Mit Superfrau in der Südsee

Marlon Brando und Donald Cammell haben einen tollen Piratenroman geschrieben und damit nonchalant die Kunst-, Pop- und Politikgeschichte der 60er-Jahre erzählt

Marlon Brando, der, wie er einmal sagte, keine Romane liest, hat einen Roman geschrieben oder besser schreiben lassen.

„Madame Lai“, wie der Roman heißt, ist eine Südseepiratengeschichte, die im Jahr 1927 spielt. Ihr männlicher Hauptdarsteller ist ein Amerikaner schottischer Abstammung namens Annie Doultry, der in Hongkong in undurchsichtige Waffenschiebereien mit einem chinesischen Marschall, der im Bürgerkrieg in China plündert und brandschatzt, verwickelt ist. Dandy Annie, der „kein einfacher Mann war“, wird Mitglied der von Madame Lai durchaus demokratisch geleiteten Piratencrew und segelt mit ihr und der Besatzung auf der Suche nach Beute durch die Südsee.

Der Roman ist in seinen Sexpassagen besser geschrieben als das, was Martin Walser über Sex schreibt, er enthält mehr Geschichte als alles, was Daniel Kehlmann je geschrieben hat und noch schreiben wird, und er hat in seinem schönsten Kapitel, das mit „Der Taifun“ überschrieben ist, mehr vom Wesen und Wirken eines tropischen Wirbelsturms begriffen, als Frank Schätzing je begreifen wird. Auch deshalb soll es hier nicht um den Roman selbst gehen, sondern darum, wie das Buch insgesamt eine Epoche dokumentiert.

Eingeleitet wird der Band mit einem denunzierenden Porträt Marlon Brandos, das Truman Capote 1958 für den New Yorker schrieb. Capotes Methode, mit der er Brando alle möglichen Intimitäten entlockt, hat Brando danach so beschrieben: „Na ja, der kleine Scheißer hat die halbe Nacht damit verbracht, mir mit seinen Problemen die Ohren vollzuquasseln. Ich dachte, das Mindeste, was ich für ihn tun könnte, wäre, ihm ein paar von meinen zu erzählen.“ Probleme wie etwa Brandos alkoholkranke Mutter breitet Capote dann genüsslich indiskret aus. Das Porträt ist aber auch eines der letzten Dokumente des funktionierenden Hollywoodstarsystems vor der großen Krise in den 60ern. Brando war ein hochbezahlter Schauspieler, und seine Filme wurden Kassenhits, bis die 60er-Jahre kamen und Hollywoods Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Bewegungen diese Industrie in die Krise stürzte.

Dass diese auch mit der Abwehr von formalen Experimenten zu tun hat, erzählt das Nachwort, in dem David Thomson Donald Cammell porträtiert. Cammell ist vor allem als Produzent und Ideengeber von „Performance“ in die Filmgeschichte eingegangen. „Performance“ war ein Film, „in dem es um eine pervertierte Liebesaffäre zwischen Homo sapiens und der verherrlichten Gewalt geht“, wie Cammell und Mick Jagger schrieben. Jagger spielte hier einen Rockstar, und als der Film in den USA 1970 anlief, war er ein finanzieller Flop. Der Filmgeschichte war das aber egal, und „Performance“ wurde vor allem wegen seiner Schnitttechnik und des Farbeinsatzes zum Paradebeispiel des psychedelisch inspirierten europäischen Autorenkinos. So dachte auch Brando und engagierte Cammell für das Skript von „Madame Lai“. Ursprünglich sollte daraus ein Film werden, der überall, nur nicht in den großen Studios Hollywoods hätte verwirklicht werden sollen.

1979 trafen sie sich also auf Brandos Südseeinsel Tetiaroa. Und die Temperamente hätten unterschiedlicher nicht sein können. Cammell, der seit seiner Jugend unter schweren Depressionen litt, war ein Sohn reicher schottischer Eltern und ein Kenner der Kunst- und Filmszene von Paris bis London. Was in den Siebzigern dabei herauskam, wenn ein Amerikaner einen manisch-depressiven Europäer in der Südsee trifft, das kann man jetzt lesen. CORD RIECHELMANN

Marlon Brando und Donald Cammell: „Madame Lai“. Aus dem Englischen von Gregor Hens. Marebuchverlag, Hamburg 2007, 430 Seiten, 19,90 Euro