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Moore als Geschäftsmodell Greenwashing und Umweltschutz

Klamme Verwaltungen spannen Konzerne wie VW ein, um ihre trocken gefallenen Moore in ein Naturspektakel zu verwandeln. Mit ersten Erfolgen.

Kaufen Sie Moor-Futures. Keine Aktie ist besser für das Klima, die Blumenwiesen und den fleischfressenden Sonnentau! Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Freienhagen ist ein verschlafenes Nest wie viele in der ostdeutschen Provinz. Schnurgerade verläuft die Straße zwischen den geduckten Häusern. Schnell durchgefahren, schon ist man draußen und hat das Straßendorf wieder vergessen. Doch wer hier gleich am Ortseingang rechts abbiegt und am Friedhof vorbei in den Wald hinein kommt, kann etwas erleben: die Wiedergeburt eines Moores.

Erster Hinweis: Dort wo der trockene Kiefernund Eichenwald die Sicht auf eine knapp zehn Hektar große Lichtung freigibt, die die Freienhagener „Rehwiese“ nennen, ist es empfindlich nass. Ohne Gummistiefel geht hier nichts mehr. Ein schmales Gewässer durchschneidet das offene Land. Dieser Fließgraben diente jahrzehntelang dazu, die Wiese zur Bewirtschaftung trocken zu halten. Nun staut sich das Wasser an Sandsäcken, Pflöcken, Steinen und überschwemmt die Fläche.

Die Segge, ein moortypisches Sauergras, das feuchte Standorte liebt, macht sich inselartig breit. „Das Wasser liegt ja hier schon wieder richtig flurnah“, zeigt sich auch Mooringenieur Martin Szaramowicz überrascht. Ein Vierteljahr ist vergangen, seitdem er das letzte Mal hier war. Szaramovicz ist Projektleiter der Flächenagentur Brandenburg.

Bei der Rehwiese im Landkreis Oberhavel geht es vor allem um Klimaschutz – und zwar um freiwilligen. „Wir bieten hier eine seriöse und sinnvolle Möglichkeit der CO2-Kompensation“, wirbt Szaramowicz um sein Moor-Futures-Projekt, das in Brandenburg bislang einmalig ist. „Moor-Futures“ klingt zwar eher nach Spekulation auf Kosten der Natur. Doch mit Termingeschäften an der Börse haben diese besonderen Aktien nichts zu tun. Bezeichnet werden so Zertifikate, die man kaufen kann, um sich an der Wiedervernässung der Rehwiese zu beteiligen – und um damit gegen die Erderwärmung anzukämpfen.

Moor und Treibhausgase

Moorrenaturierung ist Klimaschutz. „Moore zählen zu den Ökosystemen mit der höchsten Kohlenstoffdichte auf der Erde“, sagt Hans Joosten von der Universität Greifswald. Weltweit, so der Professor für Moorkunde, nehmen sie nur drei Prozent der Landfläche ein, speichern aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen. In Deutschland machen die Moore auch ursprünglich nur sechs Prozent der Äcker, Wiesen und Weiden aus. Die Morrumwandlung, betont Joosten, sei heute aber für 99 Prozent der CO2-Emissionen aus der landwirtschaftlich genutzten Böden verantwortlich.

Torf ist die organische Bodenschicht des Moores, die seit der letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren aus unvollständig abgebauten Pflanzenresten entstanden ist. Je mächtiger der Torfkörper, desto älter das Moor. Wird es entwässert, zersetzt sich der Torf und damit auch der in ihm gebundene Kohlenstoff, der als CO2 an die Luft gelangt. „Ein Hektar umgebrochenes Moor“, sagt NABU-Moorschutzexperte Felix Grützmacher, „kann pro Jahr bis zu 50 Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre bringen.“

Dazu zählen neben dem CO2 auch die sehr viel klimawirksameren Gase Methan und Lachgas. Die Klimarelevanz toter Moore in ganz Deutschland hat das Thünen-Institut für Agrarklimaforschung in Braunschweig berechnet. Dessen Leiterin Annette Freibauer kommt auf 45 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, die hierzulande jährlich aus den entwässerten Torfböden entweichen. Damit gehen knapp fünf Prozent der gesamten CO2- Emissionen der Republik auf das Konto der Drainagen, Gräben und Schöpfwerke. Besonders zeigt sich das in der Klimabilanz der nahezu gänzlich zerstörten Moorflächen Brandenburgs (210.000 Hektar) und Mecklenburg-Vorpommerns (300.000 Hektar).

