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Montagsinterview"Im Geiste sind wir Genossen"

Auch Christian Schöningh will ans Spreeufer. Doch der 47-jährige Architekt vertritt keine Investoren, sondern junge Familien. Sein jüngstes Projekt sind die Spreeetagen hinter dem Deutschen Architekturzentrum.

Christian Schöningh, Architekt Bild: Amélie Losier

Christian Schöningh

Bauer statt Besetzer war Christian Schöningh schon in den 1980er-Jahren, als er während der Hochzeiten der Berliner Hausbesetzerbewegung an der Technischen Universität Architektur studierte. Selbst besetzen kam nicht infrage. Stattdessen bewies der gebürtige Paderborner Unternehmergeist - und schloss sich schon während des Studiums mit Kommilitonen zusammen, um ein eigenes Architekturbüro zu gründen. Im Vordergrund schon damals: die Nutzerorientierung.

Kochlöffel und Kinder versammelt Schöningh heute im Garten seines Baugruppenprojekts in der Steinstraße in Mitte. Dort steht ein hübscher Gartenwok, in dem der 47-Jährige gerne Zutaten verrührt. Als Initiator und Architekt realisierte er das Projekt 2004. Heute wohnt er dort mit seiner Frau, zwei Töchtern und 19 anderen Eigentümerparteien.

Planung und Projekte fordern noch immer den größten Teil seiner Zeit: Etwa das "antihegemoniale" Projekt ExRotaprint im Wedding, das Studentendorf Schlachtensee, die alte Eisfabrik an der Spree oder die Bauruine in der Köpenicker Straße, all das sind einige der Baustellen, auf denen Schöningh sich auskennt. Außerdem ist er Mitbegründer des Netzwerks "Berliner Baugruppen Architekten" und wurde 2000 und 2004 von der Berliner Architektenkammer für gute Architekturkonzepte ausgezeichnet.

Taz: Herr Schöningh, hier sieht es nach einer wilden Brache aus. Warum unterhalten wir uns gerade hier?

Christian Schöningh: Wir verfolgen auf diesem Grundstück seit 15 Monaten ein neues Projekt in unmittelbarer Nähe zu Mediaspree. Und damit sind wir ebenfalls von den aktuellen Auseinandersetzungen betroffen. Wir sind zwar hier in Mitte, aber ich hoffe sehr, dass durch das Bürgerbegehren die Diskussion um die Entwicklung des Spreeufers auch über die Grenzen von Friedrichshain-Kreuzberg hinaus neu entflammt.

Dann sind Sie also auch ein böser Mediaspree-Investor?

Nein, das bin ich ganz bestimmt nicht. Weder bin ich Mitglied noch Sympathisant von Mediaspree. Das ist eine Vereinigung bestimmter Leute, deren Interessen ich nicht teile.

Was wollen Sie auf diesem Grundstück denn entwickeln? Einen Swimmingpool? Eine Bowlingbahn?

Einen Swimmingpool möchte ich nicht ausschließen. Was im Einzelnen hier entstehen soll, wird von den Mitgliedern der Baugruppe "Spreeetagen Mitte GbR" entschieden. Das ist eine sehr gemischte Gruppe von 25 Künstlern und Freiberuflern, die Wohnen und Arbeiten verbinden wollen.

Was unterscheidet Sie von den Mediaspree-Bauherren?

Wir sind als Bauträger kein Investor. Bei uns sind die späteren Nutzer von Anfang an an Bord. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob jemand Kapital in Architektur verwandeln will oder wie wir eigene Ideen und Bedürfnisse.

Es gibt für einen Architekten deutlich lukrativere Projekte als die Betreuung von Baugemeinschaften. Warum sind Sie trotzdem dabei?

Alles fing mit einer Kleinanzeige Ende der 90er-Jahre in der Zitty an: Wer hat Lust, gemeinsam ein Haus zu kaufen, zu renovieren und zu bewohnen? Im Herzen waren wir dem Gemeinschaftsgedanken verpflichtet. Einige von uns kamen noch auch aus der Besetzerbewegung der 80er-Jahre. Wir wurden also eine Baugruppe. Diese Form des gemeinschaftlichen Bauens gab es zwar schon früher in Süddeutschland, das wussten wir damals aber noch nicht.

Wie ist es dann weitergegangen?

