■ Mit strahlenden Schwammerl auf du und du: Pilze hinter Glas!
Berlin (taz) – Fast zehn Jahre nach der Katastrophe noch immer kein Grund zur Entwarnung: Der Fallout von Tschernobyl vermiest noch immer das Pilzesammeln. Im Jahr 1986 hatten die Strahlenteilchen Europa wie ein Leopardenfell gefleckt. Sechsmal umkreiste die radioaktive Wolke die Welt und verseuchte den Boden mit Cäsium 134 und Cäsium 137. Wegen der Langlebigkeit von Cäsium 137 liegt die Belastung immer noch bei 60 Prozent der damaligen Werte. Vorwarnungen für größere Regionen lassen sich jedoch nicht aussprechen. Weil sich die Wolke ungleichmäßig abgeregnet hat, differieren die Werte für Pilze und Waldbeeren oft schon im Umkreis von 20 Metern.
Bei Ratschlägen sind sich die Experten deshalb nicht einig. Beim Kieler Verein „Eltern für unbelastete Nahrung“ rät man ganz von den Waldsprößlingen ab. „Wir empfehlen, auf Zuchtchampignons zurückzugreifen“, sagt dort die Geschäftsführerin Helga E. Rommel. Wild und Waldbeeren seien dagegen unbedenklicher. Wer unbedingt Fleisch und Früchte aus dem Wald essen will, kann eine Probe davon nach Kiel schicken. Gegen 30 Mark werden dem Einsender nach etwa einer Woche die Meßergebnisse mitgeteilt. Zu spät für die Fundstücke, dafür aber gültig für die nächsten Jahre.
Alles Hysterie, entwarnt dagegen der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Außer von Pilzen aus Polen, Süddeutschland und Österreich würde er sich jederzeit ein Pilzgericht schmecken lassen. „Ich würde mich nicht wegen jedem Bequerel narrisch machen“, meint er salopp.
Beim Umweltinstitut in München gibt man sich verhaltener. Abgeraten wird von Pilzen aus dem Bayerischen Wald, dem Salzburger und dem Berchtesgardener Land. Besonders belastet sind Steinpilze und Maronen. Der populäre Ratschlag, die Lamellen von den Pilzen zu entfernen, um die radioaktive Belastung zu reduzieren, sei falsch. Gerade weil der Waldboden nicht bearbeitet wird, verbessert sich seine toxische Situation kaum. Auf Hügeln allerdings sind die radioaktiven Werte geringer als in Senken, wo sich nach dem Fallout das Wasser angesammelt hatte. Auch beim Umweltinstitut München können Proben eingeschickt werden. Julia Seidl
Adressen:
Eltern für unbelastete Nahrung, Königsweg 7, 24103 Kiel, Tel. 0431/67 20 41
Umweltinstitut München, Elsässer Straße 30, 81667 München, Tel. 089/480 29 71
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen