piwik no script img

Montagsinterview mit Festivalchef"Wir sangen den Weltuntergangs-Blues"

Seit mehr als 40 Jahren holt Lutz Kirchenwitz Liedermacher-Legenden auf die Bühne: Er hat das Festival des politischen Liedes in Ost-Berlins miterfunden. Seit 2000 kümmert er sich um dessen Nachfolger.

Lutz Kirchenwitz vor der Wabe in Prenzlauer Berg, wo am Wochenende das Festival Musik + Politik steigt. Bild: Julia Baier
Interview von Sebastian Puschner

taz: Herr Kirchenwitz, gerade erst sind Franz Josef Degenhardt, Georg Kreisler und Ludwig Hirsch gestorben. Ist die politische Liedermacherei damit nicht am Ende?

Lutz Kirchenwitz: Das ist schnell gesagt und stand zuletzt in vielen Feuilletons. Aber Vorsicht! Es gibt heute Unmengen von Musik, in allen möglichen Formen, und jeder kann jetzt etwas produzieren und es ins Netz stellen. Die Frage ist: Wie erfährt ein anderer davon? Wo wird all die Musik selektiert, was davon kommt in den klassischen Medien vor?

Also täuschen sich die Feuilletons, und die Liedermacherei lebt weiter?

Nach Degenhardts Tod gab es eine Gedenkveranstaltung im Berliner Ensemble. Das Programm war ellenlang, dabei waren sowohl die alten Haudegen wie Konstantin Wecker und Hannes Wader als auch viele Jüngere: Götz Widmann, Max Prosa, Dota Kehr zum Beispiel.

Dota Kehr, die Kleingeldprinzessin, hat auch schon bei Ihnen gespielt, auf dem Festival Musik und Politik.

Ja, wir kennen sie seit vielen Jahren. Ich glaube, wir haben Dota entdeckt, bevor alle anderen aufmerksam wurden. Weil wir uns das zur Aufgabe machen bei diesem Festival: solche jungen Künstler zu entdecken. Bei uns ist auch schon mehrmals Rainer von Vielen aufgetreten: ein begnadeter Musiker! Ich wundere mich, dass der noch nicht bekannter ist. Oder Daniel Kahn, den hatten wir vor ein paar Jahren, da war er noch kaum prominent. Jetzt hat er auch beim Degenhardt-Abend gespielt. Genial, was der macht: Klezmer, Rap, Eisler. Es gibt solche Künstler. Aber man muss was dafür tun, dass sie auch bekannt werden, man muss ihnen Gelegenheiten zum Spielen geben.

Dann ist das Festival Musik und Politik also eine Kaderschmiede für Liedermacher.

Nicht nur. Es geht überhaupt um Musik mit politischem Anliegen. Oder politischer Wirkung - das ist ja nicht immer identisch. Aber ja, die Nachwuchsförderung spielt eine wichtige Rolle: Wir haben im Festival immer eine Veranstaltungsreihe, bei der ein bekannter Künstler jüngere Talente vorstellt.

Lutz Kirchenwitz

Lutz Kirchenwitz, 66, ist in Prenzlauer Berg aufgewachsen und erst vor zwei Jahren von dort weggezogen - nach Lichterfelde West. Seit der Gründung 1991 ist er Vorsitzender des Vereins Lied und Soziale Bewegung; seit der Premiere 2000 leitet er das Festival Musik und Politik - in diesem Jahr zum letzten Mal. Dessen Vorgänger, das Festival des politischen Liedes, hat er von der Erstauflage 1970 an mit organisiert.

Kirchenwitz hat zwischen 1964 und 1971 an der Humboldt-Universität Kulturwissenschaften studiert. Er arbeitete unter anderem im Jugendveranstaltungszentrum Haus der jungen Talente in der Klosterstraße in Mitte und später an der Musikhochschule Hans Eisler. Dort lehrte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter Kulturtheorie und Ästhetik. Er ist Autor des Buches "Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR" (Dietz Verlag Berlin).

