NEUES PISA MISST ERSTMALS DIE LERNFORTSCHRITTE IN DEN SCHULEN : Ein Fünftel der Schüler wird dümmer
So eine Pisastudie kann einen schon verrückt machen. Vor ein paar Tagen noch lamentierte eine große Berliner Zeitung, die Schulstudie sei das perfide Täuschungsmanöver einer Testindustrie. Pisa ist nur für den Profit!, übernahm die Zeitung den Tenor der Pisakritiker, die sich gerade formieren. Gestern nun die Kehrtwende. Dieselbe Zeitung half fleißig beim Täuschen mit und packte die neueste Studie aus dem Pisa-Unternehmen auf ihre Titelseite. Botschaft: Wieder nix dazugelernt!
Ja, was denn nun? Sind die Ergebnisse der weltweiten Schulvergleiche nun Fakes oder Facts? Wäre es nicht an der Zeit, dass auch die Journaille Aufklärung statt Verwirrung betreibt? Bürger, Eltern und vor allem Schüler haben nämlich ein Recht darauf zu erfahren, was Pisa bedeutet. Und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Das „Programme for International Student Assessment“, wie die Studie formell heißt, ist da eindeutig. Erstens: Das Lernen funktioniert in deutschen Schulen viel schlechter, als das sein sollte. Zweitens: Die heruntergekommenen Lernformen und die markante Anordnung der Schulformen führen zu einer völlig inakzeptablen Diskriminierung großer Bevölkerungsgruppen. Drittens: Es muss was passieren – gerade bei den didaktischen Fähigkeiten der Lehrer. Nur, es passiert eben viel zu wenig.
Pisa zeigt nun mit neuer Methode auf die alten Probleme. Zum ersten Mal hat man bereits abgefragte Schüler nach einem Jahr noch einmal gestestet – um herauszufinden, was sie dazulernten. Dabei kommt die interessante Erkenntnis heraus, dass 20 Prozent der Getesteten mehr ver- als hinzulernen. Volkstümlich gesagt: Sie werden dümmer! Das ist betrüblich.
Eine Frechheit aber ist die Anlage der Untersuchung. Hauptschüler wurden in dieser ersten Lernfortschrittsstudie gar nicht erst berücksichtigt. An der kognitiven Fortentwicklung der Kellerkinder des Schulsystems sind Pisaforscher und Kultusminister offenbar nicht mehr interessiert. Das ist nicht hinnehmbar. Nicht für eine Republik, die in ihrem Grundgesetz verspricht: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ CHRISTIAN FÜLLER