NACHRUF: Der Tod des Bettlers
■ Katalogzar und Sportführer Josef Neckermann ist tot
Berlin/Hamburg (dpa/taz) — Josef Neckermann, die Inkarnation des deutschen Wirtschaftswunders, ist tot. Der 79jährige Industrielle, der bislang bekanntermaßen „alles möglich“ gemacht hatte, starb in der Nacht zu Montag.
Am 5. Juni 1912 in Würzburg als Sohn eines Kohlengroßhändlers geboren, profitierte Neckermann 1935 von der sogenannten Arisierung jüdischer Unternehmen und stieg in den Textilhandel ein. Nach dem Krieg kam ihm die seinerzeit ebenso geniale wie angemessene Verkaufsidee: Massenverkauf zu kleinen Preisen. Der erste Katalog des Versandhändlers Neckermann vom 1. April 1950 umfaßte zwölf Seiten mit 147 Artikeln, alles Textilien. Zwei Jahre später zählte die Neckermann Versand KG zu den zehn größten Unternehmen dieser Art in Deutschland. 1953 wurden Rundfunkgeräte zu sensationell niedrigen Preisen feilgeboten, von 1954 an waren Kühlschränke, 1955 auch Waschmaschinen per Katalog zu haben. 1963 jedoch begann mit dem Ausstieg des Großindustriellen Friedrich Flick und dessen 70-Millionen-Anteilen der finanzielle Niedergang. Erfolg hatte Neckermann noch einmal mit seinem Einstieg ins Flugreisegeschäft. Bis 1968 baute er die NUR (Neckermann und Reisen GmbH) innerhalb von nur fünf Jahren zum damals größten Veranstalter von Flugreisen auf. Es folgten das Fertighausunternehmen und die Versicherungstochter Neckura. Doch das Warengeschäft darbte: Nach einem Verlust von 222 Millionen Mark im Jahr 1976 folgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und die mehrheitliche Übernahme vom Warenhauskonzern Karstadt. 1977 schied Josef Neckermann schließlich aus der Geschäftsführung aus und widmete sich fortan nur noch seiner Leidenschaft, dem Dressurreiten. 1960 holte er sich bei Olympia in in Rom mit Asbach die Bronzemedaille, 1964 in Tokio und 1968 in Mexiko-Stadt gehörte er den deutschen Gold-Equipen bei den Olympischen Spielen an. Bei Sommerspielen sammelte Neckermann zweimal Gold, zweimal Silber und zweimal Bronze, dazu kamen zwei Weltmeistertitel. 1981 nahm er Abschied vom Dressur- Viereck. 1967 ließ er sich an die Spitze der Sporthilfe wählen und sammelte bis Ende 1988 230 Millionen Mark für das „Sozialwerk des deutschen Sports“. Seither galt er als der größte Bettler der Welt. miß
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