Das Festival Musik und Politik vom 23. und 26. Februar steht in diesem Jahr im Zeichen der US-Singer-Songwriter-Legende Woody Guthrie: Er wäre am 14. Juli 100 Jahre alt geworden. Die meisten Veranstaltungen des Festivals finden im Kulturzentrum Wabe (Danziger Straße 101) statt. Weiteres Programm und Informationen zum Kartenvorverkauf: www.musikundpolitik.de.

Dann nennen Sie doch mal ein paar Namen aus dem diesjährigen Programm, die in einigen Jahren womöglich in aller Munde sind.

Johanna Zeul spielt in diesem Jahr. Die tauchte schon gelegentlich in den Medien auf und hat mehrere Preise gewonnen. Und Uta Köbernick, die von der Theater- und Comedy-Schiene herkommt.

Wir sind gespannt … Welches Instrument steht denn bei Ihnen zu Hause?

Eine Gitarre. Die habe ich aber lange nicht mehr angefasst. Spielen gelernt habe ich in den sechziger Jahren. Wir waren damals ein paar Oberschüler aus dem Prenzlauer Berg, von der Schliemann- und der Kollwitzschule. Wir spielten Gitarre und sangen Lieder - wie man das halt damals so tat.

Welche Lieder?

Oft den sogenannten Weltuntergangs-Blues, das ist der St. James Infirmary Blues, der in der englischen Ostermarsch-Bewegung einen neuen politischen Text bekommen hatte, und dieser war von Gerd Semmer ins Deutsche übersetzt worden. Im DDR-Rundfunk wurde auch eine Aufnahme mit Manfred Krug gesendet, und das war eines der Lieder, die mich damals faszinierten - so, dass ich auch selbst zur Gitarre griff. Das war ein besonderes Jahrzehnt, musikalisch wie politisch, all die Umbrüche und Bewegungen. Und Folk-Musik kam bis in die Hitparaden hinein - na ja, zumindest beinahe.

Folk fand damals in Ost-Berlin bei sogenannten Hootenannys statt. Was war das?

Hootenanny ist ein Nonsens-Begriff aus Nordamerika, der ursprünglich eine Art von Solidaritätspartys bezeichnet hatte, bei denen man sang, dann den Hut rumgehen ließ und Geld sammelte. Es gab da einen kanadischen Folk-Sänger, der Ende der Fünfziger in die DDR übersiedelte: Perry Friedmann. Der hat das mitgebracht und die ganze nordamerikanische Folk-Musik, die zunächst hier etwas völlig Exotisches war.

Und dann?

Dann fanden etliche Begeisterte um Friedmann und das Jugendradio DT 64 zusammen. Sie gründeten den Hootenanny-Club.

Der durfte aber nicht lange so heißen.

Die FDJ-Bezirksleitung hatte zunächst widerspruchslos bei all dem mitgemacht. Dann kam aber so eine blödsinnige Aktion gegen Anglizismen, das richtete sich vor allem gegen die englischsprachigen Namen all der Beat-Gruppen, die damals aufgekommen waren. Da gerieten wir nun mit unseren Hootenannys hinein. Mit einem Mal hieß es: Ist ja gut, was ihr macht, ihr sollt das auch weitermachen. Aber unter anderem Namen. So wurde das dem verantwortlichen Kulturfunktionär der FDJ-Bezirksleitung übermittelt.

Und was hat der dann getan?

Der dachte sich wohl: Oh je, ich kann der Gruppe doch nicht einfach sagen: der Name ist verboten. Er war auf den Gedanken gekommen, die Gruppe Oktoberklub zu nennen. Na ja, und den Vorschlag fanden wir nun so schlecht wiederum nicht. Oktoberklub, das hat etwas Politisches und ist trotzdem nicht so bleischwer. So haben wir dann diese Namensdiskussion relativ schnell verkraftet.

Die eigene Jugendkultur unter Regie der FDJ auszugestalten: Wie kann man sich das vorstellen?

