Monsun gefährdet Pakistans Erdbebenopfer

Starker Regen lässt Berghang auf ein Flüchtlingslager abrutschen und tötet zwölf Überlebende des schweren Erdbebens vom vergangenen Oktober. Die Gefahr war bekannt, doch reagierten die Behörden nicht

Das Erdbeben hat die Berge destabilisiert, womit die Gefahr von Erdrutschen steigt

ISLAMABAD taz ■ Sintflutartige Regenfälle haben am Wochenende im Norden Pakistans mindestens zwölf Überlebende des Erdbebens vom vergangenen Oktober getötet. Während im Rest des Landes der Monsun als Ende der Hitzewelle begrüßt wird, überflutete eine Lawine aus Schlamm und Geröll das Zeltlager Chela Bandi bei Musaffarabad, der Hauptstadt des von Pakistan verwalteten Teils Kaschmirs. Unter den Toten sind mehrere Frauen und Kinder.

Der Berg über dem Lager hatte vom Beben große Risse bekommen. „Wir haben die Regierung aufgefordert, uns in ein sicheres Gebiet zu bringen“, sagte der 40-jährige Lagerbewohner Said Ahmed laut AP. „Aber niemand wollte auf uns hören, und jetzt sind zwölf von uns tot.“ Die Gefahr von Erdrutschen und Springfluten in der Erdbebenregion war in der Tat bekannt. Bereits vor zwei Wochen erklärte Brian Isbell vom Logistikzentrum der Vereinten Nationen in Islamabad: „Das Erdbeben hat die Berge destabilisiert, was zu häufigeren Erdrutschen führen wird.“

Auch pakistanische Behörden wie das Wetteramt hatten nach dem Beginn des Monsuns im Süden des Landes vor dessen Ankunft im Norden gewarnt: „Vor allem instabile Hanglagen mit großen Rissen haben das Potenzial, das Wasser aufzunehmen, abzubrechen und dann größere Schlammlawinen zu verursachen.“

Die Toten vom Wochenende zeigen das Versagen pakistanischer und internationaler Hilfe. Seit Anfang Juni war die Gefahr für 18 Dörfer bekannt. „Wir arbeiten an einer Strategie, bis zu 55.000 Menschen vor dem Beginn der Regenfälle von Gebieten zu evakuierten, die als gefährdet gelten“, erläuterte damals Kasif Murtasa, Verwaltungschef der Region. Doch sechs Wochen später war immer noch nichts passiert. Der Plan sah den Kauf von Ersatzgrundstücken vor, der jedoch wegen exorbitant gestiegener Grundstückspreise wieder fallen gelassen wurde.

„Keinem der Betroffenen wurde ersatzweise Land oder nur Hilfe angeboten“, sagt Tariq Faruki, ein obdachloser Bauer in Musaffarabad, der aus Angst vor dem Monsun vorerst nicht mehr in sein Dorf zurückkehrt.

Die Umwelt- und Hilfsorganisationen World IUCN, WWF und Care warnten in einer vor zwei Wochen vorgestellten Studie vor der größten Erdrutschgefahr weltweit. Die mit dem Wiederaufbau befassten internationalen Organisationen bemängeln vor allem das Fehlen der kartografischen Erfassung von instabilen Hängen und eine darauf basierende Risikoanalyse. „Es ist deutlich, dass die Behörden echte Sorgen haben, aber darin versagen, mit der Gefahr umzugehen“, heißt es in der Studie.

Die ersten Toten vom Wochenende gehören zu den Menschen, die noch nicht von den Entschädigungszahlungen profitieren konnten. Hilfsorganisationen nutzten die wenigen unzerstörten Häuser, um sich um die Menschen zu kümmern, die sich die hohen Mieten nicht mehr leisten können und weiterhin in den offiziell geschlossenen Zeltlagern ausharren. „Das sind die Menschen, die durch die Maschen fallen und nicht die Kompensation erhalten, die sie brauchen“, sagt der oberste Vertreter der Vereinten Nationen in Pakistan, Jan Vandermootele.

Fünfzig Prozent aller Magen- und Darmerkrankungen des gesamten Erdbebengebietes werden laut der Weltgesundheitsorganisation aus Musaffarabad gemeldet. Die zerstörte Kanalisation dürfte bald zu einer Cholera- oder Typhusepidemie führen. Bereits vor einer Woche wurde ein Zeltlager in Musaffarabad überschwemmt. Dabei wurden Hilfslieferungen im Wert von mehreren 100.000 Euro vernichtet, doch konnten sich die Menschen noch retten.

Das in Pakistan als verheerendste Katastrophe seiner Geschichte bezeichnete Erdbeben vom 8. Oktober 2005 tötete über 76.000 Menschen, verletzte weitere 80.000 und machte 3,5 Millionen obdachlos. Noch immer lebt eine geschätzte Million Menschen in Behelfsunterkünften oder Zeltlagern. NILS ROSEMANN