Montagsinterview: Die Puppen-Doktorin: "Männer packen als erstes ihren Teddy ein"
Rosamund Blanke näht, schraubt und füllt alle Teddys und Puppen, die ihr in ihre Werkstatt gebracht werden. Die 69-Jährige hat beobachtet: Heutzutage bekennen sich auch Männer zu ihrem Kuscheltier.
taz: Frau Blanke, Sie …
Rosamund Blanke: Erst einmal schönen Dank, dass Sie gekommen sind und sich für die Puppenklinik interessieren. Irgendwann stirbt das ja aus. Es gibt immer mehr Plastik, Plastik, Plastik. Dabei sind die alten Teile später alle Raritäten.
Haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch nehmen.
Ich wollte nur eine kleine Einleitung haben, bevor wir auf den Teddy hier zu sprechen kommen, an dem ich gerade arbeite.
Was Sie Teddy nennen, ist ein trauriger Haufen einzelner Arme und Beine, ein schrecklich zugerichteter Körper und herausgerissenes Fell. In was für ein Scharmützel ist der denn geraten?
Das ist ein Beziehungsfall.
Bitte?
Ein ganz, ganz doller Beziehungsschaden.
Geboren vor 69 Jahren in Wilmersdorf, sammelt Rosamund Blanke seit über 40 Jahren Puppen. Nach einer Lehre als Einzelhandels- und als Speditionskauffrau restaurierte die Tochter eines Möbelrestaurators alte Möbel. Dann hat sie den Bestand einer anderen Puppenklinik aufgekauft und sich auf die Reparatur von Puppen und Teddys spezialisiert. Seit 24 Jahren betreibt sie eine Puppen- und Teddyklinik, erst in der Sonnenallee, später in der Uhlandstraße 148 in Berlin-Wilmersdorf..
Aus der ganzen Welt wird ihr kaputtes Spielzeug geschickt. Das liegt an ihrem Leitsatz: "Bei mir ist noch kein Patient gestorben." Es ist die einzige Puppenklinik in Berlin in dieser Größenordnung, in der alles heil gemacht wird: Von der Spiel- bis zur Antikpuppe, vom Spiel- bis zum Antikteddy bis hin zu sogenannten Doggen, das sind aus Holz geschnitzte und angemalte Puppen.
Wegen einer Daumensattelarthrose wollte Blanke voriges Jahr fast ihr Geschäft aufgeben - hat es nach Protesten im Kiez dann aber doch nicht getan. Doch in vier Jahren, wenn ihr Mietvertrag für den Laden ausläuft, will sie endgültig Schluss machen.
Was meinen Sie?
Ich meine Wutausbrüche und Streitigkeiten. Ein älteres Ehepaar hat sich gestritten. Die Frau hat den Teddy ihres Mannes so zerstört. Weiß der Teufel, was vorgefallen ist. Was da für eine Kraft dazu gehört, dass alles aus dem Körper herauszufetzen! So was hatte ich in 25 Jahren schon öfter. Aber dass eine gestandene Person, eine Dame, so wütend sein kann, dass sie einen Teddy derart auseinanderreißt, das hat mir schon die Sprache verschlagen. Der Teddy war schon im Mülleimer gelandet, da hat der Mann ihn herausgeholt und zu mir gebracht.
Wie lautet Ihre Diagnose?
Eindeutig Totalschaden.
Was können Sie machen?
Jetzt kommen das Können, das Wissen und die Liebe. Ich muss alles mit der Nähmaschine unterlegen und danach schön befestigen. Ich kriege das schon hin. Je defekter die Sachen sind, umso mehr Spaß macht es mir, sie wieder zum Leben zu erwecken. Das ist wirklich so.
Was wird das Ehepaar der Streit auf Kosten des Teddys kosten?
Das ist schon ein wahnsinnsteures Vergnügen, zwischen 150 und 200 Euro. Vier, fünf Stunden brauche ich ganz sicher. Aber das ist noch nicht einmal der schwerste Fall.
Sondern?
(Sie holt einen Karton mit den kläglichen Resten eines Teddys: ein loser Kopf ohne Gesicht, vom Körper ist mehr oder weniger nur noch die Füllung da) Diesen Teddy hat die Frau eines Arztes gebracht. Ich bin gut, doch Wunder kann ich auch nicht vollbringen. Der Körper hat sich total aufgelöst. Ich kann aber ein Stück vom Kopf retten, das Gesicht wiederherstellen und einen neuen Körper machen.
Warum bringen die Menschen solche Bruchstücke ihrer Kindheitserinnerungen zu Ihnen?
Pure Nostalgie. Die Frau mit dem total kaputten Teddy würde ja nicht so viel Geld investieren, wenn sie nicht beim Aufräumen im Keller gesehen hätte, wie ihr Mann reagiert hat, als sie ihn gefunden haben. "Mein Teddy, mein Teddy", hat er gesagt. Er ist Doktor, aber er kann nichts für den Teddy tun. Der Teddy hatte noch die gestrickten Sachen an, die die Mutter gemacht hatte. Die habe ich schon gewaschen. Und die Originalaugen sind auch noch da. Man wird fast gar nicht merken, dass der Körper neu ist.
Dann verbringen Sie kleine Wunder?
Ja, und wissen Sie, was das Schönste ist? Das Schönste sind die Augen von den Kunden und wenn sie beim Abholen sagen: "Das gibt's ja gar nicht, das gibt's ja gar nicht." Das ist es, was mir so viel Spaß macht. Hier ist die Welt noch in Ordnung.
Wie kamen Sie dazu, eine Puppen- und Teddyklinik zu eröffnen? Sie sind ja Einzelhandels- und Speditionskauffrau.
Das habe ich nicht lange gemacht. Mein Mann und ich haben eine Weile in München gelebt, und als wir zurückkamen nach Berlin, hatte ich keine Lust mehr darauf. Es war mir zu trocken, für eine Spedition Strecken auszurechnen. Da sagte mein Mann: "Schatz, mach, was dir Spaß macht." Da beschloss ich, Möbel zu restaurieren. Mein Vater war Möbelrestaurator und ich bin damit groß geworden. Ich habe das gerne gemacht, weil man sieht, was man mit den Händen schafft. Dann habe ich in der Sonnenallee in Neukölln einen Laden mit antiken Möbeln eröffnet und da waren auch immer Puppen dabei. 1986 kam eine Dame aus Leipzig auf mich zu und sagte, wenn ich so gut Möbel restaurieren kann, dann muss ich auch Puppen restaurieren können. Die Frau hatte eine riesengroße Puppenklinik und viele, viele, viele Teile. Da habe ich gesagt: "Ja, kaufe ich." So habe ich mich auf Puppen und Teddys spezialisiert.
Wann müssen Sie sagen, dass eine Reparatur unmöglich ist?
Gar nicht. Sonst würde ja mein Spruch, der groß am Laden steht und auch im Internet, doch nicht stimmen! Da heißt es: "Bei mir ist noch kein Patient gestorben." Nee, nee, es wird so lange probiert, bis ich den Teddy oder die Puppe gerettet habe. Ich habe noch nie jemand weggeschickt.
Mit was für Werkzeugen arbeiten Sie?
Ich arbeite seit fast 25 Jahren mit den gleichen Werkzeugen. Und wehe, da ist was weg! Das ist ziemlich überschaubar. Da sind drei verschiedene Zangen, eine Wehenklemme - wie beim Arzt -die brauche ich, um Gummis aufzuziehen, eine Pinzette, Schraubenzieher, Pinsel. Mit den schweren Werkzeugen arbeitet mein Mann, wenn was zu schrauben, feilen oder bohren ist.
