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Archiv-Artikel

NEUE CASTINGSHOW, ALTE CHUCKS, G+J-UMSATZMINUS, KARTOFFELN Wir Selbstbesamer und die Krise auf meinem Teller

Liebe taz-Medienredaktion,

wer nichts wird, wird Wirt. Das ist schon lange so und wird so bleiben – auch wenn es immer öfter heißen wird: Wer als Journalist nichts mehr ist, wird Wirt. Denn die argen Verhältnisse lassen immer mehr Kollegen und Kolleginnen einen ernsten Blick auf die Hauptstraße ihres Ortes mit der Frage werfen, ob hier nicht noch Platz für einen Coffeeshop ist. Oder zumindest für den einen, mit einem total anderen, innovativen Konzept. Vielleicht mit Ausstellungen oder gematschten Früchten als Saft.

Nun sind die Medien der Spezies der Selbstbesamer zugehörig und können sich ständig unkompliziert neu befruchten. So auch in dieser fiesen Zeit: „Wer wird Wirt?“ heißt die Castingshow von Kabel 1, bei der ab September je drei Bewerber in den Kampf um einen Pachtvertrag geschickt werden. Erstes Kriterium, mit dem die Gemeinde vor Kneipen-Ort überzeugt werden muss: das Konzept. „Ho! Ho! Ho!“, höre ich meine in ihrer Kreativität vergärenden Kollegen rufen, „das ist uns doch ein Leichtes!“

Offen für neue Ideen und Befruchtung zeigt sich auch Gruner + Jahr. Allerdings setzt man hier auf monetäre Fremdbesamung und regt an, die Mitarbeiter mögen dem Verlag Kredit gewähren. Denn das Verlagshaus, das schon vor der Krise die finanziellen Löcher seines Mutterkonzerns Bertelsmann stopfen musste, steht vor dem Aus. Jedenfalls, wenn man es gewohnt ist, in Milliarden zu denken.

Bereits 2008 war der Umsatz laut Handelsblatt um 2,2 Prozent auf 2,77 Milliarden Euro gesunken. Für 2009 rechnet man laut Hamburger Abendblatt mit einem weiteren Rückgang auf unter 2,5 Milliarden Euro. Was bedeutet, dass nur noch mit einem operativen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 130 bis 160 Millionen Euro zu rechnen ist, wenn die vom Verlag nicht bestätigten Zahlen stimmen.

Wer so wenig Gewinn macht und darauf auch noch Steuern zahlen muss, hat ein Anrecht darauf, dass alle Mitarbeiter ihren Teil leisten. Auch wir Freien, denen Gruner Jahrzehnte lang einen feudalen Lebenswandel finanziert hat, müssen etwas tun. Ich habe einen Moment lang überlegt, wie mein Beitrag aussehen könnte. Nun ist das momentan nicht so ganz einfach. Beim Stern heißt es: „Keine Freien mehr“, die Seiten, die ich bei der FTD bespielt habe, wurden von der Sparwelle weggespült. Deren Luxusbeilage ist auf Eis gelegt. Die Brigitte meldet sich auf Themenvorschläge gar nicht mehr. Redaktionsvertretungen bei Krankheit oder Urlaub wurden auch gestrichen.

Ich habe jetzt meinen Sportwagen und mein Reitpferd verkauft. Das Kind kann nicht mehr Tennis spielen und muss die Converse, die ich ihm im April gekauft habe, auch noch im August tragen. Es gibt bei uns zu Hause immer öfter Kartoffeln – sprich: Mit Geld ist es schlecht. Nicht so wie bei den Festangestellten, die alle unglaublich datierte Verträge auf Lebenszeit haben und täglich in Alexander McQueen zur Arbeit kommen.

Aber ich habe mir gedacht, ich könnte ja Wäsche waschen. Oder mal staubsaugen. Also, im Haupthaus. Nicht in den Eigentümervillen an Elbchaussee oder Alster. Bei 130 Millionen Gewinn vor Steuern sollte so viel Einsatz schon drin sein.

Damit zurück nach Berlin.