„Bei uns im Bundesland“, sagt Thorsten Permien vom Schweriner Landesministerium für Umwelt und Landwirtschaft, „sind die entwässerten Böden mit mehr als sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten jährlich die größte Emissionsquelle.“ Das sei nahezu doppelt soviel, wie der Verkehr im ostdeutschen Küstenland ausstößt. Und zehn Mal mehr als die dortige Industrie.

„Ab Mitte der 60er Jahre erlebte ich hautnah die Komplexmelioration unserer großen Niedermoore, den großen interglazialen Irrtum“, schreibt Deutschlands bekanntester Moorwissenschaftler und Alternativ- Nobelpreisträger Michael Succow. In der DDR wurden fast sämtliche Moorgebiete großflächig trocken gelegt, um sie land- wie forstwirtschaftlich zu nutzen. „Ein kurzer Traum“, so Succow, „denn schon nach zwanzig Jahren Intensivnutzung kam es zum zunehmenden Verlust der Gebrauchswerteigenschaften der Niedermoore.“

Was der Biologe meint: Der Aufwand zu entwässern, wurde immer größer, die fruchtbare Torfschicht immer dünner und der Ertrag immer geringer. Aus den einst nassen Niederungen seien Wassermangelstandorte geworden, auf denen das Moor verschwand. „Eine Umweltsünde“, urteilt Naturschutzleiter Permien. Und auch sein Chef im Haus, Umweltminister Till Backhaus, räumt ein: „Wir haben Fehler gemacht.“

Den „Prozess der Selbstauflösung“ will man nun wenigstens zum Teil wieder rückgängig machen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist ein Vorreiter in Sachen Moorwiederbelebung. Zwischen 2000 und 2008 seien durch Wiedervernässung auf knapp 30.000 Hektar, also einem Zehntel der Moorfläche, die Treibhausgasemissionen stark reduziert worden, bilanziert Permien. Seiner Auffassung nach liegt der gesellschaftliche Nutzen vor allem „in den vermiedenen Klimafolgeschäden“, deren monetären Wert Wissenschaftler der Universität Greifswald auf 30 Millionen Euro pro Jahr beziffert haben.

Um diese Ökodienstleistung revitalisierter Moore auch für Firmen und Privatleute sichtbar zu machen, haben Joosten und Permien vor drei Jahren die freiwilligen Emissionszertifikate erfunden. Der Greifswalder Moorprofessor hat dazu ein Modell entwickelt, wie sich das Klimaschutzpotenzial eines wiedervernässten Moores je nach Wasserstand, Torfdicke und Vegetation abschätzen lässt. Ein Mooraktie entspricht nun dem Einsparpotential von einer Tonne CO2 pro Jahr. Das Wertpapier ist immer an ein konkretes Vorhaben geknüpft, für das nur eine begrenzte Anzahl von Zertifikaten ausgegeben wird. Nämlich nur so viel, wie sich an CO2 durch die Renaturierung zurückhalten lässt.

Das Klimagewissen aufbessern

Auf der Rehwiese nördlich von Berlin sind das 6.744 Tonnen CO2-Äquivalente. Damit kann jeder Klimasünder seine eigene individuelle CO2-Schuld begleichen. Jeder Deutsche verursacht pro Kopf und Jahr durchschnittlich rund zehn Tonnen CO2. Wer von Berlin nach New York und wieder zurückfliegt, hat mehr als drei Tonnen auf dem Konto. Nicht weniger als 12.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto unterwegs zu sein, schlägt mit zwei Tonnen CO2 zu Buche. Für den New-York-Trip garantiert die Initiative Atmosfair seit langem schon ein gutes Klimagewissen, wenn man fürs Flugticket 74 Euro mehr bezahlt und damit in Entwicklungsländern ein Klimaschutzprojekt unterstützt.

