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Nach dem Kader-RauswurfHildebrand unter Schock

Timo Hildebrand wurde nicht für die EM nominiert. Er weiß, dass seine Länderspielkarriere beendet ist. Die Gründe hat ihm keiner genannt.

Gnadenlos ausgemustert: Timo Hildebrand, Deutschlands neuer Torhüter Nummer Vier. Bild: dpa

BARCELONA taz Nirgendwo klingt Stille so schrecklich wie am Telefon. Andreas Köpke, der Torwarttrainer der deutschen Fußball-Nationalelf, hatte am vergangenen Freitag gegen neun Timo Hildebrand angerufen, um ihm zu sagen, dass er nicht für die Europameisterschaft nominiert werde. Köpke bekam keine vollständigen Antworten vom Torwart des FC Valencia. Zwischen einzelnen Worten, die sich nicht mehr recht zu Sätzen fügten, schrie nur die Stille Köpke an. Nach gut einer Minute legte Hildebrand einfach auf.

Rund eine halbe Stunde später hämmerte ein einzelnes Wort in Hildebrands Kopf. Er war auf dem Weg zum Training in Valencia, wo er vor Schock nicht würde trainieren können, er rief Köpke aus dem Auto noch einmal an und warf ihm dieses eine Wort entgegen: Warum? Warum nur, Andy?

Vier Tage nach der härtesten Entscheidung dieser EM-Nominierung will Hildebrand öffentlich weiterhin nicht darüber sprechen, doch die wahre Antwort auf das Warum ahnt mittlerweile auch er: Es lag nicht an seiner Form, es lag nicht an dieser Saison oder jenem Fehler. Sondern die Trainer der Nationalelf sehen in ihm grundsätzlich nicht mehr den Torwart, der in naher Zukunft Deutschlands Nummer eins sein könnte. Deshalb sind sie mit Robert Enke von Hannover 96 und René Adler aus Leverkusen als Ersatztorhüter für Jens Lehmann am gestrigen Montag ins EM-Trainingslager nach Mallorca aufgebrochen.

Köpkes Urteil, Enke und Adler vor Hildebrand zu sehen, wird von der überwältigenden Mehrheit der Torwartszene geteilt. Was jedoch auch etliche Kollegen aus der Nationalelf getroffen hat, ist die abrupte Radikalität, mit der Hildebrand verabschiedet wurde. Über vier Jahre wurde er kontinuierlich berufen, bis zu letzt ließen ihn die Trainer im Glauben, die Nummer zwei im Tor hinter Lehmann zu sein, nur um ihn auf einem Schlag abzuservieren.

Dabei sahen Köpke und Bundestrainer Joachim Löw Hildebrand schon lange nicht mehr klar vor Enke. So beschlossen sie, im Februar gegen Österreich Hildebrand als Ersatzmann einzuladen, aber im März gegen die Schweiz Enke. Hildebrand sollte nur eventuell als dritter Mann dazustoßen. Ihm gesagt haben sie das aber nie. Er fiel drei Wochen vor dem Schweiz-Spiel aus allen Wolken, als er darauf von Journalisten angesprochen wurde: "Da weißt du mehr als ich!" Dann kündigte Löw an, er werde zum Spiel in der Schweiz tatsächlich Lehmann, Enke und Hildebrand einladen, um mit ihnen ihre Situation erörtern, da in den Medien längst der Schlachtruf erklang, Adler müsse mit. Dieses Torwartgespräch in Basel hat es aber nie gegeben. Wohl erfuhr Enke von Köpke nebenbei, alles sei möglich, er, Hildebrand oder Adler könnte bei der EM außen vor bleiben. Hildebrand hörte offenbar gar nichts.

Er ist sich im Klaren, dass dies das Ende seiner Karriere in der Nationalelf ist, die nach vier Jahren geduldigen Wartens auf der Ersatzbank nach Lehmanns Abtritt im Sommer doch erst richtig anfangen sollte. Aber er versteht es immer noch nicht. Das Wochenende verbrachte er damit zu telefonieren. Es herrschte keine Stille mehr in der Leitung, sondern das Summen der Verzweiflung. Die Mannschaftskollegen, die Anstand haben, riefen an; nicht um Partei für ihn zu ergreifen, sondern um ihm ihr Mitgefühl auszusprechen. Miroslav Klose meldete sich etwa oder Thomas Hitzlsperger. Und Robert Enke. RONALD RENG

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9 Kommentare

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  • T
    tos

    Ich bin der Ansicht, dass hier vom Trainerstab falsch gehandelt wurde. Mit Hildebrandts Rausschmiss demonstrieren sie eine mediengerechte, übermäßige Härte, die bei überlegterem, frühzeitigem Handeln unnötig gewesen wäre. Im März 2008 hätte sich Folgendes angeboten: Sorry Timo, wir haben uns entschlossen, auch im Sinne der deutschen Fußballzukunft, auf junge Leute zu setzen. Für dich wird bei der EM kein Platz mehr für uns sein.

    Hildebrandt zu nominieren, ihm den EM-Titel zu gönnen und ihn danach zu abservieren, hätte Plan B sein können. Der Adler hätte ruhig noch ein paar Monate kreisen können.

    Klar verdient Hildebrandt Millionen und braucht sich ob seiner Probleme nicht zu beschweren, aber mit etwas Fingerspitzengefühl hätte sich Löw diese Kritik ersparen können.

  • M
    Mischka

    @ Daniel H. & Jürgen Rummel:

     

    Nun gönnt doch dem armen "Freien" das dreifache Honorar. ;-) Fest angestellte Redakteure sind den meisten Medien - auch den "Qualitäts"-Medien - halt schlicht zu teuer und so versuchen Heerscharen freier Journalisten über die Runden zu kommen. Das Ärgerliche ist dieses System - und nicht, dass Herr Reng mal drei Kunden für einen Artikel gefunden hat.

  • M
    MirkoK

    Hildebrand hin, Hildebrand her.

     

    Zunächst einmal muss gesagt werden, dass Robert Enke sehr wohl über sehr viel internationale Erfahrung verfügt (Portugal, Spanien, Türkei), wobei zumindest der Ausflug Barcelona ein Patzer war. Hildebrand hat sich in Valencia durchgesetzt - schön und gut. Dennoch bin auch ich der Meinung, dass es gut war bzw. einen Rene Adler mit zur EM zu nehmen. In Deutschland gab es lange eine Tradition, zulange an Torhütern festzuhalten (Illgner 94, Köpke 98), obwohl bereits bessere Leute da waren. Deshalb ist es nur logisch, dieses Mal einen jungen Nachfolger für Lehmann mitzunehmen. Loyalität ist im Geschäft Fußball wichtig, es kann aber nicht wichtiger sein als Leistung. Und diese ist bei Hildebrand nicht höher zu bewerten als bei etwa 5-6 anderen deutschen Torhütern.

  • DH
    Daniel H.

    @ Jürgen Rummel:

     

    kann ich so unterschreiben. Der gleiche Artikel ist heute übrigens auch in der FR erschienen. Eine schreckliche Angewohnheit, oder?

  • T
    tadeus

    Oha. Lange her, dass mir beim Lesen eines Artikels beinahe die Tränen gekommen wären. Wenn's nicht so albern gewesen wäre. Das Thema, nicht die Tränen.

    Kinder können sich kein Essen in der Schule leisten, zum Zahnarzt dürfen zwecks Erhalt des triumphierenden Haifischgrinsens nur noch die Bosse, mit öligen Krokodielstränen und kaum sichtbarem Achselzucken legt die Regierung eben den Armutsbericht auf dem Tisch (und damit aber gut jetzt), Dank taz erfahr' ich aber endlich von der wirklichen ganz echten Tragödie mitten unter uns: Ein eitles verzogenes ungebildetes Millionärle darf nicht mehr mit den ganz großen Jungs mitpinkeln. Ach Gott.

    Und da denkt der sechsundfünfzigjährige Diplom-Ingenieur, dem die sehr mit sich zufriedenen Investoren gerade die Biographie pulverisiert haben, er wär' eine arme Sau. Warum nur?

  • H
    haatee

    Ich find´s auch unmöglich, wie sie das gemacht haben! Sein größter Fehler war, nach Spanien zu gehen, wo er sowieso nur auf der Bank rumsitzt. Auch wenn das für seine "internationale Karriere" angeblich so toll gewesen sei, glaube ich, dass er bessere Chancen auf die EM gehabt hätte, wenn er innerhalb Deutschlands oder gar nicht gewechselt hätte. Ich finde er ist ein sehr guter Torwart und hätte es wahrlich verdient, an der EM im Tor zu stehen. Den Lehmann kann man doch einpacken!

  • I
    ing.wer

    Löw dultet keinen Widerspruch

     

    Ich möchte nicht die Leistungen von Enke und Adler in Frage stellen. Sie spielten eine klasse Saison. Habe selbst Enke im Kicker-online Spiel in meinen Kader gewählt. Aber ich glaube nicht, dass Enke (ohne internationale Erfahrung) und Adler(zu unerfahren) besser sind als Hildebrand:

    Alle Eigenschaften, die Löw für einen Torwart, der in unserer Nationalmannschaft spielen soll, fordert, bringt Hildebrand mit. Internationale Erfahrungen, ein Torwart, der stetig spielt, der sich sogar gegen seinen Mitkonkurrenten durchsetzen kann (verdrängte die eigentliche Nummer 1 aus Valencia). Er holte einen Pokalsieg mit Valencia, wurde Deutscher Meister mit Stuttgart. Lehmann dagegen hatte seinen Stammplatz auf der Bank. Unumstritten ist auch Lehmann ein klasse Torwart, aber nur, wenn er regelmäßig zum Einsatz kommt; ein total verunsicherter Lehmann -siehe Spiel gegen Österreich- läuft herum, wirkt unsicher.

    Wo bleiben hier die Prinzipien von Löw? Plötzlich wird alles, was er gesagt hat über den Haufen geworfen. Liegt es daran, dass Lehmann als Freund von Klinsmann gefördert wird? War Hildebrand zu unangenehm für Löw? Liegt es etwa daran, dass er manchmal seine Meinung geäußert hat?

    Diese Art, jemand aus dem Team zu werfen, halte ich für absolut skrupellos, radikal und ungerecht.Das kann schwerwiegende psychische Folgen nach sich ziehen. Wer den Mund hält, wird bleiben. Ohne Scheu schürt das Trainerteam den Konkurrenzkampf im Kader (drei müssen gehen, die sind dann die Buhmänner).

    Auf alle Fälle wurde Hildebrand abgesägt wie Kahn (bin kein Bayern Fan, aber er ist ein klasse Torwart) und die Medien feuerten Löw dazu an, durch die Adlerrufe. Dabei sah ich ein paar Bundesligaspiele in denen auch Adler nicht recht überzeugen konnte.

  • JR
    Jürgen Rummel

    Es ist zwar ein ganz netter Artikel, aber weshalb habe ich den denn schon in der SZ gelesen?

     

    Mir fällt seit zwei Jahren immer öfter auf, dass einzelne Artikel in mehreren Zeitungen gleichzeitig abgedruckt werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Meldungen 1:1-Übernahmen von Agenturmeldungen sind. So kann man sich als Genre "Tageszeitung" auch selber überflüssig machen.

  • TA
    Terry Amos

    Die Frage wird erlaubt sein: wen interessiert Timo Hildebrand? Der Typ hält im Ausland seine Rübe in die Flugbahn von Bällen, die von irgendwelchen Kerlen durch die Landschaft getreten wurden, bekommt wahrscheinlich 'ne Scheißkohle dafür und jetzt ist die Karriere des guten Patrioten dahin?

    Mannmannmann, werd' erwachsen ...