Mode-Konzeptkünstler Chalayan: Strahlender Star
Kleider, die wachsen, blühen und zerfallen wie eine Rose: Das Londoner Designmuseum feiert den Konzeptkünstler der Mode, Hussein Chalayan.
Die Zukunft beginnt gleich am Eingang. Drei Frauen stehen nebeneinander und müssen die Augen schließen, so heftig bläst ihnen ein künstlicher Luftstrahl ins Gesicht. Die kurzen, bunten Kleider, die sie tragen, tropfen und rinnen vor lauter Windstärke von ihren Gliedern wie flüssiges Wachs. Doch diese Szene stammt von keinem Set zu einem Science-Fiction-Horrorstreifen, sondern ist der erste Blick, den die Besucher des Londoner Designmuseums derzeit in die wunderbar-irritierende Welt des Designers Hussein Chalayan werfen dürfen: Die drei Frauen sind nicht echt, sondern extrem realistisch aussehende Puppen. Ihre Kleider bestehen auch nicht aus flüssigem Wachs, sondern deformiertem Hartgummi und stammen aus Chalayans aktueller Sommerkollektion. Wunderbar - und wenig tragbar.
Hussein Chalayan, der 1970 geborene Sohn einer türkisch-zypriotischen Familie, gilt seit dem ersten Tag seines fünfzehnjährigen Schaffens als Querdenker. Ein stiller Avantgardist, mit dem Hang, den Fluss von Mode genussvoll gegen den Strich zu bürsten. Noch am Morgen der Eröffnung lief der kleine Designer nervös durch die Räume wie ein wirrer Perfektionist. Überall sah er kleinste Fehler. Dabei ist es nicht seine erste Schau. Chalayan, der im Alter von zwölf Jahren nach England kam, gehört zu den wenigen Designern, den die Modewelt gern als ihren Konzeptkünstler verehrt. Schon seine Studienkollegen am legendären Londoner Central St Martins College sahen ihn angeblich stets mit Tüten voller Bücher zu den diversesten Themen: Philosophie, Physik, Architektur, Biologie. Bis heute arbeitet sich Chalayan für jede Kollektion an einem seiner vielen Interessensgebiete ab. Ein Kleid in der Ausstellung, das er für die Sommerkollektion 2008 entwarf, bedeutete wochenlange Schwerstarbeit für fähige Elektrotechniker: Zwischen Swarovskisteinen strahlen winzige Laser vom Körper und verleihen dem symbolischen Begriff des berühmten Menschen als "Star" eine ironische Übersteigerung.
Dennoch zeigt sich Chalayans Vorstellung von Weiblichkeit selten in zarten Stoffen, die sich hauteng um die Sanduhrformen der Trägerin winden. Wenn er weibliche Form betont, meißelt, gießt und haut er sie aus Holz oder Kunststoff in eine derart starre Skulptur, dass die Models in hölzernen Korsetts oder pyramidenhaften Holzröcken eher aussehen wie Puppen, Figuren und Maschinen aus den Avantgarde-Fantasien von Schlemmer bis De Chirico. Chalayans längst legendär-kontroverse Kollektion von 1998, bei der er die Models teilweise nackt und in verschieden langen Tschadors auf den Laufsteg schickte, ist in London leider nicht zu sehen. Dafür aber die ebenfalls 1998 entstandene Kollektion "Panoramic": Dunkle, fast unförmig kittelhafte Kleider, die eher an normierte Allzweckuniformen erinnerten, die russische Avantgardisten wie Wladimir Tatlin sich in den 20er-Jahren an Fabrikarbeitern vorstellen. Im gleichen Jahr wie Chalayans "Panoramic"-Kollektion beendete übrigens auch die amerikanische Künstlerin Andrea Zittel ihre Arbeit A-Z Six Month Seasonal Uniforms. Zittel war, als Reaktion auf den Modewahn in der Kunstwelt, damals ein halbes Jahr lang Tag für Tag in ein und demselben Kleid zur Arbeit erschienen. Anschließend machte sie sich daran, das perfekte Kleid zu entwerfen: eine auf Malewitschs Schwarzem Quadrat beruhende Uniform, die sowohl Kleid als auch Decke, Zelt oder Sattel sein konnte.
Diese Vielzweckmäßigkeit von Kleidern bestimmt auch immer wieder Chalayans Kollektionen. Die Ausstellung zeigt den Film und die Originalstücke aus seiner gefeierten Arbeit "Afterwords"(2000), in der eines der Models in die Mitte eines Tisches steigt und diesen zu jenem berühmten Holzrock hochzieht. Chalayan wollte das Moment der Vertreibung in Kriegszeiten thematisieren, mit dem Hab und Gut transformierbar in Kleidung. Die sozial-politischen Hintergründe seiner Herkunft als türkischer Zypriot sind stets ein Motor von Chalayans Ideen gewesen, doch bleibt die Frage, ob man in einem eitlen Genre wie der Mode überhaupt gesellschaftskritisch arbeiten kann. Zwar schafft es Chalayan, kommerzielle und konzeptuelle Erfolge geschickt zu verbinden, doch auch er muss sich dem Markt anpassen. Seine Zusammenarbeit mit anderen Modeunternehmen, aktuell als neuer Kreativdirektor bei Puma, ist nur ein Beweis dafür.
Folglich liegt der Schwerpunkt der Ausstellung, fast trotzig, ausschließlich auf den untragbaren, kühnen Entwürfen. Den organisch einhüllenden Kleidern aus der Kollektion "Genometrics", 2005, oder diversen Filmprojekten, wie seinem Beitrag für den türkischen Pavillon zur Venedig Biennale 2005, wo die Schauspielerin Tilda Swinton DNA-Spuren von Kleidern verschiedener Frauen im Versuchslabor zu Skulpturen mutieren lässt. Auch wenn Chalayan zu einem der experimentierfreudigsten Designer gehört, wird in der Londoner Schau deutlich, dass auch er im Grunde nur beschreiben kann, was in Zukunft vielleicht möglich sein wird: Stoffe, die sich mit Hilfe von Luft selbst reinigen, oder Schnitte, die je nach Anforderung automatisch ihre Form ändern. Im letzten Raum ist seine Sommerkollektion 2007 zu sehen, die Chalayans Sehnsucht dank verborgener Technik perfekt darstellt: die Kleider an den Körpern der Models beginnen sich scheinbar von selbst zu öffnen, wachsen und zerfallen wie das Leben einer Rose im Zeitraffer.
Ganz unauffällig in einer Ecke, fast unscheinbar bei so viel tragbar-untragbarer Fortschrittlichkeit, hängt in der Ausstellung ein Seidenkleid. Vollkommen verschlissen und braun verfärbt von der Erde, in der Hussein Chalayan es damals monatelang vergraben hatte. Er wollte sehen, wie die Natur sich das Material zurücknahm und verrotten ließ. Es war seine Abschlussarbeit am College und sie demonstriert vielleicht am faszinierendsten, dass Mode in seinen Händen immer das Schicksal auf dem Experimentiertisch blüht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!