Doch wo das Geld landet, ist nicht so ohne weiteres nachvollziehbar. Moor-Futures sind eine Alternative: Denn mit dem Kauf der Zertifikate (drei Tonnen CO2 kosten 105 bis 201 Euro) unterstützt man ein Klimaschutzprojekt quasi vor der Haustür. Moor-Future-Entwickler Hans Joosten sieht darin die eigentliche Attraktion. „Ich kann da hingehen, ich kann mich damit identifizieren.“

Tatsächlich ist das Pilotprojekt in Mecklenburg gut angelaufen. Mitte 2012 ließ das LUMV (Umweltministerium Mecklenburg- Vorpommern) einen 55 Hektar großen Polder im Süden des Landes wiedervernässen, nachdem man mehr als 8.000 Mooraktien verkauft hatte. Mitterweile sind 9.475 Zertifikate „stillgelegt“, wie es offziell heißt. Die Nachfrage sei groß, sagt Permien: „Die Waldaktie ist dabei unsere Visitenkarte.“

Mit jener über die Maßen erfolgreichen Initiative garantiert das Ministerium, für zehn Euro auf zehn Quadratmeter irgendwo im Land neue Bäume zu pflanzen. Rund 51.000 Waldaktien sind bislang verkauft. „Aber Sie werden niemals erfahren, wo Ihr Waldstück genau ist“, sagt Permien. Dagegen sei der vernässte Polder Kieve zwar unspektakulär, aber eben besuchbar. Die Gräben seien zugeschüttet und die Rohre verstopft worden, berichtet er.

Nun sind die Hobbyornithologen an der Reihe und bevölkern die nasse Fläche, um nach wiederkehrenden Arten zu fahnden, nach Singschwänen oder Silberreihern, Kranichen oder Bekassinen. Doch ob diese Vögel auch einen Mc- Donalds-Manager interessieren? So sehr, dass er mit seinem schweren Dienstwagen den Polder ansteuert? Die Burgerbrater haben nämlich 100 Moor-Futures erworben und kompensieren damit die größten Klimakiller ihres Fuhrparks.

„Wer durch die Wahl seines Fahrzeugs die CO2-Grenzwerte der EU überschreitet“, sagt deren Nachhaltigkeitsdirektorin Dietlind Freiberg, „muss eine einmalige Zahlung leisten: pro Gramm Überschreitung 500 Euro.“ Und mit diesem Geld habe sie dann die Mooraktien verrechnet. Ja, es sei schon gezahlt worden, verrät Frau Freiberg, „aber ich sage nicht, von wem“.

„Wenn Unternehmen weiter wirtschaften wie bisher und einfach nur Zertifikate kaufen, funktioniert das nicht“, sagt Felix Grützmacher vom Nabu. Für den Naturschützer und Moorexperten sind Zertifikate und Kompensation eigentlich ein rotes Tuch: „Dass man etwas kompensiert darf natürlich nicht heißen, dass man jetzt drei Mal mehr ums Haus fahren oder statt des Zuges das Flugzeug nehmen kann“. Nichtsdestotrotz sind für Grützmacher die Moor-Futures eine gute Sache, „weil sie helfen, den Moorschutz auch außerhalb von Schutzgebieten in der ganz normalen Agrarlandschaft hinzubekommen“.

Auch Nabu-Partner Volkswagen, deren Leasing GmbH mit dem Umweltverband einen 1,6 Millionen Euro schweren Moorschutzfonds gegründet hat, hat fürs mecklenburgische Polder-Projekt 300 Zertifikate gekauft. Ähnlich wie die Schnellimbisskette will auch der Wolfsburger Autobauer die Moorzertifikate als CO2-Kompensation der firmeneigenen Flotte verstanden wissen. „Wir fordern unsere Flottenmanager zudem auf, ihren Fuhrpark umweltfreundlich umzustellen“, sagt VW-Leasing-Sprecher Malte Kraus.

