Montagsinterview Performerin Bridge Markland: "Diese Verwandlung ist sogar für mich verblüffend"
Sie spielt Stalin und Schiller, Mephisto und Faust, Gretchen und sich selbst, Bridge Markland hat sich in den späten 80er- Jahren einen Namen gemacht als Performerin von Gender Shows. Neuerdings verschreibt sie sich den Klassikern.
taz: Bridge Markland, in Ihren Shows passt Goethes Faust in einen ein Meter mal ein Meter mal ein Meter großen Karton. Wie kommt das?
Bridge Markland: Ich arbeite seit 1995 mit dieser Schachtel. In früheren Stücken passte auch schon Josef Stalins oder die Tänzerinnen Valeska Gert und Anita Berber da rein. Als Solo-Performerin bin ich mit so einer Kiste ziemlich autonom. 2005 wurde ich gefragt, ob ich ein Stück über Schiller machen könnte. Ich hab es geschafft, auch sein Leben da reinzupacken.
Nach Stalin und Schiller kam "Faust". Vor allem wegen Mephisto. Warum gerade Mephisto?
Mit Mephisto liebäugle ich schon lange. Ich habe verschiedene Theaterleute gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, mich als Mephisto zu besetzen. Die wollten leider nicht. Da dachte ich: Mach ich es eben selbst. Ich bearbeitete das Stück so, dass es in die Kiste passte.
Warum wollten Sie Mephisto spielen?
Ich spiele gerne Männer. Zudem faszinieren mich Monster und Kreaturen. Man kann die physisch sehr gut spielen. Das ist mir wichtig, weil ich vom Tanz und von der Körpertheater komme. Mephisto hat mich immer schon angesprungen. Kommt noch hinzu: Ich spiele sehr gerne androgyne Wesen.
Sie meinen, Mephisto ist androgyn?
Bridge Markland wurde 1961 in Berlin geboren. Seit 23 Jahren ist sie Tänzerin, Schauspielerin und Performerin und bewegt sich mit ihren Shows, in denen Geschlecht oft hinterfragt wird, zwischen Tanz, Theater, Varieté, Puppentheater und Kunst.
Seit 1992 macht sie abendfüllende Solo-Shows. Seit 1995 finden diese mit einer ein Meter mal ein Meter mal ein Meter großen Box aus Pappe statt, die einziges Bühnenbild ist. Dank großartiger Vereinfachung spielt sie darin deutsche Klassiker. Und zwar so, dass auch die Generation Popmusik begeistert ist. Nach "schiller in the box" und "faust in the box" hatte sie am 2. Oktober mit "krug in the box" - dem "Zerbrochenen Krug" von Kleist - Premiere. Dabei wird die Pappkiste zum ersten Mal geöffnet und von der Innenseite bespielt.
In ihren Stücken spielt sie immer mehrere Rollen. In "Faust" wechselte sie in Sekunden zwischen Faust, Gretchen und Mephisto. Im "Zerbrochenen Krug" spielt sie sogar fünf Rollen: den Richter Adam, Frau Marthe, ihre Tochter Eve, Eves Verlobten Ruprecht und Frau Brigitte.
"krug in the box" läuft bis 17. Oktober im Saalbau Neukölln. Infos: www.classic-inthebox.de und www.saalbau-neukoelln.de
Mephisto ist nicht unbedingt ein Mann. Der könnte auch eine Frau sein. Ich wollte einen physisch vertanzten Teufel spielen, der komische Bewegungen machen darf. Es gibt keinen Code für einen Teufel, während es für Männer wie Faust und Frauen wie Gretchen Codes gibt. Mephisto aber bietet alle Freiheiten, und er ist eine Figur, die sich ständig verwandeln kann. Er begegnet Menschen in seinen Verwandlungen und kriegt sie dahin, Dinge zu machen, die sie vielleicht gar nicht wollen. Da ist er ein Schauspieler per se.
Sie spielen neben Mephisto auch den Faust und das Gretchen.
Es sind nicht meine Traumrollen, aber ich lass mich gern herausfordern. Das war bei Stalin so, bei Schiller, auch bei Gretchen, diesem zarten Mädchen, über das die Liebe hereinbricht. Sie ist so verliebt in diesen viel älteren Mann Faust, der ihr seine ganze Aufmerksamkeit zeigt und dafür sorgt, dass ihr Leben total aus den Fugen gerät. Ich spiele auch diesen depressiven Faust, der viel gemacht und gelernt hat, um glücklich zu werden. Und zuletzt ein junges Mädchen unglücklich macht. Eigentlich ist es eine ganz katastrophale Geschichte.
Und die Schachtel ist dabei Ihr Bühnenbild, ist Backstage, Black Box, Wunderkoffer?
