Mord oder Selbstmord - wer warf die Frage als Erster auf?

■ Betr.: „Ist Kurt Tucholsky ermordet worden?“, taz vom 23.8.90

In den Artikel wird den Oldenburger Wissenschaftlern Dirk Grathoff und Gerhard Kraiker als Ergebniss von Recherchen zugeschrieben, daß Tucholsky möglicherweise nicht Freitod begangen habe, sondern von den Nazis umgebracht worden sei. Demgegenüber ist festzustellen, daß Grathoff und Kraiker sich mit dieser Frage überhaupt nicht beschäftigt haben und keiner von beiden sich je dazu geäußert hat.

Vielmehr at der Historiker Michael Hepp, der an einer Biographie über Tucholsky arbeitet, Hinweise gefunden, die ihm die bisherigen Darstellungen vom Selbstmord Tucholskys in neuen Licht erscheinen lassen und auch die Möglichkeit eines als Selbstmord getarnten Mordes nicht mehr ausschließen.

Auch die Tucholsky-Biographin Helga Bemmann (DDR) wirft die Frage nach einem politisch motivierten Mord an Tucholsky auf.

Solange jedoch nicht ein exakter Beweis dafür vorliegt, kann man lediglich die Fakten aufzeigen, die für einen Selbstmord sprechen und die, die auf einen möglichen Mord hinweisen. Alles andere ist unseriös.

Die von Ihnen Grathoff und Kraiker zugeschriebenen angeblich neuen Datierungen des „Abschiedsbriefes“ und des Tages der „Gifteinnahme“ sind seit mehreren Jahren bekannt und auch bereits veröffentlicht. Die Entdecker sind der schwedische Arzt Olle Hambert und die Leiterin des Tucholskys-Archivs, Antje Bonitz.

Wie schludrig der Artikel geschrieben ist, geht nicht nur aus den willkürlichen Zuschreibungen von Forschungsergebnissen hervor, sondern zeigt sich auch daran, daß der ja nicht gerade unbekannte Schriftsteller Walter Mehrig zu einem Historiker gemacht wird und unter den Publikationsorganen Tucholskys die „Linkskurve“ genannt wird; diese hat ihn heftig angegriffen, aber nichts von ihm veröffentlicht.

Die Angriffe auf den Herausgeber der Werke und Briefe Tucholskys, Prof. Fritz J. Raddatz, werden auch durch ständige Wiederholungen nicht wahrer.

Zum einen hat Herr Raddatz nicht die Urheberrechte abgetreten. Sie werden weiterhin von ihm bzw. der Kurt-Tucholsky-Stiftung wahrgenommen. Zum anderen hat sich Fritz Raddatz schon um Tucholskys verdient gemacht, als viele in den beiden Deutschland von Tucholsky so gut wie nichts wußten.

Unter welchen schwierigen Umständen nach dem Krieg die ersten Tucholsky-Bände in der DDR und der BRD gemacht wurden, ist zwar schon mehrfach beschrieben, aber offenbar nicht zur Kenntnis genommen worden.

Daß es 1960 überhaupt eine erste Gesamtausgabe gegeben hat, ist auch der Beharrlichkeit von Herrn Raddatz zu verdanken. Auch die geplante neue Gesamtausgabe wird von Herrn Raddatz nicht abgelehnt, wie sie in Ihrem Artikel behaupten, sondern im Gegenteil unterstützt.

Antje Bonitz, Prof. Dr. Dirk Grathoff,

Michael Hepp, Prof. Dr. Gerhard Kraiker