piwik no script img

Mit Vollgas daneben

Große Koalition heißt antworten auf große Herausforderungen, sagt CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Der verkehrspolitische Teil des Koalitionsvertrags mit der SPD frönt jedoch weiter dem Mobilitätswahn und verheißt damit künftig noch mehr Straßen- und Luftverkehr. Eine Kritische Bewertung

von Winfried Wolf

Schwarz-Rot plädiert für eine „bedarfsgerechte Dimensionierung von Neu- und Ausbauprojekten“. Kein Wort enthält der Vertrag über die Probleme wachsender Mobilität. Der Luftverkehr ist die Verkehrsart, der Umwelt, Menschen und Klima besonders belastet. Just er wächst am schnellsten. Weiter so, sagt Schwarz-Rot: „Wir werden den Luftverkehrsstandort Deutschland stärken.“ Die seit Jahrzehnten überfällige Kerosinbesteuerung wird – sollte sie denn aus Brüssel kommen – infrage gestellt: „Bei der Einführung von fiskal- oder ordnungspolitischen Maßnahmen im Luftverkehr (müssen) (…) die Folgen für die Mobilität (…) und ihre Wirksamkeit für einen effektiven Lärm- und Umweltschutz in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.“

Die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur sollen laut Koalitionsvertrag „substanziell erhöht“ werden, unter anderem durch Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen. Gut so. Was nicht im Koalitionsvertrag steht, ist eine Mautpflicht auch für Lkw unter zwölf Tonnen Gesamtgewicht.

Alles spricht dafür, dass Mehreinnahmen erneut in den Ausbau des Straßennetzes fließen. Und bei der Schiene werden die Mittel weiter auf Großprojekte wie Stuttgart 21 konzentriert, die für eine nachhaltige Mobilität kontraproduktiv sind.

Der Turbo im Straßenverkehr hinsichtlich Staus und Schäden ist der Lkw. Dass Straßengüterverkehr aus ökologischer und aus klimapolitischer Sicht ein Problem darstellt und nichts mit Wohlstandsmehrung zu tun hat, ist für die Großkoalitionäre kein Thema. Zur Erinnerung: Die Prognosen aus Brüssel und Berlin lauten: Der Lkw-Verkehr wächst bis 2025 um weitere 70 Prozent. Bereits banale Festlegungen im Koalitionsvertrag wie „Wir werden (…) an Autobahnen (…) zusätzlich 6.000 Lkw-Stellplätze einrichten“ machen deutlich: Die neue Bundesregierung, wenn sie zustande kommt, wird eine Verkehrspolitik fördern, die das Klima schädigt und in Deutschland Arbeitsplätze zerstört – durch noch mehr Transportintensität und eine ins Absurde gesteigerte global-arbeitsteilige Fertigung.

Der Koalitionsvertrag fordert „einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw (…) (Vignette) mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“. Zweifellos: ein Formelkompromiss. Bedacht werden muss jedoch zweierlei. Erstens: Die CSU wird den Bundesverkehrsminister stellen und damit das Mautgesetz gestalten. Zweitens: Im Vorfeld der Bundestagswahl sprachen sich alle Bauindustrie-Vertreter für eine Pkw-Maut aus. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für eine allgemeiner Kfz-Maut. Faktisch mündet dies – geschmiert mit ÖPP/PPP (Public-Private-Partnership) – in ein großes Programm zum Ausbau des Fernstraßennetzes und durch ein elektronisches Maut-System zum Überwachungsstaat.

2009 verkündete Schwarz-Gelb die ökologische Mobilitätsrevolution: „Eine Million Elektroautos bis 2020.“ Vier Jahre später sind in Flensburg 25.000 Elektro-Pkw registriert. Doch Ende 2013 deklamieren die Großkoalitionäre tapfer: „Am Ziel, eine Million Elektroautos für Deutschlands Straßen bis zum Jahr 2020, wollen wir festhalten.“ Klartext: In sechs Jahren sollen 975.000 Elektro-Pkw auf die Straßen gebracht werden. Dafür gibt es aber keine Nachfrage. Es sei denn, man schafft diese künstlich. Doch das wäre Planwirtschaft. Und so sollen für diese Technologie Milliarden Euro an Steuergeldern an VW, BMW, Mercedes & Co fließen.

Personennahverkehr durch Streichkonzert gefährdet

Jährlich gibt es vom Bund rund 7 Milliarden Euro für den Schienenpersonennahverkehr. Hierzu heißt es, man wolle diese „Regionalisierungsmittel (…) auf eine neue Grundlage stellen.“ Im Entwurf des Koalitionsvertrags stand noch: „Ziel ist eine Fortschreibung der Mittel inklusive einer angemessenen Dynamisierung unter besonderer Berücksichtigung der Trassenpreisentwicklung.“

Doch diese Passage entfiel. Das spricht dafür, dass die Regionalisierungsmittel Opfer eines Streichkonzerts werden können. Wofür es „historisch“ Indizien gibt. 2003 legten die damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) in einer Art Vorwegnahme auf schwarz-rote Koalitionen ein Sparprogramm vor mit einem Kernpunkt: radikale Reduktion der Regionalisierungsmittel zur Sanierung der Staatsfinanzen.

Die Musik spielt woanders: Laut Gesetz müssen die Länder mit Regionalisierungsmitteln, die sie vom Bund zugewiesen bekommen, „insbesondere den Schienenpersonennahverkehr finanzieren“. Formal können sie 49 Prozent für andere Zwecke ausgeben, was einige Länder zunehmend tun. Damit wird die Stimmung geschürt, wonach die Länder diese Mittel nicht in Gänze für Regional-und S-Bahnen benötigten. Die Große Koalition will die Gesetzeslücke offenbar nicht schließen, die geradezu zu Missbrauch einlädt. Schwarz-Rot will „vor Auslaufen der geltenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Schiene (LuFV) (…) mit der DB AG eine neue Vereinbarung schließen“. Dabei soll „durch Festlegung zusätzlicher Qualitätsmerkmale“ sichergestellt werden, „dass Umfang und Kapazität des Schienennetzes erhalten bleiben“. Vor dem Hintergrund eines zunehmend maroden Schienennetzes und der verheerenden, zutreffenden Kritik des Bundesrechnungshofs am Finanz- und Investitionsgebaren der DB AG (intransparent; manipulative Angaben zu den Investitionen; kein verantwortlicher wirtschaftlicher Umgang mit den jährlich gut 2,5 Milliarden Euro an Steuermitteln) läuft auch dies auf ein „Weiter so“ hinaus.

Die Bahn kassiert weiter Steuermittel

Die Formulierung: „Wir werden sicherstellen, dass alle Gewinne der Eisenbahninfrastruktur-Unternehmen in die Infrastruktur zurückfließen“, ist weiße Salbe. Solange es einen Beherrschungsvertrag zwischen dem Bahnkonzern und deren Töchtern in den Bereichen Netz und Bahnhöfe gibt, fließen die dort erwirtschafteten Gewinne automatisch an die Holding. Die gesamte Konzernplanung, vom Aufsichtsrat und vom Eigentümer Bund abgesegnet, geht von massiv steigenden Gewinnen von DB Netz und DB Station & Service aus, die an die Holding fließen.

Die FAZ vermeldete am 28. November 2013: „Für die Schiene legen sich Union und SPD fest: Einen Börsengang der Bahn soll es nicht geben.“ Im Koalitionsvertrag steht jedoch nur: „Wir stehen zum integrierten Konzern DB AG. Die Eisenbahninfrastruktur (…) bleibt in der Hand des Bundes.“ Diese Formulierung hält die Tür für eine Privatisierung des Eisenbahnbetriebs offen: 2008 wurden alle Transportgesellschaften (Nahverkehr, Fernverkehr, Schienengüterverkehr und die weltweite Logistik) unter dem Dach der Subholding DB Mobility Logistics – DB ML – zusammengefasst. Am 30. Mai 2008 beschlossen CDU/CSU und SPD (Große Koalition!) im Bundestag, zunächst 24,9 Prozent der Anteile an DB ML zu veräußern. Zwar wurde der Börsengang im Oktober 2008 mit dem Verweis auf den Finanzcrash abgesagt. Doch der Mai-2008-Beschluss bleibt gültig. Ende 2009 formulierte Bahnchef Grube prophetisch: „Der Zeitpunkt für eine Privatisierung wird wieder kommen, gar keine Frage.“ (FAZ, 7. November 2009).

■ Die ungekürzte Analyse des verkehrspolitischen Teils des Koalitionsvertrags durch Winfried Wolf auf www.kontextwochenzeitung.de