Sicher ist sie ein Wunderkoffer. Ich verschwinde darin und komme zwei Sekunden später als andere Figur wieder raus. Ich verschwinde als Teufel und komme als Mensch raus. Diese Verwandlung ist sogar für mich verblüffend. Es hat natürlich auch etwas von Kinderspiel. Kinder lieben Pappschachteln, um sich Wunderwerke damit auszudenken. Es funktioniert aber ebenso mit Erwachsenen. Sie ziehen mit, wenn die Box mal Kerker, mal Blocksberg, mal Hexenküche, mal Kirche ist. Wir sind ja alle mit Kasperletheater sozialisiert.
Mit Ihrer Schachtel gehen Sie an Schulen und bringen Teenagern das Nonplusultra der deutschen Dichtung nahe. Und es klappt. Warum?
Vielleicht liegt es daran, dass ich den klassischen Text mit populären Liedern spiegele. Die Texte der Lieder paraphrasieren praktisch das Drama.
Geben Sie ein Beispiel, wie Sie das machen?
Als es Faust gelingt, Gretchen zu verführen, sagt Gretchen: Ach wenn ich nur alleine schlief! - Und Anita Ward singt: Ring my bell, you can ring my bell. Dann Gretchen wieder: Ich ließ dir gern heut nacht den Riegel offen; Doch meine Mutter schläft nicht tief, Und würden wir von ihr betroffen, Ich wär gleich auf der Stelle tot. Dazu Marika Rökk: Mama sagt, ich darf nicht küssen, Mama sagt, das tut man nicht, Mama muss das schließlich wissen, wenn sie aus Erfahrung spricht. Mama sagt, ich darf nicht lieben, Mama sagt, das bringt Gefahr. Fausts Replik: Du Engel, das hat keine Not. Hier ist ein Fläschchen! Drei Tropfen nur in ihren Trank umhüllen, Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur. Die Ärzte: Gleich wird es dunkel, bald ist es Nacht, da ist ein Wort der Warnung angebracht: Männer sind Schweine … - Wollen Sie mehr hören?
Ja gern.
Als Gretchen der Mutter das Gift gibt, kommt Marika Rökk: Für eine Nacht voller Seligkeit, da geb ich alles hin. Als Mephisto Faust wissend fragt: Nun heute Nacht?, singt Gustaf Gründgens: Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da … die Nacht ist da, dass was gescheh. Und als Faust Mephisto antwortet: Was geht dichs an, erwidert Mephisto: Hab ich doch meine Freude dran. Dazu Foyer Des Arts: Der Penis dringt ein in die Vagina und verweilt dort, solange er kann, die Liebe ist feucht und belanglos, doch Mann will Frau und Frau will Mann.
Wo haben Sie denn den letzten Song her?
Foyer des Arts, sagt Ihnen nichts? 80er-Jahre-Underground. Die Teenager, die Faust sehen, kennen ja viele alte Sachen, aber das kennen sie garantiert nicht. Und wenn sie es hören, geht es jedes Mal: Wow, was ist das denn? Das ist ja voll abgefahren.
Wie finden Sie all diese Lieder?
Ich suche, ich frage, ich recherchiere. Wenn ich die Songs suche, nehme ich die ganze Welt nur noch akustisch wahr.
Sie geben den Leuten Erinnerungsfetzen an die Hand, die sie irgendwann in ihrem Leben mal begleitet haben. Kasperletheater und Schlager. Mit Pop, Rock, Elvis und Beatles, alten Songs, neuen Songs kriegen Sie die Jugendlichen.
Die Älteren auch. Weil alle sich mal angesprochen fühlen, nehmen die Älteren auch Rammstein hin. Und die Jüngeren alte Schlager.
Mephisto interessiert Sie, Faust und Stalin auch. Demagogen, Despoten, Diktatoren. Warum sind Ihnen diese Rollen auf den Leib geschrieben?
Böse, fiese, hässliche Figuren zu spielen ist dankbar. Man kann auf der Bühne was ausleben, was man im Privatleben so nicht möchte. Es ist wie Therapie. Jeder Mensch hat dunkle Seiten. Kommt hinzu, dass sich im Hässlichen und Fiesen doch als Karikaturen all diese realistischen Abbilder spiegeln, die man tagtäglich sieht. Auf jeden Fall hat mich der Teufel fasziniert als Kreatur. Meine Glatze, die ich mir schon seit 1990 schere, passt gut dazu. Aber ich kann auch alle anderen Rollen spielen.
Hat die Glatze etwas mit Ihrem Faible für Androgynität zu tun?
Ich mag es, zwischen den Geschlechter zu stehen. Und manchmal mag ich es auch, zwischen Mensch und Kreatur zu stehen und mich zu verwandeln.
Sie arbeiten mitunter als androgyne Stripperin. Wollen Sie ein Mann oder eine Frau sein?
