NICHT NUR KEKSE BACKENDE UND FÜR DAS AUFOPFERN WERBENDE SALAFISTEN, NEIN, WIR ALLE SEHNEN UNS MANCHMAL NACH EINEM WEG, DER EINFACH IST : Was hilft, ist der Zweifel
KATRIN SEDDIG
Salafisten backen also Kekse. Sie werben Jugendliche und Jugendliche werben andere Jugendliche. Sie bilden sich aus und reisen nach Syrien, sie kämpfen und geben notfalls ihr Leben hin für etwas, das wir schlecht verstehen. Wir kennen nicht ihre Regeln, wir kennen nicht ihre Überzeugung und ihre Ziele. Wir wissen nur, dass sie extrem sind, in ihren Ansichten, dass sie sich innerhalb strenger Hierarchien bewegen, dass sie glauben. Irgendwas. Und wir denken, dass sie eine Gefahr für uns darstellen.
Aus Hamburg sollen ungefähr dreißig Salafisten nach Syrien gereist sein. Dreißig, denke ich, dreißig ist auch nicht so viel, in einer so großen Stadt, die sehr viel mehr Verrückte hat, Mörder und Perverse, durchgeknallte Gewaltbereite. Die alle keine Salafisten sind. 1933 war Adolf Hitler der Mann der Stunde und die deutsche Jugend ließ sich ausbilden, in der kleinen Uniform der Hitlerjugend. Die Jugend glaubte auch an manches und was sie nicht glauben wollte, das glaubte sie trotzdem, denn die Jugend wurde von allen Seiten gewaschen und gebügelt, bis sie bereit war für jede Art von Schlacht.
Die deutsche Jugend wäre als Salafist so tauglich gewesen wie jede andere Jugend auch. Der junge Mensch ist formbar und sehnt sich nach einem Weg, der einfach ist. Wir alle sehnen uns manchmal nach einem Weg, der einfach ist. Nach jemandem, der uns sagt, was richtig ist. Nur eine Richtung, nur ein richtig. Keine Zweifel, auf gar keinen Fall Zweifel. Denn Zweifel quälen uns und strengen uns an.
Mich strengen meine ewigen Zweifel an. Warum ich mich niemals einer Organisation und keiner Partei und auch keiner Vereinigung anschließen kann, nicht einmal dem Elternrat in der Schule: Ich kann nur eine einzige Meinung vertreten. Ich kann keine Meinung mittragen. Eine Meinung mittragen, ist ein Kompromiss und notwendig in der Politik. Politiker kommen manchmal in einen Konflikt zwischen ihrer und der Ansicht der Mehrheit ihrer Partei. Dann müssen sie sich fügen und Dinge tun, die sie für falsch halten, Dinge vertreten, die sie für falsch halten, so geht Politik.
Ein junger Salafist sieht sich vermutlich als einen Kämpfer der guten Sache. Er möchte ein guter Mensch sein, der etwas Richtiges tut. Er möchte mithelfen, eine neue und richtige Welt aufzubauen. Er weiß nicht, dass es solch eine Welt nicht gibt. Dass es sie nie geben wird. Dass es nichts Erhabenes gibt und nicht das große Gute. Damit kann sich ein junger Salafist aber nicht abfinden. Er will kämpfen und glauben, weil das ein Weg ist, auf dem er nicht denken muss. Er muss nur glauben und weitergehen, notfalls mit verbundenen Augen.
Ich kann das verstehen, so aus dieser Sicht kann ich das verstehen. Ich habe mich natürlich nicht mit der Gottessache beschäftigt, davon weiß ich nichts, ich habe keinen Gott und bin gar nicht so froh darüber, aber es ist wie es ist. Im Übrigen aber sehnen wir alle uns nach den einfachen Wegen, wir schauen uns Hollywoodfilme an, in denen es um Gerechtigkeit und Liebe geht und die Gerechtigkeit und die Liebe gewinnen meist, oder scheitern auf pathetische Weise, weil uns das gefällt, sowohl der Pathos des Scheiterns als auch die Idee von der großen, der ganz großen Liebe und der klaren und einfachen Gerechtigkeit. Aber dies ist auch nur eine Form von Neigung nach dem Einfachen, nach dem, was uns nicht fordert und uns nicht anstrengt.
Was dagegen hilft, ist zweifeln, ist böser Humor, was hilft, ist kühler Realismus. Das Schöne und die Wahrheit aber hocken versteckt in den Brüchen und im Kaputten. Nichts bleibt ganz, alles ändert sich. Das ist so erschreckend wie beruhigend. Es kommt nur auf den Blickwinkel an. Im Cinemaxx aber, da sitzen sie, die ganzen kleinen Extremisten, unsere Kinder, die Cola und Popcorn XXL auf dem Schoß, dem Pathos verfallen wie die Eltern, und lernen hoffentlich trotzdem auch das Denken. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.