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MusikfestHier zaubert Zufall

Die Musik des polnischen Komponisten Witold Lutosławski beweist, dass sich avantgardistische Positionen mit Hörbarkeit vereinen lassen.

Ihm verdankt die Musikwelt das Prinzip der kontrollierten Aleatorik: Witold Lutosławski (Archivaufnahme)

Es hat Vorteile, wenn die Musik sich innerhalb festgelegter Formen bewegt. Da lässt sich das Gehörte schön an ein bekanntes Gerüst anlehnen und damit abgleichen. Weniger bequem, auch beim Hören, ist es, wenn das Gerüst fehlt. Andererseits kann dieser Zustand deutlich aufregender sein. Das Musikfest, das in diesen Tagen zu Ende geht, bot unter anderem Gelegenheit, die Werke Witold Lutosławskis näher kennenzulernen. Dabei ließ sich ein Tonkünstler der europäischen Avantgarde entdecken, dessen Musik nicht auf dem Formexperiment als Selbstzweck besteht, sondern zum Hören geschrieben wurde.

Der Pole, der auch aus politischen Gründen künstlerisch lange nicht frei agieren konnte, entwickelte relativ spät in seiner Laufbahn das Prinzip der „kontrollierten Aleatorik“. Viele Werke enthalten Passagen, in denen vorgegebene Muster frei wiederholt werden, ohne dass der Dirigent eingreift. So entstehen beziehungsreiche Geflechte von Zusammen- und Zwischeneinanderklängen, die zwar wohldurchdacht sind, in denen jedoch immer wieder der Zufall zaubern darf.

Der 1994 verstorbene Komponist war ein Teil des mitteleuropäischen Dreigestirns, das den programmatischen Schwerpunkt des dreiwöchigen Musikfests bildete: Leoš Janáček, Béla Bartók und eben Lutosławski. Ein Tscheche, ein Ungar und ein Pole. Janáček und Bartók, zu ihrer Zeit ebenfalls musikalische Neuerer, teilten die Faszination für die musikalische Folklore ihrer Heimat und gingen produktiv mit traditionellem Tonmaterial um. Wenn man in diesen Tagen nach dem verbindenden Element zwischen allen drei Komponisten suchte, so fand man schnell eine musikalische Leichtigkeit, die viel mit Humor zu tun hat. Deshalb war es ein echter atmosphärischer Missgriff, als das Pittsburgh Symphony Orchestra ausgerechnet den Abend des Eröffnungskonzerts mit Richard Strauss’ erdenschwerem „Heldenleben“ beschloss – und das, nachdem Anne-Sophie Mutter zuvor so inspiriert Lutosławskis Stück für Geige und Orchester, „Chain II“, gegeben hatte.

Die Programmgestaltung anderer Abende fiel geglückter aus. Mariss Jansons und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks kamen mit einem rundum runden Lutosławski-Bartók-Konzert, Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker kombinierten glanzvoll große Symphonik von Lutosławski und Janáček mit Mahlers Liedern eines fahrenden Gesellen (herzergreifend: Christian Gerhaher). Der Pianist und Dirigent Pierre-Laurent Aimard gesellte zur geistreichen mitteleuropäischen Moderne aus Janáček, Bartók und Ligeti zum Schluss ein Mozart-Klavierkonzert, was nicht so schlecht passte.

Silber in der Minderheit

Großartig in den Rahmen impliziten musikalischen Humors passte aber natürlich Mauricio Kagel. Ist gerade eine kleine Kagel-Renaissance im Gange? Nachdem kürzlich die Deutsche Oper ihre Saison wirkungsvoll mit einem von Kagels „Himmelsmechanik“ inspirierten Projekt eröffnete, gehörte auf dem Musikfest der vergangene Samstagabend zu den Highlights. Da führten Rias Kammerchor und das Ensemble Musikfabrik unter James Wood Janáček, Strawinsky und eben Kagel auf. Ein großer Teil des Publikums im ausverkauften Kammermusiksaal hatte kein Programmheft bekommen, weil man offenbar nicht mit so großem Interesse gerechnet hatte.

Die Silberhaarigen bildeten an diesem Abend eine verschwindende Minderheit. Möglicherweise könnten die musikalischen Institutionen aufhören, solche Angst vor dem Publikumssterben zu haben, wenn sie nur im Repertoire wagemutiger würden. Man will doch spüren, wie das Trommelfell klingelt, wenn die Sopranistin Anu Komsi in großer Blümchenrobe die Braut in Strawinskys „Les Noces“ singt. Und man will bei Kagels Marschpersiflagen die Trommelstöcke fliegen sehen. Ein toller Abend!

Übrigens geht es natürlich mehr als in Ordnung, auch noch mal Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 zu hören, wenn Martha Argerich es spielt. Das tat sie im Abschlusskonzert gemeinsam mit der Staatskapelle unter Daniel Barenboim. Unglaublich inspirierend und beglückend, diese 72-Jährige zu sehen und zu hören, deren beiläufige Virtuosität einhergeht mit einer elementaren musikalischen Energie, wie sie vermutlich auch dem jungen Beethoven selbst eigen war. Ein großes Erlebnis, das gekrönt wurde von einem musikalischen Geschenk: Argerich und Barenboim vierhändig mit einem Rondo von Schubert.

Man hatte an diesem Punkt nicht das Gefühl, sich weit entfernt zu haben vom Anfang des Abends. Der hatte begonnen mit Lutosławskis Orchesterstück „Mi-parti“. Die Lutosławski’sche Gabe, die Klänge aus dem Orchesterkörper wachsen zu lassen, als sei dieser gar kein kulturelles Konstrukt, sondern ein lebender Organismus, erscheint beinahe biologisch. Eben fast so, als sei Musik das Allernatürlichste auf der Welt. Man kann selbstverständlich auch „kontrollierte Aleatorik“ dazu sagen.

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