Androgyne Stripperin, das klingt nach Nachtclub, der auf Striptease ausgelegt ist. So was hab ich nie gemacht. Ich habe hin und wieder auf Queer-Partys als Gogo-Tänzerin gearbeitet. Mit 39 habe ich damit erst angefangen, um Geld zu verdienen. Im Moment mache ich es nicht. Aber ich habe viel herumexperiment mit Outfits und teilweise auch nackt. Und selbst in diesem geschlechteruneindeutigen Kontext konnte ich die Leute noch durcheinanderbringen.
Es geht also nicht darum, dass Sie weder Mann noch Frau sein wollen. Worum geht es? Um Verwandlung, um Camouflage, um Irritation?
Ich liebe einfach Brüche. Ich finde es toll, wenn Männer Anzug tragen, geschminkt sind, eine Perlenkette oder einen BH tragen. Oder wenn Dragqueens ihre Brüste nicht ausgestopft haben und stattdessen Brusthaar im Ausschnitt zeigen. Ich mag es, wenn Klischees gebrochen werden. Das ist mein Lieblingsausdruck, dass man Attribute, die dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden, spielerisch mixt. Jeder nimmt sich, was er will.
Sie benutzten das Wort spielerisch. Ihre Performances, in denen Sie Geschlechtszuschreibungen vermischen, sind mitunter allerdings sehr grob.
Ich habe seit 13 Jahren eine Verwandlungsperformance im Programm, wo ich als Frau beginne und als Mann aufhöre. Als ich sie entwickelte, war ich im Spielerischen noch heftiger als heute. Ich bin ja dann nackt und gehe mit meiner Zunge an die Gesichter der Zuschauer ran. Früher habe ich das noch direkter gemacht und den Leuten meine Zunge ins Gesicht gesteckt. Nur wenn ich merke, dass das Publikum hart rangenommen werden will, mache ich das noch. Oder wenn ich spüre, sie wollen, aber sie trauen sich nicht. Und dann gibt es all die Leute, wo man merkt, dass man weggehen muss. Die lass ich komplett in Ruhe. Die habe ich auch früher in Ruhe gelassen. Leute bloßstellen wollte ich nie.
Sie gehen sehr hart an Grenzen. Auch an Ihre eigenen.
Ich entblöße mich im wahrsten körperlichen Sinne. Dazu passt auch die Glatze.
Was ist 1990 passiert, als Sie sich die Haare abschnitten?
Ich hatte eine dramatische Liebesgeschichte mit einem Mann. Ich hatte irrsinnigen Liebeskummer. Da habe ich die Haare wegrasiert. Die Glatze hat sich zu meinem Haarstil entwickelt, und ich habe meine Arbeit darauf abgestimmt. Das war ganz logisch. Ich konnte nicht mehr zurück.
Glatze hat den Subtext Knast und KZ.
Nicht nur. Ich werde auch öfters angesprochen, ob ich eine buddhistische Nonne bin.
Hat Ihr Vater, dessen Familie in KZs ermordet wurde, Sie noch mit Glatze erlebt?
Im Prinzip schon. Aber er hat zu mir den Kontakt abgebrochen, als ich ungefähr 18 war. Hätten wir miteinander geredet, hätte er die Glatze bestimmt negativ bewertet.
Warum hat er den Kontakt abgebrochen?
Er hatte Depressionen und hat auch zu vielen anderen Menschen den Kontakt abgebrochen. Nicht nur zu mir.
Wie kam es, dass er den Holocaust überlebte?
Seine jüdische Mutter starb bei der Geburt. Die nichtjüdische Stiefmutter und sein nichtjüdischer Vater haben ihn als ihr Kind ausgegeben.
Familiäre Camouflage also.
Er war in der Hitlerjugend als jüdisches Kind. Er war deutscher Soldat und hat in Russland gekämpft als Jude. Seine jüdischen Verwandten sind abtransportiert worden und umgekommen. Als Kriegsgefangener landete er in England und kam als britischer Besatzungssoldat wieder nach Berlin, wo er meine Mutter kennenlernte.
Hat Ihre Art, sich körperlich auf der Bühne auszuliefern, etwas mit dieser Geschichte Ihres Vaters zu tun?
Ich habe mich das auch schon gefragt. Es gab schon Phasen, wo ich mich beim Tanz und bei der Körperarbeit in diese Frage hineingespürt habe. Oder mit der Glatze. Auch da gab es Momente, wo ich mich selbst erschrocken habe. Und dann frage ich mich: Oh, hat das was damit zu tun? Ich denke aber nicht mehr oft daran.
Können Sie sich vorstellen, auch einmal Hitler zu spielen?
Ich hatte eine Zeit lang an ein Hitler-Stück gedacht. Ich hab lange überlegt, recherchiert, Bücher gelesen über das Dritte Reich. Aber dann habe ich es doch nie gemacht. Heute finde ich Hitler als Bühnenfigur nicht mehr interessant. Heute interessiert mich der Dorfrichter Adam aus dem "Zerbrochenen Krug" von Kleist mehr. Dem kann man in all seiner Schurkerei viel Humor abgewinnen.
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