Im Jahr 2000 haben wir in einem offenen Bieterverfahren für ein leeres Grundstück in der Steinstraße in Mitte geboten. Unser siebenseitiges, ausschließlich schriftliches, Konzept hat dem Bezirksamt von Mitte so gut gefallen, dass wir damit die Hochglanzbroschüren mehrerer Immobilieninvestoren ausgestochen haben - obwohl andere ursprünglich das höhere Gebot abgegeben hatten. Das Projekt lief so gut, dass ich mich mit meiner Frau inzwischen auf Baugruppen spezialisiert habe. Ich mag dieses Modell. Ich finde es sinnvoll, mit denen zusammenzuarbeiten, die auch später die Nutzer sind, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dadurch eine höhere Qualität entsteht: beim Projekt selbst, für die Stadt und letztlich auch für die Gesellschaft. Wie will ich wohnen? In welcher Gesellschaft will ich leben? Das sind noch immer Fragen, die mich beschäftigen.

Wie leben Sie denn?

Wir leben in der Steinstraße mit zwanzig Parteien zusammen in einer wunderbaren Nachbarschaft. Wir sind keine Kommune, aber bei uns sind die Türen offen, und die älteren Kinder passen auf die Jüngeren der Nachbarn auf. Mit dem Projekt wollten wir einige der Qualitäten schaffen, die unsere Nestbaugeneration doch irgendwie auch für sich wünscht und die vermeintlich im Eigenheim irgendwo am Stadtrand verwirklicht werden. Ich habe nie mit dieser Vorstadtidylle geliebäugelt. Gleichwohl gibt es bestimmte Elemente, die einem den Alltag einfacher und schöner machen.

Diese Elemente des bürgerlichen Lebens …

Latte macchiato habe ich noch nie getrunken, ich trinke Cappuccino. Meine 25 Jahre alte Pavoni-Espressomaschine ist allerdings seit vier Wochen kaputt. Deshalb gibt es im Augenblick nur Schlabberkaffee. Im Ernst: In unserem Projekt haben wir eine Gästewohnung und ein gemeinsames Schwimmbad. Manche finden das toll, andere zeigen mit dem Finger auf uns. Außerdem haben wir einen gemeinschaftlichen Garten mit einer Sommerküche. Und alles mitten in der Stadt. Der Garten ist wirklich ein wichtiges Element in dem Projekt. Dort finden diese unverabredeten Begegnungen statt. Wir haben ja kein Plenum. Nur einmal im Jahr findet pflichtgemäß unsere Eigentümerversammlung statt. Im Geiste sind wir Genossen, offiziell Wohnungseigentümer - leider.

Warum leider?

Eine Genossenschaft wäre für meine Begriffe die bessere Rechtsform. Wir haben uns anders entschieden, weil vor der Änderung des Genossenschaftsrechts die Gründung sehr kompliziert war. Die Genossenschaft hat den Vorteil, dass niemand eine individuelle Steigerung des Wohnwerts realisieren kann. Das ist mir eigentlich ein Anliegen: keine Spekulation mit Boden, Luft und Wasser.

Das klingt, als hätten Sie Ihre persönliche Utopie mit dem Projekt schon verwirklicht?

Gelebte Utopie ist das natürlich nicht, sondern eine ganz konkrete Vorstellung. Die ist in der Tat umgesetzt, und damit bin ich glücklich. Aber die Frage "Wie möchte ich leben" ist damit für mich noch lange nicht beantwortet.

Stand hinter dem Bauprojekt Steinstraße denn auch mehr als schöner wohnen?

Dahinter steckte unsere Faszination von Mitte nach der Wende, als es dort noch viele Freiräume gab. Dies wollten wir nicht kampflos aufgeben. Wir wollen mit dafür sorgen, dass der Stadtteil weiter vielfältig und bunt bleibt.

Wie viel Spielraum sehen Sie, Berlin stärker von Baugemeinschaften prägen zu lassen und weniger von Heuschrecken?

Baugruppen haben natürlich viel mit Selbstbestimmung zu tun. Insofern kann ich mir schon vorstellen, dass sich diese Form ausbreiten wird. Dabei handelt es sich ja um Projekte, die immer aus dem Eigenbedarf entstehen und weit über normales Wohnen hinausgehen. Das ist vielleicht meine Utopie: Ich möchte mehr und mehr Menschen in die Lage versetzen, sich um ihre eigenen Belange zu kümmern.

Sie behaupten, Baugruppen seien eine neue Form des sozialen Wohnungsbaus. Was ist daran denn sozial? Leisten kann sich so etwas nur der solvente Mittelstand.

Der Begriff des sozialen Wohnungsbaus aus den 1970er-Jahren ist meiner Meinung nach vollkommen verkehrt. Dabei handelt es sich um einen Tarnbegriff für ein Programm, das auch damals schon nur Bauträger und Investoren reich gemacht hat. Den Leuten, die angeblich unterstützt werden sollten, wurden zum Teil unhaltbare Wohnverhältnisse angeboten.

Warum benutzen Sie diesen Begriff dennoch?

Ich will ihn neu besetzen und fragen, was kann am Wohnungsbau überhaupt sozial sein? Sozial heißt ja "dem Gemeinwesen verpflichtet". Da geht es nicht in erster Linie darum, einer einkommensschwachen Klientel Wohnraum zu verschaffen, sondern um neue Formen von Gemeinschaft, zum Beispiel durch Wohnprojekte und Baugruppen. Auch der energiesparende Baustandard vieler Häuser ist letztlich sozial. Angesprochen wird natürlich der soziale und intellektuelle Mittelstand. Nicht jeder kann sich vorstellen, so etwas zu machen, ganz unabhängig von der Geldfrage.

Aber auch abhängig von der Geldfrage …

Mit der Geldfrage ist das so eine Sache. Es gibt in der Baugruppenszene relativ viel Ideologie. Zu sagen: Lass uns doch eine Genossenschaft gründen, dann können das auch Leute machen, die weniger Geld haben - das ist ein Trugschluss. Wie viel jedes Gruppenmitglied am Ende zahlt, hängt doch von den Baukosten ab und nicht von der Rechtsform.

Es gibt linke Initiativen wie das Freiburger Mietshäusersyndikat, die den alten Besetzerslogan "die Häuser denen, die drin wohnen" anders interpretieren als Sie. Die werfen Leuten wie Ihnen vor, die gemeinschaftliche Form zu missbrauchen.

Was in den Häusern passiert, wird von den Menschen bestimmt und nicht von der Rechtsform. Ich bin da wirklich unideologisch. Dafür werde ich manchmal natürlich komisch angeguckt, wenn ich mit linken Aktivisten rede. Ich möchte einfach, dass niedrigschwellig gute Nachbarschaft entsteht und sich von dort aus weiter entwickeln kann. Statt nebeneinander miteinander, im Idealfall auch füreinander. An den Besetzerzeiten Anfang der 80er-Jahre fand ich schon richtig klasse, dass sich die Bewohner ihrer eigenen Wünsche bewusst wurden und die Tatkraft hatten, das dann umzusetzen. Ich behaupte, dass in den Baugruppen ein ganz ähnlicher Mechanismus zum Tragen kommt.

Was heißt das konkret? Kann eine alleinerziehende Krankenschwester auch mitmachen?

Das Eigenkapital als Eintrittsgeld ist natürlich eine Hürde. Zum Beispiel Künstler, die sich ganz bewusst gegen ein Leben entschieden haben, das in erster Linie aus Geldverdienen besteht, kommen nur infrage, wenn sie den passenden familiären Hintergrund haben. Sie müssen also schon geerbt oder von Papa und Mama etwas zugesteckt bekommen haben. Das ärgert mich. Andererseits kann die Genossenschaft einiges auffangen, und über das Baugruppenprinzip werden viele Kosten vermieden, die bei einem Vermietungsprojekt mit einem normalen Investor entstehen würden.

Zurück zu diesem Ort: In welchem Stadium befindet sich Ihr Vorhaben momentan?

Wir versuchen gerade, das Grundstück am Spreeufer zu kaufen. Es gehört einer Tochtergesellschaft der ehemaligen Treuhand. Wir befinden uns in der dritten Bieterrunde und sind wahrscheinlich nur noch einer der wenigen Bieter. Das ganze Verfahren ist allerdings ziemlich undurchschaubar.

Was heißt das?

Wir wissen im Moment nicht, wo wir stehen. Ich kenne den Grund nicht, warum der Verkäufer sich nicht mal mit uns an den Tisch setzt und Tacheles redet. Die einzige Antwort, die ich seit Beginn bekomme, lautet: Herr Schöningh, solange sie keine Absage kriegen, sind sie im Rennen.

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