Mögliches Verbot der Kurdenpartei DTP: Rückschläge für Friedensprozess
Anstatt auf Versöhnung stehen die Zeichen zwischen Kurden und Türken derzeit wieder auf Konfrontation. Jetzt droht auch noch ein Verbot der Kurdenpartei DTP durch das Verfassungsgericht.
ISTANBUL taz | Bei den schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und kurdischen Demonstranten in sechs Städten der Türkei ist am Sonntag ein Demonstrant ums Leben gekommen. In Diyarbakir wurde der 23-jährige Student Aydin Erdem von Unbekannten erschossen. Dutzende von Polizisten wurden verletzt. Die kurdische Partei der Demokratischen Gesellschaft (DTP) hatte zu Demonstrationen gegen die Kurdenpolitik der Regierung aufgerufen. Die Parteizentralen des Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan wurden angegriffen, Hunderte von Demonstranten festgenommen.
Bereits die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, wie gefährdet der Friedensprozess im Lande ist. In Bayramic an den Dardanellen wurde nach einer Messerstecherei das kurdische Wohnviertel gestürmt, einige Tage später verhinderten Passanten in Izmir unter "Kurden raus!"-Sprüchen die Fahrt eines DTP-Konvois durch die Straßen. Die angespannte Atmosphäre wird durch ein drohendes Verbot der Kurdenpartei verschärft.
In Ankara treten am Dienstag die Verfassungsrichter zusammen, um ihr endgültiges Urteil über ein Verbot der DTP zu fällen. Der Generalstaatsanwalt beantragt zudem ein fünfjähriges Verbot politischer Betätigung für 221 führende kurdische Politiker, darunter 8 Abgeordnete. Diese sehen in der kurdischen Öffnungspolitik der Regierung mittlerweile einen "Liquidierungsprozess". Der DTP-Vorsitzende Ahmet Türk kündigte den geschlossenen Rücktritt als Gruppe im Parlament an, falls die Partei verboten werde. Der Vizefraktionsvorsitzende Selahattin Demirtas sagte, es gebe "kein Projekt mehr, das wir unterstützen können". Bisher gründeten sich kurdische Parteien nach einem Verbot neu. Diesmal wollen die Kurdenführer nach Türks Worten "in den Schoß ihres Volkes zurückkehren", das heißt, den Kampf auf außerparlamentarischer Ebene austragen.
Überall im Land gärt es in den Wohnstuben und Kaffeehäusern. Die Stimmung wendet sich erstmals seit Beginn des bewaffneten Kampfes der illegalen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen die Kurden insgesamt. Die türkische Gesellschaft glaubt mehrheitlich, die Reformpolitik maskiere nur einen geheimen Plan zur Spaltung des Landes. Ahmet Tulgar, kurdischstämmiger Autor der linken Tageszeitung Birgün, sieht eine riskante Entwicklung, wie sie noch nie da gewesen ist. "Beide Seiten scheinen des Kampfes, aber auch des Zusammenlebens überdrüssig zu sein." Ein Ende der Hoffnungen hinterlasse einen Scherbenhaufen und eine größere Radikalisierung auf beiden Seiten.
Dabei hatte die Reformpolitik der Regierung von Premier Tayyip Erdogan im Herbst verheißungsvoll begonnen. Innenminister Besir Atalay traf Journalisten, Gewerkschafter und kurdische Politiker, um sich Vorschläge aus der Mitte der Gesellschaft anzuhören. Es hieß, der auf der Gefängnisinsel Imrali einsitzende PKK-Führer Abdullah Öcalan hätte eine Roadmap zur Lösung der Kurdenfrage vorbereitet. Von einer indirekten Generalamnestie für PKKler war die Rede. Daraufhin kehrten 34 PKK-Mitglieder und Zivilisten aus dem Nordirak in die Türkei zurück und wurden nach kurzen Vernehmungen freigelassen.
Erdogan sprach von muttersprachlichem Unterricht, erste kurdische Fachbereiche an den Universitäten wurden vorbereitet, über die Zulassung von privatem kurdischen Fernsehen diskutiert. Im Parlament fand Mitte November eine öffentliche Sitzung statt, auf der der DTP-Vorsitzende Türk so frei wie noch nie im Namen der Kurden eine kritische Rede halten konnte.
Das gegenseitige Ausloten brachte jedoch keine Einigung. Die Kurdenvertreter wollen Regelungen, die sie in der Verfassung den Türken gleichstellen und den Aufbau autonomer Strukturen im Südosten des Landes erleichtern. Die Türken sehen darin die ersten Schritte einer Spaltung Anatoliens. So verschwand die Roadmap Öcalans in den geheimen Staatsakten, und er selbst wurde in eine neue, kleinere Zelle verlegt. "Es begann hoffnungsvoll und endet katastrophal", sagt Ahmet Tulgar. "Die kurdische Seite fühlte sich einer Lösung so nah wie noch nie, während die Regierung nur eine Lösung nach ihren Vorstellungen zulassen wollte." Ein Verbot der DTP würde alles verschlimmern."
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