NORDKOREA ZWINGT CHINA UND JAPAN ZUR POLITISCHEN ANNÄHERUNG : Kurzsichtige Giganten
Noch bevor sich die chinesisch-japanischen Beziehungen in den letzten Jahren arg verschlechterten, hatte der japanische Literaturnobelpreisträger Oe Kenzaburo gewarnt, dass die große Frage von Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert zwischen Japan und China entschieden werde: Oe sah in Japan und China die beiden Weltmächte, die sich von allen am wenigsten untereineinander verstehen. Er belegte seine These genau. Doch die Welt verstand Oe schon damals nicht. Heute gelten Iran und Nordkorea als Kriegsrisiken, Japan und China dagegen als Garanten des Friedens. Zumal es scheint, dass sich die beiden asiatischen Führungsmächte nach Jahren der geschichtsideologischen Entfremdung endlich wieder realpolitisch einander annähern.
Endlich! Das würde auch Oe sagen. Politiker und Medien in Peking und Tokio führten zuletzt einen unkontrollierten Geschichtsstreit über den Zweiten Weltkrieg, voll unberechtigter Kollektivvorwürfe und historischer Falschaussagen, getrieben vom verletzten Nationalstolz auf beiden Seiten.
Wenn die Regierungen daran nun nicht mehr teilnehmen, umso besser. Peking und Tokio haben viel nachzuarbeiten. Am drängendsten aber ist eine gemeinsame Antwort auf die nordkoreanische Drohung mit Atombombenversuchen. Großspurig hat Japans Außenminister verkündet, sein Land werde einen nordkoreanischen Atomtest nicht mit Worten, sondern mit Taten beantworten. Schon wird in Tokioter Regierungskreisen die baldige Raketen- und anschließende Atomaufrüstung diskutiert. Für Peking sind das Horrorszenarien.
Bisher aber verhalten sich Peking und Tokio zu Nordkorea, als würde die dortige Gefahr das bilaterale Verhältnis nicht berühren. Ausgerechnet der neue japanische Premier Shinzo Abe ist der größte Nordkorea-Kritiker seines Landes – aus rein innenpolitischen Gründen, für den Stimmenfang bei Wahlen. Umgekehrt aber wagt auch Chinas Parteichef Hu Jintao keine öffentliche Distanzierung von seinem gesetzlosen Parteibruder Kim Jong Il in Pjöngjang: Er fürchtet Flüchtlingsströme und einen Grenzkonflikt im Norden Chinas; auch er denkt dabei also vorrangig innenpolitisch.
China und Japan sind Weltmächte in Zeiten der Globalisierung. Ihre Führer genießen es, sich ein paarmal im Jahr an der Seite von US-Präsident George W. Bush ablichten zu lassen und damit ihre Teilhabe an der Weltpolitik simulieren. Doch in Wirklichkeit sind die Kommunistische Partei in Peking und die Liberaldemokratische Partei in Tokio nationalistische Gebilde, die selten über ihre Grenzen hinausblicken. Das wusste Oe. Und daher gilt seine Warnung noch heute. GEORG BLUME