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■ Mit Rezessionen auf du und duAufschwung verpaßt

Berlin (taz/wps) – Kimberleigh Anthony hat zu Weihnachten weniger Seidenschals und Angorapullover verkauft als früher. Ein klarer Fall für die Laden-Managerin in Los Angeles: die USA stecken immer noch in einer Rezession. Doch Anthony irrt sich, zumindest wenn man den für das Erkennen der Rezession zuständigen US- Ökonomen glauben will.

In Washington hat nämlich das National Bureau of Economic Research (NBER) kurz vor der Jahreswende festgestellt, daß die Rezession in der US- Wirtschaft eigentlich schon seit fast zwei Jahren zu Ende ist. Mit anderen Worten, die USA befinden sich seit März 1991 im Aufschwung, nur gemerkt hat es keine(r). Industrieproduktion, Beschäftigtenzahlen, Auftragseingänge und das Bruttosozialprodukt hätten sich seit dem März 1991 insgesamt – wenn auch kaum merklich – nach oben bewegt. Die Rezession, so das Gremium, das seit fast 70 Jahren quasi offiziell den Zustand der US-Konjunktur feststellt, habe kurz vor Ausbruch der Golfkrise im August 1990 angefangen und sei schon nach der Operation „Desert Storm“ im März 1991 wieder zu Ende gegangen.

Amerikanerinnen und Amerikaner haben deswegen weder mehr Geld in der Tasche noch einen neuen Job gefunden. George Bush, der noch amtierende Präsident, allerdings wird sich fragen, warum die NBER- Wissenschaftler den Aufschwung nicht vor seiner Wahlniederlage bemerkt haben. Die Ökonomen geben sich deswegen auch alle Mühe, ihre professionelle Vorsicht zu erklären: Sie seien bis zum Dezember 1992 nicht sicher gewesen, ob die US-Wirtschaft nicht wieder zu schrumpfen beginne, entschuldigen sie die späte Erkenntnis. Nur wenn ein neues absolutes Hoch der Wirtschaftstätigkeit erreicht wird, könnten sie nämlich später vom Beginn einer neuen Rezession sprechen. Ansonsten müßten sie – rein wissenschaftlich – vom Andauern der Rezession reden.

George Bush sollte sich damit trösten, daß die Wissenschaft manchmal noch länger braucht. Britische Wissenschaftler haben unlängst erkannt, daß Londons Wirtschaft schon sehr früh in der Geschichte der Stadt in einer langandauernden Rezession versank. Kaum hundert Jahre nach Gründung der britischen Metropole durch die Römer habe sich London infolge einer schweren Wirtschaftskrise dramatisch entvölkert, stellte sich erst jetzt heraus. ten

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