NRW kyrillisch

Korrekte Russen, grüne Baumverächter, puschelige Mikrofone. Als Kyrill loslegte, trotzten auch taz-AutorInnen Wind und Wetter

Jewgeni hat die Ruhe weg

Drei Tage ist Jewgeni unterwegs, da stört ihn die Zwangspause nicht wirklich. Der 16-Jährige hockt am Vormittag nach dem Sturm vor einem riesigen Knäuel Reisetaschen im Kölner Hauptbahnhof und passt auf die Sachen der Mitschüler auf. „Dass wegen dem schlechten Wetter gar nichts mehr geht und die Leute ganze Tage warten müssen, kenne ich von zu Hause“, sagt der junge Russe aus Nischni Nowgorod und macht eine wegwerfende Geste. „Aber dass mir so etwas in Deutschland passieren könnte, hätte ich nie für möglich gehalten“ – seine Sätze wählt er bedächtig. Zehn Tage werden sie bei Gasteltern irgendwo zwischen Köln und Trier verbringen, um die Sprachkenntnisse zu verbessern. Der Junge hat die Ruhe weg: Als Wartende zu einem Bahnsteig stürmen, blättert Jewgeni im Grammatikheft und verbessert sich: „Wegen schlechten Wetters muss es heißen, oder?“ HERA

Danke, Buddha

Schwere Frage am Mobiltelefon: „Soll ich nun besser Meditieren oder doch Chips und Bier holen?“ Hm? Soll sie also an Kyrills Abend gemütlich vorm Fernseher sitzen oder im Schneidersitz? Natürlich riet ich zum Kiosk und dann zur Couch. Doch auf ihrem Rückweg von der Bude durch heulende Windböen, schlug plötzlich ein Dachziegel auf das Pflaster, ganz knapp vor den Füßen, dann noch einer. Es wurde recht ungemütlich. Zum Glück fand sie rasch Deckung in dem Eingang dieser fies braunmetallverschalten ehemaligen Bankfiliale an der Ausfallstraße. Wer sich dort heute trifft? Kein Witz: Die Buddhisten des Viertels – zum Meditieren. Omm. CSC

Im Dormargen

In Dormagen ist Endstation. Alles aussteigen. Zug fällt aus, steht auf der Anzeigetafel an der S-Bahn Station. Hatte nicht eine ähnliche Tafel am Kölner Hauptbahnhof versprochen: „S-Bahn nach Düsseldorf“? Hatte sie. War aber falsch. Wegen Sturmschäden bleibt die Strecke blockiert – auch am Freitagmorgen noch. Die Koordination zwischen Bahn und Verkehrsverbünden klappt nicht. Am Hauptbahnhof Köln stehen die S-Bahnen nicht auf den Anzeigetafeln. Also Dormagen, zwischen grüner Wiese und den mächtigen Rohren der Bayerwerke. Und? Eine Frau hat ihre Arbeitskollegin am Handy, die sie abholt: „Du bist toll, du bist so toll!“, freut sie sich. Andere wollen mit Bussen nach Neuss, dort soll die Düsseldorfer Straßenbahn fahren. „Hauptsache raus aus Dormagen“, sagt ein Endzwanziger im Anzug, die Nacht verbrachte er im Hotel, in Dormagen. DET

Sturm-Fernsehen live

Zu Weihnachten habe ich ein Heizkissen geschenkt bekommen. Das habe ich am späten Donnerstagnachmittag auf Vorheizen gestellt, nachdem davor gewarnt wurde, das Haus zu verlassen. Meine Kinoverabredung habe ich abgesagt, stattdessen den Fernseher angestellt. Sturm-TV live. Der Wort-Witz des Abends? Sturm Kyrill tobt über Deutschland, während ein politischer Sturm Bayerns Edmund Stoiber (CSU) aus dem Amt gefegt hat. Sehr schön. Ein Abend der Brennpunkte und puscheligen Mikrofone: Live-Schalten aus Monschau in der Eifel (Restaurant ohne Strom), Aachen (Parkplatz unter Wasser), von der Kölner Domplatte (abgesperrt) und dem Lipperland (Flüsschen wurde zum reißenden Strom). Heldin des Abends war die WDR-Moderatorin, die tänzelnd vom Kahlen Asten sendete. Am Morgen hatte die Schaulust ein Ende: Beim Warten auf den NRW-Express. HEI

