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Archiv-Artikel

Mord, nicht Stalking

Betr.: „Sie verließ sich auf die öffentliche Hand“, „Schwere seelische Abartigkeit“, taz bremen vom 16.09. und 27.09.05

Etwas mehr Präzision in den Formulierungen wäre angebracht. Erstens handelt es sich um einen Mord- und nicht um einen Stalking-Prozess! (…) Der Ehemann ist wegen Mordes angeklagt und nicht wegen Stalking. Ersteres wird mit der Höchststrafe belegt, Letzteres ist fast (s.u.) nicht strafbar.

Schwerer wiegt aber, dass der Eindruck vermittelt wird, Stalking ende irgendwann zwangsläufig in der Tötung des Opfers (…). Das geht meilenweit an der kriminalistischen Realität vorbei. (…)

Um nicht missverstanden zu werden: Stalking kann sehr lästig sein, (…) kann einem die Freude am Leben nehmen, zu gesundheitlichen und sozialen Problemen führen etc., und Stalking-Opfer brauchen professionelle Hilfe (um die es in Bremen ganz gut bestellt ist) so wie auch manche Stalker (da gibt es wohl noch Nachholbedarf). Aber Stalking bitte nicht zu einem weiteren Phänomen der angeblich steigenden Gewaltkriminalität hochstilisieren – damit ist niemandem geholfen!

Zweitens war der Angeklagte keineswegs „als Stalker verurteilt“ worden. Seine Frau hatte gegen ihn beim Amtsgericht ein so genanntes „Kontaktverbot“ erwirkt. Dabei handelt es sich aber gerade nicht um die Verurteilung durch ein Strafgericht, sondern um eine Schutzanordnung durch das Familiengericht. Strafrechtlich „verurteilt“ werden könnte er wegen eines Verstoßes gegen das Kontaktverbot – sein erster „Verstoß“ war aber gewissermaßen die Tötung der Frau. (…) Verurteilt werden könnte er auch, wenn er der Frau im Vorfeld mit einer solchen Tat gedroht oder diese gemeinsam mit anderen vorbereitet hätte. Entsprechende Verfahren hat es aber offenbar nicht gegeben, die Polizei hat diesbezüglich Fehler eingeräumt. Ihr Vorschlag, eine „Stalking-Datei“ einzurichten, ist aber wohl eher als Ablenkungsmanöver zu werten, das auch datenschutzrechtlich äußerst fragwürdig anmutet.

Drittens sollte vermieden werden, denen noch Wind in die Segel zu blasen, die in Berlin mit dem Stalking-Thema ein weiteres kriminalpolitisch repressives Süppchen kochen: Eines neuen eigenständigen Stalking-Straftatbestandes bedarf es nicht und der Vorschlag eines weiteren Haftgrundes der so genannten „Begehungsgefahr“ ist eines rechtsstaatlichen Strafverfahrensrechts unwürdig.

Dr. iur. HELMUT POLLÄHNE, Uni Bremen, Institut für Kriminalpolitik