piwik no script img

■ Mit Statistiken auf du und duSchuld sind die Aliens

Berlin (taz) – Der Unterschied zwischen Lügen und Statistiken ist oft marginal. In den USA wird zum Beispiel die Arbeitslosenquote auf einmal gut ein halbes Prozent höher angegeben als in den bisherigen Berechnungen – und das nicht etwa, weil plötzlich die Rezession zuschlug. Seit neuestem werden vielmehr Frauen bei den zugrunde gelegten Stichproben nicht mehr gefragt, ob sie Hausfrauen seien, sondern nur noch – genau wie Männer – ob sie Arbeit haben oder nicht.

Seit Anfang Februar will ein neues System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung – erfunden unter anderem von OECD, IWF und EU – Schluß machen mit dem statistischen Chaos. Auf der ganzen Welt sollen die Daten über Handel, Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit nach demselben System erhoben werden und damit erstmals richtig vergleichbar sein. Neuere Entwicklungen, etwa Leasing und Umweltschutzmaßnahmen werden jetzt stärker berücksichtigt, auch wenn das nicht immer ganz klappt. So gehen zwar die Arbeiten zur Beseitigung von Umweltschäden in die Bilanz ein, nicht aber die Umweltschäden an sich.

Noch größer sind die Probleme mit dem Welthandel. Die Statistiker gehen reichlich weltfremd immer noch von unabhängigen Produktionseinheiten innerhalb nationaler Grenzen aus. Wenn aber das VW-Werk im mexikanischen Puebla Käfer innerhalb Mexikos verkauft, taucht dies in keiner Exportstatistik auf, obwohl die Verkäufe einem deutschen Unternehmen zugute kommen. Liefert jedoch VW Wolfsburg Motoren an seine mexikanische Tochter, um sie dort in die Autos einbauen zu lassen, meldet die deutsche Handelsbilanz ein Plus.

In den USA hat die National Academy of Sciences deshalb gefordert, daß Handelsbilanzen nicht mehr auf der Basis des Produktionsortes berechnet werden sollen, sondern auf Grundlage der Besitzverhältnisse. Mit erstaunlichen Ergebnissen: Gingen die Wirtschaftstätigkeiten der Auslandstöchter von US-Firmen auch in die nationale Bilanz ein, dann hätten die USA statt ihres Handelsbilanzdefizits von 28 Milliarden Dollar einen Überschuß von 164 Milliarden Dollar.

Noch größere statistische Lücken treten aber durch solche Handelsströme auf, die nicht offiziell registriert werden können – etwa Rüstungsexporte, Drogenhandel und Geldwäsche. Während theoretisch die weltweite Importsumme genauso groß sein müßte wie die Summe der Exporte, wird der Statistik zufolge weltweit für 100 Milliarden Dollar mehr ein- als ausgeführt. Paul Krugmann, Wirtschaftsprofessor am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), hat jetzt die ultimative Lösung des Rätsels gefunden: „Das bedeutet, wir haben ein riesiges globales Defizit in unserem interplanetaren Handel. Das saugende Geräusch kommt aus dem Weltraum. Aliens vernichten amerikanische Jobs.“ Nicola Liebert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen