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■ Mit der Deflation auf du und duHitlers Gehilfe

Hamburg (taz) – „Die Preise wollen einfach nicht steigen“, klagt mancher Wirtschaftswissenschaftler hinter vorgehaltener Hand. Was die Verbraucher freut, ein kaum merklicher Preisanstieg von zuletzt nur noch 1,1 Prozent im Jahr, läßt die Ökonomen räsonieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt in seinem Bericht zur Lage der Nation erstmals vor den Gefahren einer Deflation („Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung“). Ähnliches argumentiert auch der US-Notenbankpräsident Alan Greenspan.

Im Hintergrund der Expertendiskussion steht das Heiligtum der Geldwertstabilität. Das Niveau der Preise, namentlich der Verbraucherpreise, soll annähernd gleich hoch bleiben – so will es hierzulande immerhin das Stabilitätsgesetz. Entsprechend wirtschaftet die Bundesbank, und an dieser Generallinie entlang wird auch die künftige Europäische Zentralbank arbeiten. Als „stabil“ wird meist ein Preiswachstum bezeichnet, das sich noch in Höhe des allgemeinen Lohnanstiegs bewegt.

Als instabil gilt dagegen „Inflation“ – hierzulande das ökonomische Horrorszenario schlechthin. Ausgelöst hat dieses Inflationstrauma die Geldentwertung nach dem Ersten Weltkrieg: Seinen Tiefpunkt erreichte die Inflation im November 1923, als für ein Brot oder ein Pfund Butter erst eine Milliarde Reichsmark bezahlt werden mußte, alsbald Billionen.

Seitdem gehört die Angst vor einer rapiden Geldentwertung zur nationalen Identität: Deftig steigende Preise bringen die Wirtschaft in Unordnung, gefährden die Arbeitsplätze, und letztendlich droht auch der Verlust der Sparguthaben. Besitzer von Sachwerten, von Aktien und Immobilien gingen 1923 in der Weimarer Republik als Sieger aus der Inflation hervor.

Getilgt wurde hierzulande dagegen die ebenso bittere Erfahrung der Deflation – am Ende der rapide sinkenden Preise wartete Hitler auf seine Machtübernahme. In den frühen dreißiger Jahren hatten Notverordnungen, Reparationszahlungen und eine rigide Fiskalpolitik die Geldmenge abgeschmolzen. Die Kaufkraft war also geringer, es wurde weniger konsumiert, so daß die Anbieter ihre Preise senken mußten, um ihre überschüssigen Waren noch losschlagen zu können. 1930 bis 1933 fielen so die Preise in Deutschland um ein sattes Viertel. Die sinkenden Preise führten aber zu nachlassender Produktion und letztlich zu wirtschaftlicher Depression mit Massenentlassungen; der soziale Nährboden für den Faschismus war bereitet.

Aber auch andernorts wirkte die Deflation verheerend: Ökonomen wie John Kenneth Galbraith sehen den Börsencrash des Oktober 1929 an der Wall Street und die folgende tiefe Wirtschaftskrise als „Teil des Deflationsmechanismus“. Konsequenterweise sollten Finanzpolitiker und Bundesbank die Stabilisierung des Geldwerts nicht übertreiben. Denn wird die Geldmenge zu stark abgebremst, droht Deflation. Hermannus Pfeiffer

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