Das hing von der Kunstsinnigkeit der einzelnen Leute ab im Bezirk oder in der Zentrale. Der, der in der zuständigen Berliner FDJ-Bezirksleitung saß, war ein Kunsterzieher. Der hatte das studiert, besaß wirklich ein Verhältnis zu Kunst, zu Musik und ein Herz für die Sache. Er war selbst Fan. Während eine Etage höher ein paar knochentrockene Bürokraten saßen, die die ganze Sache wohl fast tot gemacht hätten, in ihrer Borniertheit, ihrem Übereifer.

Ein Historiker hat die Zeit um das Jahr 1968 in der DDR einmal "die versäumte Revolte" genannt.

Es gab Konflikte, etwa um die Beat-Musik und deren Verbot, mündend in die Leipziger Beat-Demo 1965. Aber das in einen revolutionären Kontext zu bringen, halte ich für zu gewagt. Es gab verschiedene Protestaktionen gegen den Einmarsch in der Tschechoslowakei, da waren etliche aus der Berliner Kultur- und Intellektuellenszene beteiligt. Es war klar: So etwas wurde in der DDR nicht hingenommen. Da schieden sich schon damals die Geister: Was ist sinnvoller: Auf Konfrontation zu gehen? Oder lieber den Weg durch die Institutionen zu wählen? Es gab die, die die offene Konfrontation suchten. Und andere, die lieber den Weg der Kompromisse gegangen sind, obwohl sie mit diversen Dingen nicht einverstanden waren. Aber innerparteiliche Opposition ist in der DDR-Geschichte nie zum Zug gekommen. Und tragisch war dann, dass 1989 nicht genug Potenzial da war, um in die Offensive zu gehen.

1970 gründeten Sie mit anderen das Festival des politischen Liedes. War das der Versuch eines Mittelweges zwischen Kompromiss und Konfrontation?

Klar. Einerseits verstanden sich die beteiligten Künstler und Intellektuellen irgendwie als links. Und in vielen damals bestimmenden Themen - Vietnam und Chile zum Beispiel - bestand sozusagen ein Grundkonsens mit den sozialistischen Grundintentionen der DDR. Aber irgendwann brach das dann eben auseinander. Und es stellte sich dann die Frage, wie man sich zu dieser zunehmenden Schere zwischen Utopie und Realität verhielt.

Wie verhielten sich die Macher des Festivals?

Es begann klein, aber es war nie eine oppositionelle oder eine Untergrund-Veranstaltung, sondern immer offiziell. Mit der Zeit wurde das Festival größer und zunehmend offiziell gefördert. Und am Ende waren dann sogar ein paar Leute innerhalb des FDJ-Zentralrats in einem Büro angestellt: das war das Veranstaltungsbüro des Festivals.

Vollendete das die Vereinnahmung?

Man kann das so negativ werten und sagen, der Apparat habe dieses Projekt aufgesogen. Man kann es aber auch so interpretieren, dass der Apparat sich ein wenig anpasste und die Leute die Institutionen ein bisschen verändern konnten. Denn der Stil dieses Festivals war anders als die geläufigen FDJ-Rituale, die Atmosphäre war sehr zwanglos und sehr international. Etwas Bedeutendes in einer Zeit, in der es kein Internet gab: wir konnten uns ja nicht einfach irgendeinen Livestream reinziehen.

In Westdeutschland traf sich die Folk-Szene auf der Burg Waldeck im Hunsrück.

Ja, das Festival des politischen Liedes war sicher etwas Ähnliches wie die Festivals auf Waldeck: junge Leute, die Musik machen wollen und dann zusammen so etwas auf die Beine stellen. Auf Burg Waldeck fanden die ihren Ort, wo sie etwas Neues ausprobieren konnten. Vergleichbares gab es in der DDR nicht. Wir haben dann eben in Berlin versucht, mit und innerhalb der FDJ so etwas zu installieren.

Auf Waldeck gab es Zoff mit konservativen Nachbarn, denen die langen Haare der Hippies nicht passten.

Als wir 1970 zum ersten Festival das Fernsehen einluden, erkundigten die sich, ob denn gesichert sei, dass da keine Menschen mit langen Haare wären. Sie sind gekommen, haben dann aber lieber nicht aufgezeichnet.

Wie stand es denn um die Kontakte zwischen Folk-Anhängern in Ost und West zu Zeiten des Festivals?

Es gab wenige Möglichkeiten zur Begegnung, weil da eine Mauer dazwischen war. Aber wir haben uns für die linken Liedermacher aus dem Westen interessiert, klar, und nach Wegen gesucht, wie man die einladen kann. Wenn sie dann kamen, war das etwas Außergewöhnliches. Auftritte von Franz Josef Degenhardt waren sehr, sehr gefragt. Der kam ja erst später auch mal außerhalb des Festivals. Als dann später, in den Achtzigern, die Stimmung im Land umschlug, habe ich das auch beim Festival verspürt.

Inwiefern?

Erst waren da noch die musikalischen Ausläufer der Friedensbewegung. Mitte der achtziger Jahre klangen dann verschiedene Dinge ab, die Krisenerscheinungen in der DDR nahmen zu, und während mit Gorbatschows Perestroika in der Sowjetunion immerhin was in Bewegung kam, war in der DDR das Gegenteil der Fall: Man mauerte sich noch mehr ein.

Wie äußerte sich das beim Festival?

Ich weiß noch genau, insbesondere 1988 habe ich so eine Leere verspürt, eine Ratlosigkeit, fehlende Antriebe. Zwar gab es Auftritte wie den von Gerhard Schöne mit seinem kritischen Lied "Mit dem Gesicht zum Volke". Aber insgesamt nahm bei der FDJ die Vorsicht zu. Kritische Liedermacher nahm man lieber nicht ins Programm. Stefan Körbel etwa, der hatte ein Lied, das mit der Stasi zu tun hatte. Kannste nicht machen, sagte die FDJ. Dann kann ich das Programm nicht machen, sagte Körbel. So fiel das Konzert eben aus technischen Gründen aus.

Was geschah zu Wendezeiten 1989, 1990?

Da machte sich diese Ratlosigkeit, diese Suche nach einem neuen Impuls erst richtig bemerkbar. Man lud Parteien zu einem kulturpolitischen Gespräch ein, um herauszufinden: Was kann die Zukunft des Festivals sein? Alle waren auf der Suche: Wie soll es überhaupt weitergehen? 1990 haben dann einige einen Verein gegründet und 1991 das ZwischenWelt-Festival gestartet.

Der Name war Programm.

Die haben bis 1994 weitergemacht, aber ihnen fehlte ein richtiges Konzept, organisatorische Erfahrung. Außerdem haben sie sich finanziell vergaloppiert und mussten den Verein auflösen.

Warum haben Sie im Jahr 2000 noch mal einen Neustart gewagt?

Wir wollten zu 30 Jahren Festival eine kritische Retrospektive veranstalten. Nachdem wir das gemacht hatten, waren alle der Meinung: Das müssen wir fortsetzen. So haben wir uns von Jahr zu Jahr weitergehangelt.

Inzwischen prangt das Logo der US-Botschaft auf den Plakaten, zwischen Rosa-Luxemburg-Stiftung und Junger Welt.

Ja! Wegen des Woody-Guthrie-Schwerpunkts in diesem Jahr. "This Land is Your Land" kennt jeder Amerikaner, es ist eben die zweite Nationalhymne. Wir sind zur Botschaft hingegangen, und die fanden, dass sein 100. Geburtstag ein würdiger Anlass ist, um uns zu unterstützen.

Wenn das Festival vorbei ist und Sie am letzten Abend zu Hause die Füße hochlegen: Welche Platte legen Sie dann auf?

Adele. Oder vielleicht Ani DiFranco aus den USA.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!