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Archiv-Artikel

Mit Mutti und Vati auf dem Sofa

betr.: „Schlechter Schnitt“ (zum „Tatort“ vom 21. 12. 03), taz vom 23. 12. 03

Das hatte ich ja fast schon geahnt. Da probiert ein deutschsprachiger Regisseur in einem „Tatort“ mittendrin einen gewagten Vorausschnitt zum packenden Ende seiner Geschichte, und schon sitzt ihr gemeinsam mit allen verwirrten Muttis und Vatis der Nation auf einem Sofa zusammen und reibt euch die Augen: „eine ungewollt metaphysische Note“ des Tatorts wird da beanstandet, und zwar weil der großartige Ulrich Tukur „erst um halb zehn jenen Schlag abbekam, dessen Folgeerscheinungen er – und leider auch der Film – schon eine gute halbe Stunde mit sich herumgetragen hatte“.

Aha. Muss man jetzt also als Abonnent der taz allmählich Artikel befürchten, in denen zum Beispiel der Kubismus mit 100 Jahren Verspätung noch mal attackiert wird, weil da ja schließlich auch nicht immer alles physiognomisch-chronologisch so ganz am richtigen Platz ist? Oder wie? Merkwürdig, dass eine linke Tageszeitung in der aktuellen Kultur derart konservative Ordnungspositionen zur Anwendung bringt. Denn die Tatsache, dass im Film die lineare Zeit überraschend aufgelöst werden kann, gehört ja nun zu seinen schönsten Errungenschaften. Oder nicht? Und dass sich diese rabiaten Zeitsprünge, mit denen das Kino seit ewigen Zeiten herumexperimentiert, hier einer im Quotenprimetime-Schwachsinn des Fernsehens auch endlich mal traut, das ist doch eher großartig. Nein? Gebt euch doch mal kulturell einen ganz kleinen Ruck nach vorn. Der Rest der taz ist doch auch immer auf der Höhe der Zeit.

DOMINIK GRAF, München