NIEDRIGE SOZIALABGABEN FÜR GERINGVERDIENER SCHAFFEN JOBANREIZE : Gewagter Versuch zur rechten Zeit
Viele unappetitliche Vorschläge kursieren, die Leute mit geringen Verdienstmöglichkeiten zum Arbeiten bewegen sollen. Die Wirtschaftsprofessoren Werner Sinn und Bert Rürup schlagen vor, Hartz IV um ein Drittel zu kürzen. Dagegen nimmt sich die neueste Idee der großen Koalition geradezu human aus. Sie überlegt, Geringverdienern die Sozialabgaben zu erstatten. Auch das würde den Druck erhöhen, einen Job zu suchen, wäre aber deutlich sozialverträglicher.
Interessanterweise scheint dieses Modell, das Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) ins Gespräch gebracht hat, eine mögliche Schnittmenge mit der Union darzustellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schien gestern gewogen zu sein. Auch sie glaubt wohl, dass SPD-Chef Kurt Beck nicht ganz falsch liegt mit seiner Einschätzung, die Duldsamkeit der Bundesbürger sei, was harte Reformen angeht, allmählich erschöpft.
Der neuesten Idee, ausformuliert vom Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, liegt die durchaus richtige Annahme zugrunde, dass die hohen deutschen Sozialbeiträge den Lohn von Geringverdienern über Gebühr belasten. Wer 900 Euro brutto pro Monat verdient und davon noch 180 Euro an die Sozialversicherung bezahlen muss, kann auch gleich Hartz IV beantragen. Häufig kommen er und sein Arbeitgeber damit billiger weg. Da kann es schlauer sein, dass der Staat die Sozialbeiträge übernimmt und es sich dadurch lohnt, auch einen schlecht bezahlten Job anzunehmen.
Verlierer – und das ist beabsichtigt – würde es auch mit der neuen Regelung geben. Denn Bofinger schlägt vor, die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Hartz IV drastisch einzuschränken. Eine Kombination aus staatlichem Sozialtransfer und geringem Arbeitseinkommen – heute von Hunderttausenden praktiziert – würde dadurch deutlich schwieriger. Wollen diese Leute nicht schlechter dastehen, müssen sie sich einen Job suchen, der mehr Geld bringt. Dass ihnen das gelingt, ist eine gewagte Annahme. Aber immerhin kommt sie zur rechten Zeit: Denn im gegenwärtigen Aufschwung entstehen neue Jobs. HANNES KOCH