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Archiv-Artikel

Mit Promi-DJs und Oscar-Fans auf den Strassen und in den Clubs von Hamburg und Neukölln Glaube, Liebe, Hoffnung, EU-Mitgliedschaft und ein eingängiger Refrain

VON JENNI ZYLKA

Wer hat noch mal gesagt, der Mensch sei nur eine Virusinfektion des Planeten Erde? Der kann sich ja jetzt freuen, dass es sich dann auch bald ausgemenschelt hat: StatistikerInnen sollten mal berechnen, um wie viel sich die Aufreißrate verringert, seit TouristInnen in fremden Städten keine Einheimischen mehr ansprechen müssen, weil sie alles nur noch mit Siri klären. Und wenn es doch mal passiert, dass etwa hübsche hinterwäldlerische iPhone-Kritiker aus Malta in Hamburg jemanden aus Fleisch und Blut nach dem Weg fragen, dann geraten sie ausgerechnet an mich. „Ich kenne mich hier auch nicht aus“, antworte ich bedauernd in möglichst maltekischem Englisch. „Kenne nur die Reeperbahn“, versuche ich noch zweideutig hinterherzuschieben, damit sich das Ansprechen vielleicht doch noch lohnt. Aber nichts. Habe mich zudem gerade selbst verlaufen, in eine Art afrikanisches M.-C.-Escher-Bild, das sich als mehrstöckiger Dancehall-Club herausstellt. Die Marihuana-Schwaden vernebeln mir dermaßen die Optik, dass ich erst nach mehreren Stunden und 79 Hüftkontakten den Ausgang finde.

Trotzdem ein schöner Hamburger Freitagabend, der damit angefangen hatte, unseren Gastgeber mit Ideen für „das eine Stück“ zu nerven, das er am nächsten Abend als Promi-DJ bei einem Promi-DJ-Abend im „Uebel & Gefährlich“ auflegen soll. Tiefstapelnd-coole Selbstdarstellung, aktueller Kommentar und Massen-Amüsemang mit nur einem Song – welch eine unlösbare Aufgabe! Puh! Seine Frau schlägt „Mr. President“ mit „Coco Jambo“ vor, ich bin für „Dominique“ von Soer Sourire, da ist alles drin, Glaube, Liebe, Hoffnung, EU-Mitgliedschaft, persönliches Drama und ein eingängiger Refrain. Oder für „Blank Generation“ von Richard Hell, aus fast den gleichen Gründen. Aber unser Freund ist ein groovy Intellektueller und spielt punky Artfunk von ESG. Auch gut, hab ich mir sagen lassen. Live bin ich nämlich Samstag nicht mehr dabei, weil ich zu Hause auf den Straßen Berlins verabredet bin, zum Torkeln durch das Jugendlabyrinth Neukölln mal wieder: jede Spielhölle eine Galerie, neben jedem Rütli-Campus ein Studiclub, jede Menschenansammlung ein Occupy-Team. Verwirrend, aber toll. Und überall rauchen alle.

Nicht so wie im Kodak-Theatre in der Nacht zum Montag, das Billy Crystal in seiner Oscar-Moderation erst „Chapter 11-Theatre“ (Chapter 11 ist ein Abschnitt des amerikanischen Insolvenzrechts) und dann „Your Name Here-Theatre“ nennt und damit quasi zweimal den gleichen Witz macht. Ich kichere trotzdem, schließlich ist es bei uns im Raucherparadies mitten in der Nacht, und da lache ich prinzipiell über jeden Witz, sei ich nun besoffen oder nur ultramüde.

Aus Versehen frage ich mein Handy sogar noch laut, was der sympathische Ehemann von Oscar-Gewinnerin Meryl Streep von Beruf ist, aber ich habe ja gar kein Siri, sondern dieses kleine Teenie-Dumbphone, das mich nicht versteht. Muss also ganz altmodisch im Internet tippen, um herauszufinden: Er ist Künstler, macht riesige Skulpturen aus Bronze, Stahl und Glas und stellt sie als Urban Art in die Öffentlichkeit. Die beiden haben vier erwachsene Kinder, drei davon sind Frauen. Und wenn mit den Spracherkennungsprogrammen dieser Welt jetzt nach der gebundenen Schrift auch noch die Druckschrift ausstirbt, dann rutschen wir endlich wieder in die Zeit der GeschichtenerzählerInnen, die vom ganzen Clan geehrt werden. Alles wird traditionell mündlich überliefert, von Speicherkarte zu Speicherkarte. Am Lagerfeuer, versteht sich. Das gesamte Stammesgedächtnis auf einem Chip. Der darf dann nur nicht verloren gehen.