Konzerne und Greenwashing

Beiden Unternehmen ist demnach gemein, dass sie nicht nur ihr grünes Image nach außen polieren, indem sie Klimaschutz unterstützen, sondern sich offenbar auch intern um CO2-Einsparungen bemühen. Den größten Batzen der mecklenburgischen Moorpapiere, nämlich üppige 6.114 Zertifikate hält übrigens ein „Unternehmen, das nicht genannt werden möchte“. Offenbar will man sich in diesem Fall gar nicht erst dem Verdacht des Greenwashing aussetzen.

In Brandenburg lässt sich dagegen der Klimaschutz in Gummistiefeln noch sehr zögerlich an. „Wir haben enorme Akzeptanzprobleme“, sagte Umweltministerin Anita Tack im vergangenen Oktober beim „Kleinen Moorgipfel“. Auf jener Tagung wollten der Bund, die beiden Moor-Future-Länder und einige Wissenschaftler darüber diskutieren, ob man den anderen segensreichen Ökoleistungen der Moore nicht ebenso ein Preisschild umhängen kann.

Die Wiedervernässung von Mooren oder der Schutz intakter Flächen dienen schließlich nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der Wasserqualität, dem Stickstoffrückhalt, dem Hochwasserschutz und der biologischen Vielfalt. Doch so weit, darüber zu befinden, kam man gar nicht. Wie um Tacks Sorgen um die Akzeptanz zu bestätigen, schimpften Zwischenrufer aus dem brandenburgischen Potsdam-Mittelmark darüber, dass „ihre Gemeinde unter Wasser gesetzt wird“. Von „nasser Enteignung“ war gar die Rede.

Doch gegen den Willen der Bauern vor Ort werde kein Moorprojekt unternommen, betonte Anne Schöps von der Flächenagentur Brandenburg: „Moor- Futures sind absolut freiwillig.“ Der erzielte Effekt sei immer „zusätzlich“, sagte Schöps. Jeder könne sicher sein, dass die von ihm „finanzierte Kompensation nicht benutzt werden kann, um die Verpflichtungen Dritter zu ersetzen“.

Wasserstände an den Häusern messen

Die Renaturierung der Rehwiese steckt noch in den Kinderschuhen. Auf der Fläche läuft derzeit noch ein Probestau, den die Flächenagentur Brandenburg vorfinanziert hat. Bislang sind erst 77 der insgesamt 6.744 Zertifkate verkauft. „Wir haben noch nicht viel dafür geworben, weil wir erst mal was zeigen wollen“, sagt Projektleiter Martin Szaramowicz, während er durch die nasse Wiese zum Wasserstandsmelder stapft und den aktuellen Pegel misst. Er muss auf Nummer Sicher gehen, dass die Stauhöhe in der Wiese nicht auch Freienhagen überflutet. Deshalb hat er im Straßendorf weitere Brunnen bohren lassen, um die Wasserstände auch direkt an den Häusern messen zu können.

„Bevor wir hier anfingen, sind dort schon mal einzelne Keller vollgelaufen“, berichtet Szaramowicz. Sollte das wieder passieren, muss er beweisen können, dass die Wiedervernässung nicht schuld war. „Wenn unsere Messdaten die Wasserbehörde davon überzeugen, dass der Ort ungefährdet ist, können wir im Herbst richtig loslegen“, sagt der Mooringenieur, nachdem er sieben Pegel notiert hat. Dann packt er ein. Ein Stockentenpaar flattert aufgeschreckt aus dem Fließgraben, das Trommeln eines Spechts ist aus dem Wald zu hören, am Himmel schnattert ein Gänsezug.

Wie wird es hier in 30 Jahren aussehen? „Wir können uns das Ganze so wie jetzt vorstellen, nur noch einen Ticken nasser“, sagt Szaramowicz. Sonnentau und Knabenkraut könnten auftauchen, aber „das weiß man vorher nicht“. Nur soviel: Das Potenzial sei da, „volle Elle“. Vielleicht wird es ja auch wieder so, wie Michael Succow seine Kindheit beschreibt, als noch extensiv genutzte Moore das Landschaftsbild prägten. Es seien „wunderschöne Blumenwiesen“ gewesen, erinnert sich der 72-Jährige.

Tim Bartels, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 2/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.