Ach, Ihr Mann hat es auch mit Puppen und Teddys?
Alleine würde ich das gar nicht mehr schaffen. Mein Mann ist Bauingenieur, und als vor zehn Jahren die Firma kaputtging, in der er gearbeitet hat, schlug ich ihm vor, die Puppenklinik zusammen zu machen.
Und er war sofort dafür zu haben, von der Baustelle in die Puppenklinik zu wechseln?
Natürlich nicht. Machen Sie mal aus einem Bauingenieur einen Puppendoktor! Über fünf Jahre hat er sich gesträubt. Erst hat er es niemandem gesagt und ist im Verborgenen geblieben. Jetzt ist er stolz auf das, was er kann.
Seit wann sammeln Sie Puppen?
Seit 1961. Als mein Vater sein Antiquitätengeschäft hatte und in den 60er Jahren Wohnungsauflösungen gemacht hat, landeten die Puppen immer bei mir.
Wie viele Puppen haben Sie im Laufe der Zeit angesammelt?
Ich hatte 800 und habe im Jahr 1998, auch hier in Wilmersdorf, ein Puppenmuseum eröffnet. Nach sieben Monaten war aber Schluss. Es hatte reingeregnet und der Besitzer wollte nichts machen. Als ich einen schweren Herzfehler bekam, sagte mein Mann: Schluss jetzt. Den größten Teil der Puppen haben wir nach Amerika und Japan verkauft. Vieles haben wir auch eingelagert, was ich nach und nach verkaufe. Man segelt nur einmal um die Welt. Vor dem Museum hatte ich meinem Mann versprochen, alle Puppen aus der Wohnung zu nehmen. Es gab ja kaum noch Platz zum Sitzen.
Sind die Puppen und Teddys für Sie mehr als nur Spielzeuge?
Ja sicher! Für mich sind sie Patienten, die ich retten will. Mir geht es immer um die Rettung.
Ernährt die Puppenklinik Sie und Ihren Mann?
Reich werden wir nicht, aber wir können davon leben. Wir sind glücklich und gesund. Aber Sie dürfen nicht vergessen, wir stehen auf drei gesunden Beinen: Wir haben die Puppen- und Teddyklinik, das Antiklädchen mit drin und dann haben wir den An- und Verkauf.
Wer kommt zu Ihnen?
Überwiegend Erwachsene. Und wissen Sie, was mir vor vielen Jahren aufgefallen ist? Männer sind sensibler geworden. Das hat sich zum Positiven entwickelt. Früher haben die Männer, die mit etwas hierher kamen, immer gesagt, das Teil würde ihrer kleinen Schwester oder der Mutter gehören. Heute stehen sie dazu und sind stolz, dass man ihnen zuhört und sie sagen dürfen, dass das ihr Teddy ist.
Wie erklären Sie sich das?
Na ja, ich bin immer sehr direkt. Wenn ein Teddy ganz platt ist, frage ich, ob sie immer noch darauf schlafen. Bei Trennungen habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Erste, was Männer mitnehmen, ihr Teddy ist oder ein Stofftier, das sie immer geliebt haben. Ich höre viele, viele, viele Geschichten. Und auch hier spielt die Nostalgie eine Rolle. Das Leben ist so hart, und früher haben die Kinder sich immer an etwas festhalten können. Daran erinnern sich gerade Männer - Manager, Weltumsegler oder Piloten -, die meistens viel Stress um die Ohren haben. Da reicht manchmal ein Blick, wenn sie auf ihren Teddy gucken, dass sie ruhiger werden.
Also sind Sie nicht nur Doktorin, sondern auch Psychologin?
Das Wichtigste hier ist überhaupt die psychologische Seite. Wenn man auf einen Kunden nicht eingehen kann, lässt der seine Sachen nicht hier.
Welche war die größte Herausforderung, vor der Sie standen?
