Modernisierung von Wohnungen: Klimaretter als Mietentreiber
Bei der energetischen Verbesserung des Immobilienbestandes kassiert die Wohnungswirtschaft bei den Mietern kräftig ab. SozialhilfeempfängerInnen droht der Umzug in eine andere Wohnung.
HAMBURG taz | "Da kommt eine Riesenwelle auf uns zu", warnt Silvia Sonnemann, Geschäftsführerin des Hamburger Vereins "Mieter helfen Mietern". Und Eckard Pahlke, Chef des "Mietervereins zu Hamburg" macht sich: "sehr, sehr große Sorgen". Die Besorgnis der Mietervereine gilt einer rapide ansteigenden Flut von Bauanträgen, die auf eine energetische Modernisierung abzielen.
Gefördert von der Stadt, wachsen vor Hamburgs Fassaden die Baugerüste. Die Plakate darauf kündigen eine "energetische Modernisierung" an. Außenwände werden gedämmt, Nachtspeicheröfen rausgerissen und durch Gasheizungen oder Fernwärmeanschlüsse ersetzt, Dächer wetterfest gemacht.
Doch die Offensive gegen den Klimakiller Wärmeverlust beim Heizen droht zum Mietentreiber zu werden. Denn die Zeche für die ökologische Nachrüstung zahlen allein die Mieter. "Immer mehr Mietern drohen soziale Härten, wenn nicht sogar die Vertreibung", warnt Sonnemann.
Schuld daran ist ein Bundesgesetz, dass es den Hauseigentümern erlaubt, Modernisierungsmaßnahmen auf die Miete umzulegen und den Mietern jedes Jahr elf Prozent der Gesamtkosten in Rechnung zu stellen. Dieses Geld wollen sich viele Wohnungseigentümer nicht entgehen lassen - sie modernisieren, was das Zeug hergibt.
Dabei würden sich die Vermieter "oft keine Mühe geben, kostengünstig zu modernisieren, da sie jeden Euro auf die Mieter umlegen können", kritisieren die Mieterschützer. Die Folge: Die Mieten steigen nach erfolgter Energiemodernisierung um drei, vier Euro pro Quadratmeter.
In Einzelfällen schlagen die Hauseigentümer auch schon mal sechs, acht oder gar zehn Euro auf den Mietpreis drauf. "Die Mieterhöhungen stehen in keinem Verhältnis zum Ertrag für die Mieter", findet Sonnemann, und ihr Kollege Pahlke berichtet von "zahlreichen Fällen, in denen die Miete um 200 Euro ansteigt, die Energiekosten aber gerade mal um 30 Euro sinken." Sein Fazit: "Viele Mieter können sich das nicht leisten und müssen aus ihren Wohnungen raus".
Besonders arg trifft es die armen Mieter, die oft in Wohnungen wohnen, die in den fünfziger Jahren gebaut wurden und so schlecht gedämmt sind, dass ihre Modernisierung Unsummen verschlingt.
So berichtet Sonnemann von einer arbeitslosen Frau, die aus ihrer Wohnung raus musste, weil die Energieeinsparmaßnahmen die Miethöchstgrenze sprengten, die die Ämter bereit sind zu zahlen. Gerade umgezogen, erhielt sie Post von ihrem neuen Vermieter. Er kündigte ebenfalls eine energetische Modernisierung an und infolge dessen einen Mietpreis, der sie zu einem erneuten Umzug zwingen wird.
Dabei arbeiten die Vermieter mit Tricks und Schlichen, um ihre Mieter auszuquetschen. Da "Modernisierung und Instandsetzung ineinander übergehen", rechnen viele Vermieter Reparaturen, die sie selbst zahlen müssten, als Modernisierungsmaßnahmen ab, kritisiert Eckard Pahlke. So sei etwa beim Einbau neuer isolierverglaster Fenster "nur das Glas Wertverbesserung, der Rahmen aber pure Instandsetzung". Doch viele Hauseigentümer stellen ihren Mietern das ganze Paket in Rechnung.
Die Mietervereine raten betroffenen Mietern, sich umgehend nach einer Modernisierungsankündigung von ihnen beraten zu lassen. Oft könne auf dem Verhandlungswege oder vor Gericht erreicht werden, dass eine Mieterhöhung nicht ganz so scharf ausfällt. Auch seien immer wieder Bauverzögerungen und kräftige Mietminderungen während der Bauphase möglich.
Doch letztendlich müsse, da sind sich beide Mietervereine einig, "die Politik das Problem lösen". Während Pahlke fordert, die Modernisierungskosten müssten "zu je einem Drittel vom Vermieter, vom Staat und vom Mieter getragen" werden, fordert Sonnemann, die modernisierungsbedingten Mieterhöhungen dürften "den doppelten Betrag der tatsächlichen Heizkostenersparnis nicht übersteigen".
In Hamburg tut sich der SPD-Senat mit solchen Regelungen schwer - den Immobilieninvestoren, die laut Regierungsprogramm 6.000 Wohnungen pro Jahr bauen sollen, will man keine Steine in den Weg legen. Für den Vertragstext des von Bausenatorin Jutta Blankau (SPD) ins Leben gerufenen "Bündnisses für das Wohnen", hatte die Behörde die Formulierung ins Gespräch gebracht, die Mieten sollten nach energetischer Modernisierung nur "warmmietenneutral" erhöht werden.
Die in dem Bündnis dominante Wohnungswirtschaft aber winkte ab. Der Passus wurde nach Informationen der taz gestrichen. Ob der Senat den betroffen Mietern andere Hilfen in Aussicht stellen könne, darüber schweigt sich Behördensprecher Volker Dumann aus: "Wegen der laufenden Gespräche des Bündnisses für den Wohnungsbau können wir dieses Thema derzeit nicht kommentieren."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“