeres bedeuten als eine neuerliche, vierjährige Wartezeit für das lange programmierte Reformprojekt einer ganzen Generation. Das muß nicht so kommen. Doch auch den Grünen ist nichts so erfolgreich wie der Erfolg. Den jedoch heimst im Osten und auf Kosten des Bündnisses bis auf weiteres die PDS ein. Über deren Avancen an das rot-grüne Lager muß nicht mehr spekuliert werden, seit kein Wahlkampftag vergeht, an dem nicht Gregor Gysi seine Mithilfe als Kanzlermacher anbietet.

Wie immun sind die Grünen gegenüber dem Bündnisangebot einer Partei, deren politische Kultur zwar jedem alternativ sozialisierten Westgrünen die Haare zu Berge stehen läßt, die sich gleichzeitig jedoch unter linkem Etikett und mit entliehenem Programm als zeitweilige Regionalpartei-Ost etabliert hat? So lautet die aktuelle Frage an die Grünen. Sie wird in der Berliner AL schon ganz anders beantwortet als im grünen Bundesvorstand. Das muß noch nichts heißen – auch wenn die Geschichte der Grünen genügend Anfälle politischer Hysterie verzeichnet. Es wäre schon eine panikartige Bewältigung der jüngsten Wahlniederlage, würde die Partei jetzt – pragmatisch, machtpolitisch, linksgefühlig oder wie immer begründet – das Spiel mit der PDS-Option beginnen. Daß sich die Grünen nicht der PDS als Brechstange gegen Kohl bedienen, daß sie Gysis machtpolitische Verführung dank guter politischer Argumente einfach ignorieren, darin liegt nicht die Garantie, zumindest aber die Restchance der von ihnen propagierten, bürgerrechtlich-ökologischen Reformperspektive. Matthias Geis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen