Nach CSU-Wahldebakel: Die Angst vor den Problembären
Nach dem bayerischen Wahldebakel warnen Bundespolitiker von CDU und SPD die Christsozialen vor Amokläufen in der Berliner großen Koalition.
Es klang, als habe CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla das südliche Bundesland auf der Landkarte erst suchen müssen. Die Ursachen für das bayerische Wahldebakel müssten jetzt "in der CSU sehr genau geprüft" werden, auch in der SPD sei Ursachenanalyse angebracht angesichts "des schlechtesten Ergebnisses, seit es in Bayern Wahlen gibt". Von der eigenen Partei, der CDU, sprach Pofalla am Sonntagabend im Berliner Konrad-Adenauer-Haus nicht.
Parteichefin Angela Merkel habe zu dem Debakel keineswegs mit ihrer Weigerung beigetragen, dem bayerischen Drängen auf Wiedereinführung der Pendlerpauschale nachzugeben. Das zeitgleiche Wahldebakel von SPÖ und ÖVP in Österreich zeige doch, "dass im Wettbewerb um Entlastungen beide Parteien verlieren". Auch das hörte sich wieder an, als sei München von der Berliner CDU-Zentrale mindestens so weit entfernt wie Wien.
Anders sahen das an diesem Abend die Christdemokraten, die bei Merkels Politik schon seit längerem das eigene Profil vermissen. "Es wird sich auch die Frage stellen, ob wir genügend an unsere Kernwähler gedacht haben", diktierte Michael Fuchs den Journalisten in die Blöcke, der CDU-Mittelstandspolitiker aus dem Bundestag, der an diesem Abend eigens in die Parteizentrale gekommen war. Erschienen war auch der zwanzigköpfige Landesvorstand der nordrhein-westfälischen Jungen Union, der gerade eine Klausurtagung in Berlin abhielt. Merkel müsse als Parteichefin in der CDU dafür sorgen, "dass alle Flügel wieder deutlich erkennbar werden", sagte JU-Landeschef Sven Volmering.
Es waren sehr vertraute Sätze an einem Abend, an dem sich so viel verändert hat für die deutsche Politik. Mit dreizehn Jahren Verspätung widerfährt der CSU in Bayern nun das, was die SPD in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen schon 1995 erleiden musste: den Verlust der absoluten Mehrheit. In Düsseldorf begann mit dem Zwang zur Koalition der Niedergang, der 2005 dann zum völligen Machtverlust und schließlich auch zum Ende der Kanzlerschaft Gerhard Schröders in Berlin führte.
Bei der SPD stürmte kurz nach halb sieben trotz des historisch schlechtesten Ergebnisses ein strahlender Übergangsparteichef auf das Podium im Willy-Brandt-Haus. "Wir reden nicht über ein Wahlergebnis, wir reden über ein Erdbeben, das diese Wahl ausgelöst hat", kommentierte Frank-Walter Steinmeier den Einbruch der CSU. "Bayern gehört nicht mehr einer Partei. Die CSU ist zurückgestuft worden auf das Maß einer normalen Regionalpartei!"
Mit Genugtuung schickte der Vizekanzler eine Mahnung an den Koalitionspartner - war es in letzter Zeit doch die SPD gewesen, die von der Union als Unsicherheitsfaktor in der Koalition gebrandmarkt wurde. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen brauche das Land eine handlungsfähige Regierung, sagte Steinmeier. "Wir erwarten von der Union, dass sie die Sacharbeit mit ihren Möglichkeiten sicherstellt."
Dass die SPD im Laufe der präziser werdenden Hochrechnungen immer weiter abrutschte, interessierte im Willy-Brandt-Haus niemanden so richtig. Auch über den Spitzenkandidaten Franz Maget wollte keiner ein schlechtes Wort verlieren. "Maget war ein hervorragender Kandidat", flüsterte die stellvertretende Parteichefin Andrea Nahles den Journalisten zu. "Aber heute ist nicht der Abend, um über ihn zu reden."
Was Nahles viel mehr interessierte, waren die Folgen der Turbulenzen für die Bundespolitik. Und die sind ihrer Meinung nach rosig: "Das Ergebnis ist zumindest der Sargnagel für Schwarz-Gelb auf Bundesebene." Ihr Kalkül: Kommt die CSU auch bei der Bundestagswahl in Bayern nicht über 45 Prozent, muss die Union insgesamt mit erheblichen Einbußen rechnen. Eine Koalition mit der FDP würde dann wohl kaum für eine Mehrheit reichen.
Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung, die im kommenden Frühjahr den Bundespräsidenten wählt, ändern sich durch das bayerische Wahlergebnis allerdings nicht. FDP und Freie Wähler haben bereits angekündigt, dass sie für den Unionskandidaten Horst Köhler stimmen wollen. Zusammengerechnet hat sich die Zahl der Wahlleute für das Köhler-Lager damit nicht verändert.
Mit der CSU hat die letzte Volkspartei in Deutschland ihre Fähigkeit eingebüßt, absolute Mehrheiten zu gewinnen. Herbeigeführt hat die neuen Verhältnisse diesmal nicht die Linkspartei. Erstmals ist mit den Freien Wählern auch auf der anderen Seite des politisches Spektrums eine Protestpartei entstanden, deren Erfolg ähnliche Ursachen hat - die Reformagenda von Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber.
Noch hat die Union das Glück, dass die neue Formation auf Bayern beschränkt bleibt. "Da die Freien Wähler bei der Bundestagswahl nicht antreten", machte sich Pofalla am Sonntagabend Mut, "sehe ich sehr gute Chancen, Wähler zurückzugewinnen."
Der Generalsekretär verband das sogleich mit einer kaum verklausulierten Warnung an die Christsozialen, in der Berliner Koalition nach dem Wahlschock nicht Amok zu laufen. Bürgerliche Wähler schätzten Sacharbeit. "Die Agenda der großen Koalition ist im sachpolitischen Bereich sehr ambitioniert." Er gehe davon aus, dass offene Fragen wie die Erbschaftsteuer "in den nächsten Tagen einvernehmlich beraten und entschieden werden".
Auch wenn von den CDU-Kollegen am Wahlabend noch niemand den politischen Sonderstatus der Schwesterpartei in Frage stellen wollte - langfristig ist das Resultat für die bundespolitische Position der CSU ein Desaster. Die Landesgruppe im Bundestag stellt bislang automatisch den Ersten Stellvertreter des Fraktionschefs, unterhält eine eigene Pressestelle und behält sich das Recht vor, sich Mehrheitsentscheidungen in der Unionsfraktion nicht zu beugen. Warum solche Vorrechte der CSU noch zustehen sollen, anderen Landesgruppen aber nicht - das wird kaum noch zu begründen sein.
Bei der Europawahl im nächsten Jahr könnte es für die CSU noch schlimmer kommen. Anders als bei der Bundestagswahl gibt es keine Direktmandatsklausel, jede Partei muss aus eigener Kraft die Fünfprozenthürde überwinden. Das würde bei einer Stimmenzahl in der gestrigen Größenordnung knapp. Eine CSU, die nicht mehr aus eigener Kraft Abgeordnete ins Europaparlament entsenden kann, wäre aber nicht mehr die CSU. Sie könnte bei der Schwesterpartei nicht mehr auftrumpfen, sie müsste bei ihr um eine engere Zusammenarbeit betteln. Es klingt aus heutiger Sicht absurd, aber ein Vereinigungsparteitag von CDU und CSU ist seit dem gestrigen Tag in den Bereich des langfristig Möglichen gerückt.
Es wäre nicht das erste Mal, dass es einer Partei in der Bundesrepublik so ergeht. So stützte die einst stolze württembergische Volkspartei ihre Sonderrolle innerhalb der FDP auf Wahlergebnisse an die zwanzig Prozent. Heute erinnert nur noch der Namenszusatz "FDP/DVP" an die glorreichen Zeiten.
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