Zwei Krücken

Im Vergleich zur Haupthalle ist die Kölner Bahnhofsmission eine Oase der Ruhe. Die 87-jährige Katharina Königstein ist eine der wenigen Reisenden, die hier gestrandet ist. Seit Donnerstag ist sie auf zwei Krücken unterwegs von Westerholt nach Andernach. Hinter Düsseldorf hielt der Zug auf offener Strecke, „und ich musste zwei Kilometer auf den Schienen zurück zum Bahnhof laufen“. Am Abend bekam sie einen Bus nach Köln und verbrachte die Nacht in der Mission. „Aber so schlimm war das nicht, die Leute hier sind sehr freundlich.“ Nur mit der Organisation der Bahn ist die alte Dame nicht zufrieden. „Seit 53 Jahren fahre ich nach Österreich, da gibt es oft Probleme wegen dem Schnee. Aber dass ich laufen musste, ist mir dort noch nie passiert.“ Eberhard Viertel von der Bahnhofsmission, kommt vom Rundgang: „Frau Königstein, der Zug nach Koblenz ist eben weg.“ Jetzt klagt auch die so unerschütterliche Dame: „Jetzt steh ich wieder da!“ Viertel tröstend: „Im Moment weiß niemand, wann die Züge fahren.“ SUG

Faustschläge für Taxifahrer

Der Hinweg zum Reportagetermin bei einem Ufo-Forscher in Lüdenscheid klappte gut: Mein Zug kam pünktlich – nur der vordere Teil war gesperrt, weil dort auf der Anfahrt nach Dortmund ein Baum aufgeschlagen war. Auf dem Rückweg fuhr kein Zug mehr. Der Ufo-Forscher rettete mich, schlängelte sich mit mir im Auto an Feuerwehrautos und umgestürzten Lastwagen vorbei bis zum Hagener Hauptbahnhof, wo mich mein Mann mit einem geliehenen Auto erwarten sollte. Machte er aber nicht, weil er den Bahnhof nicht finden konnte. Stattdessen konnte ich beobachten, wie das einzige Hagener Taxi mit Faustschlägen bedacht wurde, weil es die Stadtgrenzen nicht verlassen wollte. Am Bahnhof gab es Hotelgutscheine für Fernreisende und Taxigutscheine für die anderen. Die mit den Taxigutscheinen schrien und schimpften, die mit den Hotelgutscheinen gingen weg. MIB

Hoch die Solidarität

Bei Bedrohungen von außen wie einem Orkan sei das Wir-Gefühl bei den Menschen besonders stark, weiß der Kölner Psychotherapeut Peter Groß. Hilfsbereit zu sein sei dann „unheimlich befriedigend“. Als nach der Durchsage, dass kein Zug mehr fährt, alle Welt zu den Bahnhofs-Telefonen stürmt, ist davon wenig zu merken. „Was machen Sie denn da“, keift eine ältere Frau im Pelzmantel ein junges Mädchen an, das sich wegen Geldmangel auf dem Münztelefon zurückrufen lassen will. „Das funktioniert sowieso nicht. Sie können doch nicht einfach ein Telefon blockieren, ich muss das jetzt haben.“ Mädchen weggeschubst, Hörer geschnappt, Münzen eingeworfen, Diskussion zuende. Mich packt das Mitleid. Ich drücke dem Mädchen meine letzten 30 Cent in die Hand und mache mich mit dem nicht aufgeladenen Handy in der Tasche auf die Suche nach einer Steckdose. Befriedigt. JGT

Grünes Sturmopfer

Ewald Groth steht in der S1 von Düsseldorf nach Dortmund. Der Landtagsabgeordnete der Grünen hat keinen Sitzplatz mehr bekommen in der 1. Klasse des überfüllten Nahverkehrszuges. Gemeinsam mit anderen Pendlern versucht der Politiker nach Hause zu kommen – gegen den Sturm. In Düsseldorf-Unterrath hält die Bahn. „Wegen der Sturmschäden sind die Gleise nicht befahrbar. Bitte benutzen Sie andere Verkehrsmittel“, trötet ein Durchsager. Die Fahrgäste lachen. Ein Mann sagt: „Die sollen die Bäume einfach umhauen.“ Groth lacht und scherzt: „Ja, genau. Oder ist hier ein Grüner im Zug?“ Die Passagiere verlassen die S1 – suchen ein Taxi oder flüchten in Busse. Groth telefoniert per Handy. Irgendwo in Unterrath ist ein Grüner Opfer des Sturms geworden. TEI

Depri-Funk aus dem Sturmtief

Beim Spanier soll der Abend doch noch schön werden. Über ein Pils gebeugt, sitzen sechs Gestalten und versuchen sich mit selbstmitleidigen Kurznachrichten zu kurieren, die träge ins Handy getippt werden. Die Kommunikation bewegt sich im Takt vibrierender Mobiltelefone und ihrer abgelaufenen Akkus.

„Sechs Stunden im Stau? Du sitzt wenigstens auf der Autobahn fest und nicht in der Düsseldorfer Altstadt!“

Abwechselnd rufen Freunde, Eltern, Freundin und die Schwester an. Deprimiert lese ich, wie sich ein Orkan bei eingeschaltetem Video anfühlt. Es könnte so schön sein beim Spanier: Es gibt Bier, eine überteuerte Pilzpfanne und schnulziges Gitarrengeplänkel aus der Anlage. Ohne das Handy wäre alles gut. MOE