Ich erzähle Ihnen mal mein schönstes Erlebnis. Das ist eine sehr zu Herzen gehende Geschichte, die wunderbarste und traurigste zugleich. Das war ganz am Anfang, als ich die Puppenklinik noch in der Sonnenallee hatte. Da fragte der internationale Vermisstensuchdienst, ob ich helfen könnte. Die bereiteten eine Zusammenführung vor von einer Mutter, die 90 Jahre alt war, und ihrer Tochter. Sie hatten ein Foto von der Tochter als Kind, auf der sie eine Puppe im Arm hatte. Wochenlang bin ich über die Flohmärkte gezogen, um einen ähnlichen Stoff zu finden, um diese Puppe ganz wieder herzustellen, damit sie zur Vereinigung da war. Das war die schönste Sache, die ich je gemacht habe.
Ist es die Ausnahme, dass Organisationen oder Firmen zu Ihnen kommen?
I wo. In allen Puppenabteilungen aller Berliner Kaufhäuser liegen meine Flyer. Die Firmen reparieren so was ja gar nicht mehr. Als das Hotel "Estrel" öffnete, habe ich eine Kochpuppe gemacht. Theaterleute und Filmrequisiteure brauchen auch immer irgendwas. Einmal habe ich für eine Fernsehproduktion eine Voodoo-Puppe gemacht, dann eine Hexe oder Rohlinge aus Knete. Für ein Sprachinstitut habe ich mal Stofffiguren für Englischsprachkurse gefertigt. Neulich habe ich für die "Soko Leipzig" einen Teddy gemacht. Der Dieb brauchte etwas, wo er sein Geld verstecken konnte. Da habe ich einen Teddy genommen und den Körper ausgehöhlt. Dann habe ich ein Glas reingemacht und den Deckel in den Kopf, zum Auf- und Zudrehen. Der Kommissar musste dann nur einmal drehen und schon fand er das Geld.
Im vergangenen Jahr haben Sie mit dem Gedanken gespielt, die Puppenklinik zu schließen. Wie kam's, dass Sie noch da sind?
Vom Alter her dachte ich, ich müsste kürzertreten. Ich habe eine Daumensattelarthrose und das Nähen fällt mir schon schwer. Ich wollte eine kleinere Werkstatt mieten und nur noch einen Tag arbeiten. Dummerweise habe ich den Fehler gemacht, das vorher zu sagen. Das hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen und die Leute haben gesagt, die Puppenklinik trage zum Kulturerhalt im Kiez bei, und sie haben Unterschriften gesammelt. Da habe ich 14 Tage geheult und dann habe ich es mir anders überlegt. Gott seit Dank lieben uns auch unsere Vermieter, die wollten uns auch nicht gehen lassen. Wir haben den Mietvertrag um fünf Jahre verlängert. Ein Jahr ist schon rum. Vier Jahre noch, und dann ist wirklich Schluss.
Gibt es einen Nachfolger, der die Puppenklinik übernimmt?
Nein. Mein Sohn war mal kurz dabei, doch das war nichts für ihn. Er ist Lehrer. Meine Nichte, die ich einige Jahre angelernt habe, sollte eigentlich den Laden übernehmen. Aber alleine geht das gar nicht. Mein Mann und ich arbeiten zehn Stunden am Tag.
Wie ist für Sie die Vorstellung, dass es Ihre Puppenklinik eines Tages nicht mehr geben wird?
Es macht mich sehr traurig, dass dieses Kulturgut verloren geht. Die meisten Kinder heute haben nur noch Plastikspielsachen. Die Puppen sind so furchtbar hart, dass ich denke, die kann man doch gar nicht lieb haben. Aber die Kinder lieben sie trotzdem. Der Spruch von Käthe Kruse von 1905 lautete: Kinder brauchen weiche Spielpuppen. Deswegen hat sie die ja erfunden. Aber ich muss damit leben, dass es so ist, wie es ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo