■ NOCH 3349 TAGE BIS ZUM JAHR 2000: Massaker in Wald und Flur
Seit Oktober wird in den deutschen Wäldern und Fluren die Luft wieder bleihaltiger. Bis Januar wird auf Hasen, Fasane, Enten und Rebhühner aus allen Rohren geballert. Wildschweine, Rehe oder Hirsche sind natürlich nicht vergessen worden — sie kommen später dran. 260.000 deutsche Jäger ziehen, Mord im Herzen, Schnaps in der Tasche und Schrot im Rohr, durchs Unterholz. Wenn das Jahr vorbei ist, werden sie ungefähr drei bis fünf Millionen Tieren den Garaus gemacht haben. Schon 1988 flasterten die Leichen von 600.000 Kaninchen, 700.000 Hasen, 420.000 Fasane, 622.000 Enten, 595.000 Tauben und 24.000 Rebhühner die Herbst- und Winterstrecke der deutschen Waidmänner. Kann die kranke Natur nicht mehr genug jagbare Viecher hervorbringen, wird mit gezüchteten Tieren nachgeholfen. Wieviele es genau sind, ist geheim. Aber wie man hört, werden allein 300.000 gezüchtete Fasane pro Jahr in den Revieren ausgesetzt. Viele von ihnen sind Verhaltenskrüppel, die mit Wildtieren nicht mehr das geringste zu tun haben, oft sind sie sogar völlig flugunfähig. Das stört einige Waidmänner wenig, mit Fußtritten und Flüchen werden die handzahmen Tiere zum Flattern gebracht, denn die jagende Ethik verbietet es, laufende Fasane zu erlegen. Überhaupt ist es mit dem Fairplay im Jagdgewerbe nicht mehr weit her, das Wild hat fast nie mehr eine Chance zu entkommen. Im Gegenteil, oft tappt die arglose Kreatur sogar von selbst in die Falle.
Österreichische Jäger zum Beispiel sind ganz hibbelig, nachdem sechs tschechoslowakische Elche illegal die Grenze überschritten haben. Die Tiere, fünf in einem Rudel und ein Einzelgänger, gelten nach den Jagdgesetzen zwar als „ganzjährig geschontes Wild“ und dürfen nicht erlegt werden. Aber das muß ja nicht so bleiben. Die Jäger behalten die Elche auf jeden Fall im Auge.
Daß ein Waidmann auch im hohen Alter noch zu famosen Leistungen fähig ist, bewies ein 80jähriger aus Marl. Dem rüstigen Grünrock gelang ein kapitaler Doppeltreffer. Er hatte auf eine Taube angelegt und mit der Gewehrkugel nicht nur den Vogel, sondern auch noch eine mehr als 100 Meter entfernte trächtige Traberstute erlegt. Der Kreis Recklinghausen entzog dem Greis die Jagderlaubnis, weil er die „erforderliche Zuverlässigkeit des Schützen nicht mehr gewährleistet“ sah. Nach Auskunft eines Scharfschützen hätte die Kugel bis zu drei Kilometer weit fliegen können, wenn das schwangere Pferd nicht als Kugelfang gedient hätte. Karl Wegmann
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